19.Kapitel

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Als ich Samstagmorgen von meiner Mutter geweckt wurde, war das Erste, was mir auffiel, dass die Sonne schien. Sie strahlte ins Zimmer und versprach einen schönen Tag mit gutem Wetter. Dabei wäre mir Regen ehrlich gesagt viel lieber gewesen. Hätte es geregnet, wäre die Hochzeit vielleicht wortwörtlich ins Wasser gefallen oder zumindest wäre die Stimmung nicht so optimal gewesen. Aber statt Regen schien nun die Sonne, fast so, als würde sie sich über diesen Tag freuen. Im Gegensatz zu mir.

Nervös und verzweifelt wegen meinem Auftritt nachher stand ich auf, wobei mein Blick auf das Bild von Nils und mir auf meinem Nachttisch fiel. Ich schloss die Augen, atmete tief ein, atmete tief aus und öffnete meine Augen wieder. Du musst einfach nur diesen Tag überstehen!, sagte ich mir, Dann hast du es hinter dir.

Doch ich wusste selber, dass das nicht stimmte. Ich würde es niemals hinter mir haben, auch nicht, wenn ich diesen Tag überstand. Jeden Donnerstag beim Klavierunterricht den Ehering an Nils Finger zu sehen, ihn von seiner Frau und seinem Kind reden zu hören, immer zu wissen, dass ich in einen verheirateten Mann und zukünftigen Vater verliebt war... wie sollte es so jemals vorbei sein? Ich ballte die Hände zu Fäusten und wandte meinen Blick entschlossen vom Bild ab. Ich würde es schon schaffen, bis jetzt hatte ich es schließlich auch immer geschafft – sogar ohne mir etwas anmerken zu lassen.

Ich schlenderte die Treppe nach unten, aß mein Frühstück und setzte mich danach ans Klavier, um die Stücke für nachher noch einmal zu üben. Perfect, Marry You, Halo, A Thousand Years, All of Me, My Heart will Go On, Can You Feel The Love Tonight, Hallelujah, Somewhere over the Rainbow, You Raise Me Up... Während ich spielte, dachte ich an Nils und mich und an all das, was wir schon miteinander erlebt hatten. All das, von dem ich gedacht hatte, es wäre der Beginn einer wunderschönen, romantischen Liebesgeschichte.

>>Kira?<<, unterbrach mein Vater mich, während ich gerade den Refrain von Perfect spielte.

>>Ja?<<, fragte ich ohne mit dem Spielen aufzuhören. >>Was gibt's?<<

>>Deine Mutter ruft dich. Du musst dich langsam mal umziehen.<<

Ich nickte und erhob mich vom Klavierhocker. Ohne noch irgendetwas zu sagen, schob ich mich an Papa vorbei durch die Tür und ging langsam die Treppe nach oben. Ich hatte Angst, große Angst. Ich wollte nicht zu der Hochzeit, ich wollte nicht sehen, wie Nils und Mina sich küssten, wollte nicht hören, wie all ihre Freunde ihnen Glück wünschten. Wollte nicht den Schmerz spüren, den all das schon jetzt bei mir auslöste.

Doch ich musste zur Hochzeit, ich hatte es Nils versprochen und ich konnte ihn nicht enttäuschen. Wenn er mich schon nicht liebte, dann sollte er mir wenigstens vertrauen und mich schätzen, nach all dem, was ich für ihn getan hatte.

Im Bad wartete Mama schon auf mich, in der einen Hand einen Kamm, in der anderen einen Haufen mit Haarbändern, -nadeln und –spangen. Vor sich hatte sie einen Stuhl gestellt, auf welchem ich nun Platz nahm.

>>Freust du dich auf nachher?<<, fragte Mama, während sie mir meine langen, braunen Haare kämmte. >>Bist du aufgeregt?<<

>>Ja und ja<<, antwortete ich und gab mir Mühe, so neutral und glaubwürdig wie möglich zu klingen. Das letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war, dass meine Mutter die Verzweiflung, Angst, Trauer und auch Wut aus meiner Stimme heraushörte und somit ihre Vermutung bestätigt bekam, dass ich in Nils verliebt war. Ich wollte jetzt nicht darüber sprechen, ich würde es am liebsten vollkommen vergessen.

>>Ich finde das so schön, dass Nils jetzt heiratet. Er ist so ein liebenswürdiger Kerl... er hat es einfach so verdient! Findest du nicht auch?<<

>>Ja<< Unter dem Stuhl ballte ich die Hände zu Fäusten. Lass dir nichts anmerken!

>>Hast du eigentlich schon das Kleid gesehen, das ich für dich herausgesucht habe?<< Mama deutete auf ein einfaches weißes Kleid, das an der Tür hing.

>>Hübsch<< Nachdem ich gestern beim Shoppen Nils getroffen hatte, hatte ich ganz vergessen, noch nach einem Kleid oder Ähnlichem für die Hochzeit zu gucken, also hatte Mama ihre alten Sachen durchstöbert und mir davon eins herausgesucht.

>>Ich dachte, vielleicht könntest du dazu noch dein blaues Strickjäckchen anziehen, das unterstreicht so schön die Farbe deiner Augen. Was hältst du davon?<<

>>Hört sich gut an.<<

>>Kannst du eigentlich auf Hackenschuhen laufen?<<

>>Nein<<

>>Dann ziehst zu dazu noch deine Ballerina an. Du wirst süß... äh, hübsch aussehen.<<

>>Bestimmt<< Seufzend schaute ich zu Boden. Um ehrlich zu sein war es mir egal, ob ich heute hübsch oder nicht aussah. Es würde eh nichts daran ändern, dass ich nur ein Gast war, der Klavier vorspielte, und nicht die Braut.

Eine Stunde später war ich fertig zurecht gemacht und ich musste sagen, Mama hatte echt gute Arbeit geleistet. In dem weißen Kleid sah ich irgendwie richtig schlank aus, mein hoher Dutt ließ mich älter wirken als ich war und wie Mama schon gesagt hatte, unterstrich die blaue Strickjacke die Farbe meiner Augen.

>>Du siehst wunderschön aus!<<, sagte Mama und betrachtete mich noch einmal prüfend. >>Genau richtig für eine Hochzeit.<<

>>Danke<<

Kurz darauf saßen Mama und ich zusammen im Auto und fuhren zur Kirche, wo die Zeremonie stattfinden würde. Es standen so viele Autos auf dem Parkplatz vor der Kirche, dass ich mich fragte, ob Nils mich unter all den Gästen überhaupt wahrnehmen würde. Vielleicht vergaß er mich ja vollkommen und ich konnte einfach unbemerkt wieder verschwinden und musste nicht dabei zusehen, wie er mit einer anderen glücklich war...

>>Kira!<< Nils kam über den Parkplatz zu unserem Auto gelaufen, als er mich aussteigen sah. Das war es dann wohl mit unbemerkt wieder verschwinden.

>>Hey<< Wir umarmten uns kurz aber fest und musterten uns danach gegenseitig neugierig.

>>You look perfect!<<, sagte Nils lächelnd und zwinkerte mir zu. >>Ich hoffe mal, so spielst du nachher auch.<<

>>Du siehst auch gut aus.<< Ich erwiderte sein Lächeln etwas unbeholfen. Er sah wirklich gut aus. Der hellgraue Anzug, der ihm wie angegossen passte, und die rote Rose in seiner Brusttasche ließen ihn irgendwie erwachsener aussehen, nicht wie der einundzwanzigjährige Klavierlehrer, der mit mir im Garten eine Wasserschlacht veranstaltete oder sich wie ein kleines Kind mit meiner Katze Nala unterhielt. Seine hellbrauen Haare waren hochgestylt, womit er fast noch hübscher als mit wirren Locken aussah.

>>Hör mal, ich muss jetzt noch mal kurz zu meiner Mutter...<< Er deutete auf eine ältere Frau, die am Eingangstor der Kirche sich mit einer anderen Frau in ihrem Alter unterhielt. >>Wir sehen uns nach der Zeremonie, ja?<<

>>Okay<<, nickte ich, >>Wo soll ich mich in der Kirche hinsetzen?<<

>>Da, wo noch Platz ist.<< Nils zwinkerte mir noch einmal zu, dann wandte er sich ab und lief zu seiner Mutter.

>>Viel Spaß!<<, wünschte meine Mutter mir und machte den Motor wieder an. Mit einem fröhlichen Winken fuhr sie vom Parkplatz und ließ mich alleine auf der Hochzeit zurück.

Der KlavierlehrerWhere stories live. Discover now