Außer Haus

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Der Freitag brach eisig und mit wolkenbedecktem Himmel an. In der Nacht war die Temperatur konstant unter Null Grad geblieben doch auch tagsüber wurde es kaum wärmer. Von der nächtlichen Kälte bekam Sahra zum Glück nichts mit, da sie diese Nacht wieder mit ihrer kuscheligen und schützenden Decke schlafen konnte. Sie hatte es geschafft Ana zu überreden ihr deswegen nicht böse zu sein, da sie davor ja so fleißig Sport gemacht hatte und Ana war gnädig gewesen. So war das erste Empfinden nach dem Aufwachen nicht stechende Kälte auf ihrer freien Haut, sondern die wohlige Geborgenheit ihres Bettes mit samt Decke. Noch etwas schlaftrunken suchte sie unter dem Kopfkissen nach ihrem Handy um die Zeit zu überprüfen. Sie hatte noch drei Minuten. Drei Minuten, in denen sie die wunderbare Wärme noch etwas genießen konnte. Dann musste sie aufstehen. Sie schloss noch einmal kurz die Augen. Doch wenige Sekunden später, zumindest kam es Sahra so vor, riss ihr zweiter Handy Wecker sie aus dem leichten Dösen, in das sie verfallen war. Nicht wirklich wacher ließ sie den Wecker verstummen und stöhnte einmal auf. Warum war das Bett morgens, wenn man aufstehen musste, eigentlich immer am wärmsten, weichsten und bequemsten? Das machte die gesamte Prozedur des Aufstehens nur noch schwieriger. Langsam stemmte sie sich hoch. Durch ihre Arme, den Rücken, Bauch und sogar die Beine schoss ein starker, ziehender Schmerz. Ihre Muskeln taten unheimlich weh. Das war auch nicht verwunderlich, dachte Sahra, da sie gestern viel, wirklich viel Sport gemacht hatte. Sie hatte zwar nicht auf die Uhr geguckt aber sie vermutete, dass es mindestens drei bis vier Stunden (die Pausen nicht mitgezählt) gewesen waren. Es war sehr spät und stockdunkel gewesen (gut, im Winter nichts besonderes), als sie sich erschöpft, schweißbedeckt, keuchend und mit brennender Lunge endlich dazu entschlossen hatte aufzuhören. Mit einem Kopf, der sich anfühlte, als hätte man ihn mit einem Brecheisen behandelt und zitternden Beinen hatte sie die Sportklamotten abgelegt, sich ihre normalen Sachen übergeworfen und sich ins Bad gekämpft, das Gott sei dank leer war. Ihre Mutter war im Wohnzimmer und ließ sich wohl vom Fernseher berieseln. Als sie vor den Spiegel trat musste sie fast lachen. Ihre Haare, die sie zwar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, waren zerzaust und der Zopf hatte sich gelockert, sodass einige kurze Strähnen heraushingen und ihr Gesicht umspielten. Ihr Gesicht... Es war komplett rot angelaufen und schien zu glühen. Die Stirn glänzte schweißnass und unter ihren Augen traten die ersten Anzeichen für Augenringe deutlich hervor. Alles in allem sah sie katastrophal aus, aber das war sie inzwischen irgendwie gewohnt. Sie sah immer furchtbar aus, aber sobald sie dünn wäre, wäre das Vergangenheit. Ja, wenn sie dann endlich dünn wäre, sähe sie ganz anders aus, das wusste sie. Perfekt. Sie wandte den Blick vom Spiegel ab und machte sich daran sich komplett auszuziehen. Denn sie wollte duschen. Kurz den Schweiß abduschen und danach sofort ins Bett. Zu mehr war sie heute nicht mehr in der Lage. Die Klamotten kamen in die Wäsche, sie legt sich ein Handtuch bereit und band sich die Haare zu einem Dutt, damit sie nicht nass wurden. Einmal kniff sie sich noch in die Seite, nur um zu gucken, wie viel Fett noch vorhanden war, dann stieg sie in die Duschkabine. „Nur schnell den Schweiß abduschen", sagte sie sich, „dann kann ich schlafen". Kurz überlegte sie, ob sie nicht doch mal versuchen sollte kalt zu duschen. Einfach das Wasser auf kalt drehen und sich unter den Duschkopf stellen, das verbrauchte ja auch einige Kalorien. Ihre Hand wanderte schon zur Wärmeregulierung, doch hielt sie inne. Nein. Nein das würde sie nicht machen. Sie konnte Kälte auch so schon kaum aushalten und kalt duschen würde sie niemals schaffen! Außerdem bestand nicht einmal eine Notwendigkeit. Sie hatte heute durch den ganzen Sport doch schon genug verbrannt, das reichte.
Nachdem sie fertig war drehte sie das Wasser ab und trocknete sich mit dem Handtuch schnell ab. Dann arbeitete sie hastig noch ihre restliche Abend Routine ab, wünschte ihrer Mutter müde eine gute Nacht und schlurfte den Flur entlang in ihr Zimmer und ließ sich auf das Bett fallen. Mit gerade einmal noch halboffenen Augen wickelte sie die Decke fest um sich, schaltete das Licht aus und wollte sich gerade der Erschöpfung hingeben, als Ana sich wieder meldet. Sie sagte, es wäre gut, würde sie das Fenster öffnen und die Decke wieder weglassen, um noch ein paar Kalorien mehr zu verbrennen. Doch Sahra hatte müde, aber überzeugend erwidert, dass sie doch schon so viel Sport gemacht hatte und ob das nicht erst mal reiche, formal sie doch eh vorhatte morgen zu fasten und somit auch keine Kalorien dazu kämen. Und Ana hatte gelächelt und ihr gesagt, dass sie Recht hatte. So wand Ana nichts mehr gegen die Decke ein und wünschte Sahra noch eine gute Nacht, sodass in ihrem Kopf wieder Stille eintrat. Und nach einigen Minuten war sie eingeschlafen.

Einmal Ana, immer Ana.Where stories live. Discover now