4. Namjoon

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Mit meinen Händen in den Taschen meines beigen Mantels, schlängelte ich mich durch die lauten Menschenmassen am überfüllten Hauptbahnhof. Abwechselnd sah ich zu Boden, um nicht über einen Koffer zu stolpern, und dann wieder hoch, um das richtige Gleis zu finden. Nur welches war es noch einmal?

Ich nahm mein Handy raus und ging auf den Chat von Betina und mir. Vor Aufregung hatte ich nämlich vergessen, an welchem Gleis sie ankommen wird. Das war eher untypisch für mich. Normalerweise behielt ich einen kühlen Kopf und nur weil eine junge Frau in meinem Alter für zwei Tage in meine Wohnung zieht, weil sie mich endlich einmal in echt sehen wollte, verliere ich halb den Verstand? 

Ich schüttelte kurz meinen Kopf, so als würde ich versuchen, diese Gedanken loszuwerden, und suchte weiter nach der Nachricht, die mir sagt, wohin ich muss. Meine Augen überflogen schnell den Chat, bis ich endlich fündig wurde. "Gleis 23 also", murmelte ich zu mir selbst.

Ich hob meinen Kopf und suchte danach. Vor mir waren die Gleise 19 und 20. Somit musste ich also weiter nach rechts laufen. 

Und das tat ich dann auch. Wieder kämpfte ich mich durch die Menschenmasse mit ihren unzähligen Gepäckstücken. Natürlich hätte ich mir das alles hier ersparen können, indem ich einfach vor dem Hauptbahnhof warte. Aber das wollte ich nicht. Betina kannte sich hier nicht aus und ich wollte so schnell wie möglich zu ihr. Also hole ich sie direkt vom Gleis ab.

Am Gleis 23 angekommen, suchte ich zuerst den Informationszettel, auf dem die Wagennummer und ihre Anordnung standen. Nach noch einen Blick auf den Chatverlauf, erinnerte ich mich wieder, dass es Wagen 29 war. Also machte ich mich auf den Weg zu dem Ort, wo dieser Wagen nachher hält.

Dort setzte ich mich auf eine Bank und wartete. Ungeduldig. Ich wusste zwar, wann ihr Zug kommen würde, aber ich wusste nicht, wie viel Uhr es momentan war. Wenn es eine halbe Stunde war, würde ich mich unnötig verrückt machen, genauso, wenn es nur fünf Minuten wären.  Aber schätzungsweise müsste es eine Zeit dazwischen sein. Also nicht mehr so lange.

Beim Warten begann ich, die Menschen um mich herum zu beobachten. Und die Tauben hier ebenfalls. Eigentlich gefiel mir der Anblick der Tauben, die in aller Ruhe hier am Bahnhof lebten und keine Angst vor Menschen hatten. Doch schon oft habe ich gesehen, wie Tauben in halb offene Cafés geflogen sind und dort zum Beispiel Kuchenreste vom Boden aßen. Auch Plastik war keine Seltenheit. 

Aber trotz einiger Unschönheiten, ist ein Bahnhof eine Quelle der Inspiration. Besonders ein Hauptbahnhof. Menschen aus vielen verschiedenen Ländern bringen ein Stückchen ihrer Kultur hierher. Gestresste Eltern, die ihre Kinder versuchen bei sich zu halten. Jugendliche, die von ihrer Shoppingtour nach Hause fahren. Kleinkinder, die abwechselnd kichern und dann wieder weinen. Und auch Haustiere gab es.

Doch mir fehlt eine Person. Betina. Sollte ich doch auf die Uhr sehen? Nur ganz kurz? 

Nein, ich sollte versuchen runterzukommen. Dass ist das erste Mal, dass wir uns beide gegenüberstehen werde. Sonst haben wir jahrelang geschrieben, telefoniert, per Video gechattet oder uns sogar zu besonderen Tagen Geschenke mit der Post verschickt. Doch auf einmal fühle ich mich als würde eine Fremde auf den Weg zu mir sein. 

Deswegen ist mir der erste richtige Eindruck auch so wichtig. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich hinpacke, wenn ich auf sie zugehe, weil mein Schnürsenkel offen ist. Oder wenn ich den Griff ihres Koffers kaputtmache, weil ich ihn ihr aus Höflichkeit abnehmen möchte? Das alles wird wohl wirklich in einer Katastrophe enden.

Ich muss um jeden Preis runterkommen. Alles ist gut. Betina wird sich wegen meiner Tollpatschigkeit schon kein Hotel als Notfall-Unterkunft buchen. Sie mag mich doch so, wie ich bin. 

Genau. Deswegen wird alles gut gehen, wenn sie bald hier ankommt. Ich begrüße sie einfach und- Warte. Wie begrüße ich sie überhaupt?

Ist ein "Hi, wie geht's?" zu einfach? Oder zu locker? Sollte ich "Hallo, Betina. Schön dich endlich zu sehen" sagen oder sollte ich nur lächeln und ihr zuwinken? Oder sollte ich sie umarmen? Aber ist das nicht peinlich? Also für sie?

Ich würde sie schon gerne umarmen. Nur wenn sie das nicht will, dass zerstöre ich den ganzen Moment. Nein darauf kann ich verzichten. Ich begrüße sie allein mit Worten und frage dann, ob ich ihr ihren Koffer abnehmen kann. Das dürfte doch so ziemlich die beste Lösung für-

Plötzlich ertönte eine Durchsage, die mich aus meinen Gedanken riss. Oder mich zumindest auf andere brachte und mich in leichte Panik versetzte. Denn Betinas Zug würde gleich hier in den Hauptbahnhof fahren. 

Augenblicklich saß ich komplett aufrecht auf der metallischen Bank des Bahnhof und versuchte wieder einmal runterzukommen. Doch vergebens. Wieso war ich so verdammt aufgeregt? Wir kannten uns seit einer halben Ewigkeit. Wo lag das Problem?

Ich atmete einmal tief durch und stand von meinem Platz auf. Im Stehen findet sie mich besser und ich sie genauso. Einige andere Menschen standen ebenfalls auf oder stellten sich mit ihren Koffern ans Gleis. 

Mein Herzschlag wurde schneller, als ich hörte, wie ein Zug immer näher kam. Die Bremsen quietschten und auch so wurde es lauter auf Gleis 23. 

Noch einmal atmete ich tief durch. Die Unruhe in mir machte mich allmählich verrückt. Und dass ich verrückt werde, ist ebenfalls nicht gut. Am Ende stelle ich dann wirklich noch etwas Tollpatschiges an. 

Der Zug hielt. Die Türen öffneten sich. Menschen strömten heraus. 

Am Zug stand wirklich Wagen 29, womit ich eigentlich richtig stehen müsste. Denn ich stand direkt vor einer Tür und die andere Tür des Wagens lag zu meiner linken in Richtung der Geschäfte hier. Somit konnte ich Betina nicht übersehen. 

Meine Hände hatte ich als Vorsichtsmaßnahme in meine Manteltaschen getan. Denn so konnte niemand sehen, wenn sie vor Aufregung doch anfangen würden zu zittern. Vielleicht taten sie das auch schon. Ich wusste es nicht.

Mehrmals beugte ich mich etwas vor und wieder zurück, um Betina auch wirklich nicht zu übersehen. So freundlich wie sie war, hat sie bestimmt alle zuerst rausgelassen und kommt damit wohl als letzte raus. Oder vielleicht hat sie auch Probleme mit ihrem Koffer. Aber der sollte eigentlich recht klein sein. Immerhin bleibt sie auch nur zwei-

"Hey, Namjoon", sagte eine gut gelaunte und zuckersüße Stimme auf einmal neben mir. Überrascht sah ich zur Seite - dazu senkte ich meinen Kopf etwas, weil sie einen Kopf kleiner war als ich - und entdeckte tatsächlich Betina. 

"Hey", brachte ich nur freudig heraus. "Wie geht's?" Sie fing an zu kichern. "Ganz gut. Immerhin bin ich nach so langer Zeit endlich mal bei dir." 

Bevor ich etwas erwidern konnte, schlag sie lachend beide Arme um mich. Die Umarmung erwiderte ich sofort und musste auch kurz auflachen. Es war schön, sie in meinen Armen halten zu dürfen.

Weswegen habe ich mir vorhin eigentlich so viele Sorgen gemacht?

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1139 Wörter

Die Abstände zwischen dem Hochladen einzelner Kapitel wird jetzt - wie ihr wahrscheinlich schon gemerkt habt - etwas länger sein. Aber keine Sorge, das Buch hier führe ich immer noch weiter, selbst wenn mal für einen Monat mal nichts kommen sollte. Sollte ich das Buch jemals beenden, würde ich das natürlich sagen und kennzeichnen.
Aber bis es dazu kommt, wird es noch lange hin sein.

~🌹LY🌹~

BTS One ShotsOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz