4. Yoongi

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Da sitze ich wieder. Nichts machend in meinem Zimmer. Allein, bei spärlichen Lichtverhältnissen, die meine Augen weiterhin strapazieren und durch die nahen Bildschirme vor mir kaputtgehen. Aber was soll's? Ich habe andere Probleme.

Beim Speichern der Power Point auf meinen grau-schwarzen USB-Stick ist etwas schiefgegangen. Alle Formatierungen sind nun für die Tonne. Zum Glück bin ich gestern schon mit dem anderen Vortrag fertig geworden. Sonst hätte ich den heute auch noch machen müssen.

Dafür muss ich zu übermorgen aber einen anderen Vortag vorbereiten. Zwar sind es nur wenige Stichpunkte, weil es eine Gruppenarbeit ist, aber trotzdem will ich eine gute Note. Immerhin stehe ich noch knapp zwei. Aber nur knapp.

Und für zwei Tests zum Ende der Woche muss ich auch noch lernen. Dabei hat eine Freundin von mir bald Geburtstag und meine Eltern wollen mit mir und meinen Geschwistern Essen gehen. Zeit für Freizeit ist da nicht. Genauso wie die Zeit für die Schule. 

Denn es gibt noch mehr Probleme. Und diese kündigen sich gerade beim Anschauen meiner Wanduhr an. Ich tippe einfach mal darauf, dass es viertel nach 10 ist. Genau erkennen kann ich die Zahlen nicht. 

Mit einem Seufzten verließ ich mein Bett und stellte mich vor meinen Spiegel. Wie ich erwartet hatte, bin ich nicht wirklich in der Lage, mein eigenes Gesicht aus rund anderthalb Entfernung einwandfrei zu erkennen. Einmal mehr in meinem Leben saß ich zu lange vor einem Bildschirm.

Ich ging einfach wieder in mein Bett und legte meinen Laptop zurück auf meinen Schoß. Denn den Vortag muss ich heute fertig überarbeitet haben. Ansonsten kann ich mir eine einigermaßen gute Noten abschminken. Allein weil es schon für das fehlende Handout weniger Punkte gibt.

Da fällt mir noch etwas ein. Für Englisch nächste Woche muss ich auch noch unbedingt lernen. Wenn ich mich nicht irrte, wollte sogar jemand mit mir üben. War es Yoongi oder Namjoon? Ich weiß es nicht mehr.

Obwohl ich eher vermute, dass Namjoon so freundlich war und mir Englisch-Nachhilfe angeboten hat, will ich von Yoongi noch etwas anderes. Da er eine der wenigen Personen ist, die von meinem kleinen Augenproblem wissen - denn ansonsten weiß ich natürlich nur noch davon  - wollte ich noch einmal mit ihm darüber sprechen. Denn seit Neustem wird es schlimmer.

Aber weder ich habe Zeit, noch er. Diese Woche ist für viele einfach stressig. Und ich muss immer noch überlegen, was ich meiner Freundin zum Geburtstag schenke. Nein, das kommt später. Erst einmal muss die Power Point fertig werden. Dabei bin ich so müde. 

Und meine Augen tun weh.

Mit Mühe und etwas Traubenzucker habe ich es innerhalb einer halben Stunde oder so ähnlich geschafft, die Formatierungen wieder in Ordnung zu bringen. Alles stimmt wieder und ich kann endlich mein technisches Gerät mit seinem viel zu hellen Bildschirm zuklappen. 

Mit dem Zuklappen des Laptops schließe ich auch meine angestrengten Augen. Sie sind zwar immer noch gereizt, aber bis morgen Früh wird das wieder. Das war schon immer so. Nur jetzt sollte ich wirklich schlafen, meine Augen entspannen und den leichten aber unangenehmen Schmerz vergessen. Denn in meinen Träumen ist die Welt zwar nicht immer perfekt, aber meine Traumwelten sind besser als die Realität.

Kaum will ich wirklich einschlafen, fällt mir noch ein, dass ich erstens noch den Laptop auf dem Schoß habe und zweitens ich eigentlich jetzt noch nach einem Geschenk suchen sollte. Denn das muss ich innerhalb der nächsten Tage besorgen. Wenn ich überhaupt noch etwas Zeit habe.

Also schaue ich wieder auf einen Bildschirm. Doch eine Nachricht irritiert mich. "Komm ans Fenster" hatte mir jemand geschrieben. Seufzend stehe ich auf und laufe müde zu meinem Fenster. Mein Blick ist auf die Vogeltränke hinten im Garten gerichtet. Mein unscharfer Blick ist darauf gerichtet. 

Doch schon kurz danach taucht jemand vor meinem Fenster auf. Und dieser Person öffne ich sofort das Fenster. "Na, Weya? Arbeitest du immer noch am Vortrag?", fragt einer meiner beste Freunde. Für einen Moment sehe ich ihn ausdruckslos an. Aber bevor ich ihn fragen kann, ob es Yoongis Ernst sei, meint er von allein, dass das ein Scherz sei. 

"Ich wollte nur fragen, ob ich reinkommen darf. Denn gerade habe ich etwas Zeit, die ich gerne dir widmen würde." Schön dass er jetzt Zeit hat, aber leider habe ich sie nicht. Dabei würde ich so gern mit Yoongi reden. Mir ist danach. Ich will es sogar.

Doch das Tolle an ihm ist, dass er nicht aufgibt. Besonders nicht, wenn es jemanden nicht gut geht und er das weiß. Denn dann bietet er immer an, mit ihm zu reden oder sich sogar bei ihm auszuheulen. Allerdings weiß ich ganz genau, dass nur ich mich bei ihm ausheulen darf. Meines Wissens nach bin ich nämlich die Einzige, die dieses Angebot von ihm bekommen hat.

Bevor ich auf seine Frage antworten konnte, klettert er schon durch mein Fenster und setzt sich auf meine Couch. Ich akzeptiere das einfach und setze mich zu ihm. 

Auf einmal holt er eine kleine Packung Taschentücher aus seiner Jackentasche und hält sie mir hin. Ich sehe ihn fragend an. "Du darfst dich nun bei mir ausheulen, Weya." Jetzt? Ich habe keine Zeit dafür. Denn ich muss ja eigentlich immer noch ein Geschenk finden und vielleicht sollte ich auch schon mit dem Lernen für einen Test beginnen. Und ich muss meine Anziehsachen für morgen noch raussuchen.

Ich stehe auf und gehe zu meinem Kleiderschrank. Zumindest hatte ich das vor. Yoongi hat aber meine Hand genommen und hält mich somit an Ort und Stelle. Er sieht mich einfach nur an. Aber warum auch immer weckt das ein schlechtes Gewissen in mir. 

So gerne ich ihm von meinen Schmerzen erzählen möchte; ich kann es nicht. Jedoch möchte ich das tun. Ich möchte mir meinen Schmerz von der Seele reden. Nur habe ich nicht die Zeit dafür.

"Yoongi, kann ich ins Bett gehen? Ich bin wirklich müde und muss morgen fit sein", bitte ich ihn, doch er weigert sich, indem er mir das mit einem Kopfschütteln zeigt. "Weya, es tut mir leid, dass ich in letzter Zeit nicht so viel Zeit für dich hatte. Aber nun habe ich Zeit. Und diese Zeit sollten wir nutzen, bevor du mir wirklich noch... einschläfst."

Sanft zieht mich Yoongi zurück auf die Couch. Sein eindringlicher und trotzdem liebevoller und besorgter Blick, sein flüsterndes Bitte und die leichten Kreisbewegungen, die sein Daumen auf meinem Handrücken ausübt, lösen etwas in mir aus. Eine Welle an Tränen.

Denn ich habe Angst. Sehr große Angst sogar.

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1058 Wörter 

Ich habe mal eine andere Zeitform beim Schreiben genommen und gelernt, dass ich diese nie wieder benutzen werde. Falls ich in diesem One Shot alle möglichen Zeitformen wild durcheinander gewürfelt habe, dann tut es mir leid. Aber dieses Buch ist auch für mich da, um Neues auszuprobieren.

~🌹LY🌹~

BTS One ShotsOù les histoires vivent. Découvrez maintenant