7.Kapitel

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Die Wochen vergingen, Nils kam und ging und mit jedem Mal fiel es mir schwerer, mich von ihm zu verabschieden und ihn um die Ecke verschwinden zu sehen. Die Klavierstunden, die mir sonst immer die ganze Woche verdorben hatten, waren nur der Höhepunkt der Woche, ich übte in jeder freien Minute Klavier und wurde von Mal zu Mal besser. Nils brachte mir jede Woche neue Stücke mit, er scherzte mit mir und schmuste mit meiner Katze Nala. Mittlerweile hatten wir schon Handynummern ausgetauscht und folgten uns gegenseitig auf den Sozialen Netzwerken. Wenn ich nicht Klavier übte, konnte ich stundenlang am Handy sitzen, mir Bilder von ihm angucken oder die Leute, die er auf Bildern markierte, auf Instagram stalken.

>>Sag ihm, was du für ihn empfindest!<<, sagte mir meine beste Freundin Milena jedes Mal, wenn ich mal wieder von ihm schwärmte. Was ziemlich häufig vorkam. Doch ich sagte es ihm nicht, ich hatte Angst, was dann geschehen würde. Er war zwar nett und total süß zu mir, dennoch musste das nicht unbedingt heißen, dass er etwas für mich empfand. Und wenn er nichts für mich empfand und ich ihm dann mein Herz mit all meinen Hoffnungen und Träumen ausschüttete... Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was dann passieren würde. Also redete ich mir immer ein, ich würde nichts für ihn empfinden, auch wenn ich eigentlich ganz genau wusste, dass das gelogen war.

Eines Sommertages, die Sonne schien und das Thermometer zeigte zum ersten Mal dieses Jahr über 30° an, wartete ich mal wieder schon vor der Tür auf Nils. Er kam pünktlich – wie immer – und begrüßte mich mit einem herzlichen Lächeln, das mein Herz schneller schlagen ließ. Er trug nur ein graues T-Shirt, das eng an seinem durchtrainierten Körper lag, seine dunkelblonden Locken fielen ihm in die Stirn und sein Kinn war wie meistens glatt rasiert. Neben ihm kam ich mir mit meinen schulterlangen braunen Haaren, den kindlichen Gesichtszügen und meiner einfachen, kein Stück figurbetonten Kleidung mal wieder unbedeutend und komplett unreif vor. Ich wusste wie dumm es war, immer noch zu hoffen, dass jemand wie er auf jemanden wie mich stand. Und dennoch hatte ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

>>Na<<, sagte ich, als wir nebeneinander ins Wohnzimmer gingen, >>Ganz schön heiß, nicht?<<

>>Und wie<< Nils fuhr sich durch die Haare. >>Ich hatte gerade schon eine Unterrichtsstunde bei einer Erstklässlerin. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich jetzt schwitze!<<

>>Hat die Erstklässlerin dich ins Schwitzen gebracht?<<, neckte ich ihn und er musste lachen.

>>Sozusagen. Entweder hatte sie in ihrem Wohnzimmer die Heizung an oder das letzte Mal vor paar Jahren gelüftet! Das war da so stickig und heiß drinnen...<< Er schüttelte den Kopf. >>Heute spielen wir übrigens mal nicht Klavier.<<, wechselte er das Thema.

>>Nein? Was dann?<<

>>Wir machen Theorie.<<

>>Wie bitte?<< Entsetzt starrte ich ihn an. Wenn ich mit Herrn Sauer Theorie gemacht hatte, hatte das meistens damit geendet, dass er mich wegen meiner Unwissenheit über all die Komponisten und Musiker aus den verschiedenen Epochen so sehr beschimpft hatte, dass ich am Ende der Stunde den Tränen nahe gewesen war.

>>Von wann bis wann hat Vivaldi gelebt? Oder Bach? Wer waren die drei Wiener Klassiker?<<

>>Äh...<< Ich zuckte mit den Schultern. >>Keine Ahnung!<<

>>Siehst du!<< Er lächelte mich an. >>Wird doch höchste Zeit, dass wir uns mal mit solchen Sachen beschäftigen. Und das Schöne ist: Dafür brauchen wir kein Klavier. Wir können uns einfach nach draußen setzen.<<

>>Aber nur wenn du mich nicht beleidigst, weil ich nicht den ganzen Lebensablauf von Mozart oder Bach herunter rattern kann!<<,

>>Hat das dein alter Lehrer immer gemacht?<<, fragte Nils grinsend, >>Keine Sorge, ich würde dich niemals beleidigen. Ich würde nur mit Sachen durchs Zimmer schmeißen und sofort kündigen!<<

Der KlavierlehrerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt