20.Kapitel

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Nachdem Mama davon gefahren war, ging ich seufzend über den Parkplatz zur Kirche und versuchte so gut es ging, meine Angst zu verdrängen. Ich wusste nicht, ob ich es aushalten würde, wenn ich Nils eine andere küssen oder seine Zukünftige mit dem dicken Bauch, in dem Nils Kind heranwuchs, sah. Am liebsten würde ich es mir gar nicht erst antun, doch Nils zuliebe blieb mir keine andere Wahl. Du schaffst das!, machte ich mir selber Mut und betrat die Kirche. Im Inneren war es kühl, durch hohe, bemalte Fenster, die bis zur gewölbten Decke reichten, fiel Licht hinein und es roch nach Blumen und Weihrauch. Der Altar war festlich geschmückt, ebenso die gut gefüllten Sitzreihen. Üppige Blumensträuße, Rosen, weiße Schleier... Ich war noch nie bei einer Hochzeit gewesen, umso überwältigender war es nun für mich, hier zu stehen. Alles wirkte so friedlich und glücklich, dass ich mir mit meiner Angst und Verzweiflung richtig fehl am Platz vorkam.

Du schaffst das! Entschlossen setzte ich mich in die letzte Reihe, wo noch genug Plätze frei waren. Von da aus würde ich Nils und Mina nicht so gut sehen können und im Notfall könnte ich die Kirche immer noch mehr oder weniger unbemerkt verlassen.

>>Guten Tag!<< Eine älteres Ehepaar stand neben der Reihe. >>Ist hier noch Platz?<<

>>Natürlich<< Lächelnd rutschte ich ein Stück beiseite und die beiden ließen sich neben mich nieder.

>>Bist du eine Freundin von Mina?<< Neugierig beugte sich die Frau zu mir vor.

>>Nee... Ich bin eine Schülerin von Nils.<<

>>Seit wann ist Nils Lehrer?<< Die Frau wandte sich an ihren Mann. >>Werner, hast du das gehört? Nils unterrichtet nun als Lehrer! Ich frage mich, welches Fach das wohl sein mag...<<

>>Oh, Entschuldigung, ich glaube, Sie haben mich falsch verstanden. Nils ist mein Klavierlehrer.<<

>>Ach so, so meintest du das.<< Die Frau kicherte und schüttelte den Kopf. >>Spielst du denn nachher auch noch etwas Kleines auf dem Klavier vor?<<

>>Ja, deswegen bin ich hier. Woher kennen Sie denn Nils oder Mina?<<, wechselte ich abrupt das Thema.

>>Wir sind schon lange mit Nils Familie befreundet. Ich kenne Nils schon, seit er als Baby in der Wiege lag und ich muss sagen, er hat sich zu einem prächtigen Kerl entwickelt.<< Verträumt ließ sie ihren Blick durch die festlich geschmückte Kirche wandern. >>Er und Mina passen so toll zusammen... Ich weiß noch, wie wir damals einmal bei seinen Eltern zu Besuch waren und er uns ganz stolz seine Freundin vorgestellt hat. Die beiden waren so jung und verliebt ineinander... und jetzt sind sie erwachsen und heiraten! Dass ich das noch miterleben kann...<<

Ich tat so, als würde ich ihr interessiert zuhören, doch in Wirklichkeit versuchte ich verzweifelt, ihre Stimme auszublenden. Ich wollte nichts mehr von Nils und Mina und ihrer ach so tollen Liebesgeschichte hören!

Und so war ich fast froh, als die Zeremonie, von der ich seit Wochen Alpträume hatte, endlich begann und ich mir somit nicht weiterhin die alten Geschichten von meiner Sitznachbarin anhören musste. Aber nur fast.

Während der Zeremonie versuchte ich so gut es ging, mein ganzes Umfeld auszublenden und mich nur auf die Lehne vor mir zu konzentrieren. Die feierliche Musik, die Worte des Pfarrers, das Glück auf den Gesichtern von Nils und seiner rothaarigen Frau... All das wollte ich nicht wahrnehmen! Es machte mir nur noch deutlicher bewusst, dass mein Traum niemals in Erfüllung gehen würde.

Doch trotz des Schmerzes, der die gesamte Zeremonie über wie verrückt in mir pochte, schaffte ich es, nicht in Tränen auszubrechen. Ich weinte nicht, als Mina von ihrem Vater bei traditioneller Musik durch den mit Rosen geschmückten Gang geführt wurde, ich weinte nicht, als der Pfarrer eine lange Rede über die Liebe und Treue hielt, ich weinte nicht, als Nils und Mina sich die Ringe ansteckten... und dann weinte ich doch, als Nils sich langsam zu Mina vorbeugte und ihr einen zärtlichen Kuss auf die Lippen gab.

Tränen liefen mir die Wangen herab, meine Schultern bebten und ich musste meine ganze Willenskraft anwenden, um nicht verzweifelt loszuschluchzen. Das einzige Gute in diesem Moment war, dass viele der Gäste ebenfalls in ihre Taschentücher schnäuzten – allerdings nicht vor Schmerz, sondern vor Rührung.

Als die Zeremonie dann endlich vorbei war, war ich wahrscheinlich die Erste, die die Kirche schnellen Schrittes verließ. Ich hatte das Gefühl, als würde ich es keinen Moment länger in diesem Raum voller Rosen, Liebe und Glück aushalten und brauchte dringend frische Luft, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Der KlavierlehrerWhere stories live. Discover now