Kapitel | 3

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Ich folgte dem jungen Mann namens Hvitserk die Straßen hinab. Während ich darauf achtete nicht nochmal jemanden umzulaufen, sah ich mich fasziniert um. Ich war tatsächlich in einer echten Wikingerstadt!

Diese Erkenntnis machte mir Angst, doch gleichzeitig war es berauschend. Ich hatte mir schon so oft vorgestellt in der Wikingerzeit zu leben - und nun war es tatsächlich passiert!

Die Leute, die uns entgegen kamen sahen mir misstrauisch nach. Manche grüßten Hvitserk, er schien hier wohl bekannter zu sein.
Eine junge Frau mit hellblonden Haaren hielt vor uns an. Sie hatte kleine Kinder an der Hand und lächelte als sie uns sah. "Hvitserk"
"Torvi"

"Wen hast du da?", sie sah zu mir und der kleine Junge an ihrer Hand bewarfen mich mit Sand. "Das ist Eivor."
Torvi hieß mich in Kattegat willkommen und unterhielt sich noch etwas mit Hvitserk.

"Gibt es Neuigkeiten von Björn?", fragte dieser. Torvi schüttelte den Kopf. "Nein. Nichts." Hvitserk lächelte sie aufmunternd an. Als wir weiter gingen, erklärte er mir, dass Torvi die Frau von seinem Halbbruder Björn sei. Ihr Vater war der berühmte Ragnar Lodbrok, über den ich schon viel gelesen hatte.

Während wir zur Halle der Königin gingen, versuchte Hvitserk ein Gespräch zu beginnen. "Woher kommst du Eivor? Deinem Akzent nach kommst du wohl nicht aus Norwegen."

Ach herrje! Ich war in Norwegen!?
"Ja, äh..." Ich räusperte mich. "Ich komme aus Hedeby.", log ich. Mir wäre gerade wieder eingefallen, dass Haithabu auf Altnordisch Hedeby genannt wurde und da mir auf die Schnelle nichts besseres eingefallen war...

"Hedeby, wirklich? Ich war einmal da. Eine beeindruckende Handelsstadt.", sagte Hvitserk. Ich nickte stumm.
"Und bist du ganz alleine hier?"
Wieso wollte er das alles wissen? Ich brauchte eine gute Lüge.

"Ja. Ich ähm... Unser Schiff ist in einen Sturm geraten und ich wurde alleine hier angespült.", sagte ich und hoffte, dass es irgendwie sinnvoll klang.

Hvitserk sah mich besorgt nach mir um. "Das tut mir Leid. Deine Familie wird sicher nach dir suchen. So lange kannst du bei uns bleiben."
Ich wusste nicht, ob das jetzt gut oder schlecht sein sollte. "Danke", sagte ich halbherzig.

Wir kamen zu einem großen Haus, welches von außen mit Rundschilen und Tierschädeln geschmückt war. Hvitserk führte mich hinein und meine Augen brauchten etwas um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen.

Drinnen gab es eine große Halle, von der schmale Türen zu Seite abgingen. In der Mitte stand ein massiver Holztisch mit Bänken, die mit Fellen bedeckt waren. Im hinteren Teil der Raumes war ein kleines Podest. Dort stand ein hoher Thron aus verziertem Holz.

Überall hingen Fackeln und an den Wänden standen einige Bänke und Stühle. Erst jetzt sah ich die drei Personen, die dort saßen. Hvitserk steuerte direkt auf sie zu. Ein Mädchen mit langen blonden Haaren stand neben zwei Jungen, die sich anschreien.

Der eine hatte einen Undercut und sein braunes Haar war geflochten. Er hatte die Arme verschränkt und stritt mit einem Jungen. Dieser hatte dunkles Haar, ebenfalls mit Undercut.

Er saß auf der Bank und funkelte den offensichtlich Älteren an. Seine Augen waren unglaublich blau.
"Wo ist Lagertha?", unterbrach Hvitserk die Streitenden.

Der Sitzende hielt in seinen Beschimpfungen inne und blickte auf. "Ohhh, Hvitserk! Wen hast du da mitgebracht?" Er sah mich mit seinen stechenden Augen an und ich blieb verunsichert stehen.

"Halt die Klappe Ivar! Ich hab euch was gefragt." Er ging so vertraut mit diesen Leuten um, dass er sie gut kennen musste.

"Sie ist zum Hafen gegangen, um die Beute der Gunnars einzusehen.", sagte der Große. Es war nicht zu übersehen, dass er das Sagen hier hatte. Hvitserk seufzte. "Gut. Das hier ist Eivor." Er zeigte auf mich. "Und das sind meine Brüder. Ubbe, seine Frau Margrethe und-."

"Ich bin Ivar. Der Knochenlose."
Etwas klickte in meinem Gehirn. Das war also Ivar der Knochenlose?

Ich hatte in dem Museum darüber gelesen. Er soll ein brutaler Krieger gewesen sein und mit Leichtigkeit die Stadt York in England eingenommen haben. Als ich jetzt vor ihm stand, sah er gar nicht so brutal aus. Er mustert mich eindringlich.

Ich starrte auf das Messer in seiner Hand, welcher er immer wieder über seine Finger gleiten ließ. Plötzlich stockte ich. Ich kannte dieses Messer! Es sah genauso aus, wie das, welches ich in Heithabu angefasst hatte!

Mir wurde plötzlich schwindelig und ich taumelte. Ich spürte einen festen Griff am Arm und dann saß ich plötzlich auf einer Bank. "Alles in Ordnung?", fragte Ubbe und ich nickte. Er sah mich stirnrunzelnd an. Dann blickte er fragend zu Hvitserk.

"Sie kommt aus Hedeby. Hat Schiffbruch erlitten." Ubbe nickte und sah an mir herunter. Ich biss mir auf die Lippe. Eine Lüge über die neueste Mode in Haithabu würden sie mir nie glauben.

"Margrethe", sagte Ubbe zu dem Mädchen. "Ihr zwei scheint die selbe Größe zu haben. Kannst du ihr nicht erst einmal eines deiner Kleider leihen?"

Margrethe wirkte nicht sehr glücklich darüber. "Sicher", sagte sie mit verkniffenen Lippen.

Sie bedeutete mir zu folgen und wir gingen in einen angrenzenden Raum.
Margrethe kniete sich vor eine große Holztuhe und wühlte darin herum. "Du hast Schiffbruch erlitten?", fragte sie. "Ja", antwortete ich und versuchte traurig zu wirken.
"Wo wolltet ihr hinsegeln?" Ich schluckte. "England", log ich.

Margrethe zog eine Augenbraue hoch. Ich wusste nicht wieso, aber sie war mir unsympathisch. "Dann seid ihr aber ziemlich weit vom Kurs abgekommen!"
"Es gab ein Gewitter.", sagte ich nur.
Margrethe holte ein schlichtes Kleid hervor und drückte es mir in die Arme.

Es war so eines wie unser Guide im Museum getragen hatte. Das Unterkleid war aus hellen Leinen, die Schürze aus brauner Wolle. Es hatte keine Broschen oder Ketten, wie ich es aus dem Museum kannte. Allgemein wirkte er recht heruntergekommen. "Das ist ein altes Kleid von früher. Du kannst es haben, ich brauche es nicht mehr."
Ich lächelte sie an. "Danke."

Margrethe lächelte kühl. Sie beugte sich zu mir und zischte. "Und lass die Finger von Ubbe!" Damit verließ sie den Raum ohne weitere Worte und ich begann mich umzuziehen. Was war bloß mit der los? Ich hatte doch kein einziges Wort mit Ubbe gewechselt! Wahrscheinlich möchte sie mich einfach nur nicht.

Meine Unterwäsche und Sneakers ließ ich an. Da das Kleid bodenlang war, sah man meine eh Schuhe nicht.

Between Two WorldsWhere stories live. Discover now