Kapitel | 26

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Schule war schon immer ätzend. Aber seit meiner Reise in die Vergangenheit war es noch schlimmer. Alles kam mir so unwirklich vor, wie in einem Traum. Die Tage waren routiniert. Ich ging Morgens zur Schule, saß meine Zeit ab und war froh, wenn ich Nachmittags wieder Zuhause war. Doch mich beteiligen oder richtig zehören tat ich nie. Meine Lehrer machten sich Sorgen und fragten natürlich nach der Ursache, doch ich riss mich zusammen und versicherte ihnen dass alles okay sei und ich mich bessern würde.

Meine Eltern schien nichts aufzufallen, odef sie erähnten es einfach nur nicht. Im großen und ganzen versuchte ich normal zu verhalten. Doch was war schon normal, nachdem man mehrere Monate im 9 Jahrhundert verbracht hatte? Die wirkliche Welt jedoch schien mir nun fremd. Die ersten Tage waren so durcheinander wie noch nie. Ivars Messer ließ ich nie zurück. Ich schnallte es um mein Bein und ließ es unter der Jeans verschwinden. Schließlich war das zusammen mit dem Kleid, welches ich im Schrank versteckt hatte, meine einzige Erinnerung.

Und natürlich mein klopfendes Herz, wenn ich an Kattegat dachte. Ich duschte nur noch kalt, aß mehr Fleisch als zuvor und vermied Auto fahren so gut es ging. Jede Tag flocht ich meine Haare zu Zöpfen und es war mir egal, dass die Leute mich komisch ansahen. Inswischen war mir viel egal, was mir früher mega peinlich gewesen wäre.

Und wenn die Sehnsucht zu groß wurde schlief ich auf dem Fußboden und stellte mir vor, ich läge auf einem der Drachenschiffe. Ich träumte von meinen Freunden aus der Vergangenheit, vom Meer und sogar dem Kriegsgeschrei in Winchester. Manchmal sogar von Ivar, aber das waren eher Alpträume. Trotzdem vermisste ich all das. Ich wollte zurück, doch ich wusste, das war unmöglich. Ich war gefangen zwischen zwei Welten und gezwungen mich der anzupassen, in der ich gar nicht mehr sein wollte.

Einige Wochen später passierte es dann. Ich saß nichts ahnend in der Schule. Wir hatten gerade Pause und ich kaute gedankenverloren an meinem Brot herum, so wie jeden Tag. In meinem Kopf war ich ganz weit weg. Ich erlebte gerade die Stelle, an der ich Hvitserk die Wahrheit über mich erzählt hatte, noch einmal. Da riss mich eine Stime aus meinen Träumen.

Es war Jonas, einer der Classenclowns, der mich musterte. "He Eivor! Ich wollte dich das schon längst fragen, aber hast du einen Freund?" Ich verdrehte nur die Augen und ignorierte ihn. Was sollte ich auch antworten? 'Ja, aber der ist seit tausend Jahren tot!?' Wohl kaum. Dann würden mich erst recht alle für verrückt halten.
"Komm schon.", hakte Jonas nach. "Du wirkst in letzter Zeit so abwesend. Bist du in Gedanken bei deinem Macker?"

Ich ballte die Fäuste unterm Tisch. Wieso redete der denn jetzt mit mir? All die Jahre hat er mich nie auch nur angesehen! Was sollte das denn? Und überhaupt - wer war er um so über Hvitserk zu reden. Er kannte ihn ja nicht mal. Wenn Jonas wissen würde, wer er wohl wirklich war...

Ich schluckte meine Wut und Verwirrtheit herunterund antwortete: "Das geht dich nichts an. Was interessiert dich das überhaupt?"
Jonas zuckte mit den Schultern. "Nur so. War neugierig. Wo bist du eigentlich beim Aussflug letztens gewesen?" Ich senkte den Blick und wünschte, er würde die Klappe halten.

"Du warst plötzlich weg. Hast dich mit Wikingern rumgetrieben?" Er lachte und auf einmal wurde alles zu viel. "Vielleicht hätten die dich da lassen sollen, warst ja schon immer ein bisschen altmodisch." Er grinste seine Freunde an, die pflichtbewusst nickten.

Plötzlich hielt ich es nicht mehr aus.
"Bei Odin, kannt du nicht einmal die Klappe halten?", fuhr ich ihn an. Ich hatte mit einem hässlichen Kommentar gerechnet. Doch alle starrten mich an, als wäre ich ein Alien oder so was. Und dann fiel mir auch auf wieso.
Bei Odin. Verdammt. Jetzt drehte ich wirklich durch.

Da stürzte alles auf mich ein. All die Erinnerungen, die ich bisher versucht hatte zu sortieren. All die Sehnsüchte und Verluste. Meine immer noch existierenden Gefühle für Hvitserk. Ehe ich anders reagieren konnte, sprang ich auf, schnappte meine Sachen und rannte davon. Meine beste Freundin Kati sah mir nur verdattert hinterher. Ich hörte das Murmeln der anderen und Jonas Lachen. Es verfolgte mich den ganzen Weg aus der Schule heraus.
Ich machte mir keine Gedanken darüber, dass ich den restlichen Unterricht verpasste. Dass ich schwänzte.

Früher hätte ich das nie gemacht. Aber jetzt war es mir egal. Schule allgemein war mir egal. Das brachte doch eh nichts. Was lernte man schon fürs Leben? Man wurde benotet nach den Leistungen die man erbrachte. Wurde getestet, nach Wissen, dass man eine Nacht vorher auswendig gelernt und danach sofort vergessen hatte.

Was brachte einem das im Leben? Brachte Schule einem bei, wie man erwachsen wurde? Wie man Freunde findet und Beziehungen knüpft? All dieses Lernen hatte nichts als einen guten Abschluss als Ziel, der einem einen guten Beruf erschaffen soll, damit man viel Geld verdiente. Klar, Bildung und Geld war wichtig in dieser Gesellschaft. Doch was änderte das?

Konnte man dadurch sein Schicksal neu bestimmen? Sein Leben lebensweter machen? Unzählige Leute lebten ein routiiertes Leben, folgten der Norm ohne richtig was gemacht zu haben. Ich hatte in den letzten Monaten mehr erlebt als andere vielleicht in ihrem ganzen Leben. Andere lebten vor sich hin, ohne richtig zu leben. Und ich wusste, ich wollte das nicht. Ich wollte einen Sinn, ein größeres Ziel. Abwechslung. Ich wollte mein Leben in Kattegat zurück.

Im Bus kämpfte ich meine Tränen zurück und zückte mein Handy. Schnell schrieb ich Kari eine WhatsApp, um ihr zu sagen, dass es mir nicht gut ging und es ihr später erkläre. Seufzend sah ich aus dem großen Fenster, hinaus zu den Feldern, die am Straßenrand entlangzogen.

Der Bus kam mir viel zu klein vor und engte mich ein. Aber im Grunde genommen war es nur eine moderne Art der Transportation. Wie ein Drachenschiff. Das versuchte ich mir zumindest einzureden. All das machte keinen Sinn. All das, was früher so normal gewesen war, war jetzt auf den Kopf gestellt. Sinnlos.
Ich schloss die Augen und fasste einen Entschluss. Ich brauchte eine Veränderung.

Between Two WorldsWhere stories live. Discover now