Kapitel | 8

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Seit der Sache in der großen Halle wusste ich nicht, wie ich mit Hvitserk gegenüber verhalten sollte. Ich ging ihn größtenteils aus dem Weg und beim Essen wechselten wir eh keine Worte, außer, dass ich ihm neuen Met holte oder Speisen brachte.

Dennoch spürte ich seine Blicke, die mich durchbohrten. Sie waren nicht so wie bei den anderen Männern, aufdringlich und zweideutig, sondern fragend und verwirrt. Ivar und Ubbe schien aufgefallen zu sein, das etwas nicht stimmte, denn Ube rammte seinen Bruder den Arm in die Seite und flüsterte ihm grinsend etwas zu.

Hvitserk verdrehte die Augen und Ivar kicherte. Mehr bekam ich nicht von ihnen mit, deshalb überrasche es mich, dass er nach dem Mittagessen draußen auf mich wartete. Er lehnte gegen die Holzwand und schien in Gedanken vertieft, als ich hinaus in die Sonne trat.

Kühler Wind wehte vom Meer hinauf und ich zog den braunen Umhang enger um mich, den ich inzwischen immer draußen trug. "Eivor!", Hvitserk stieß sich ab und kam auf mich zu. Meine Schritte wurden langsamer und ich blieb einige Meter vor ihm stehen. "Ja?"

"Ich- Tut mir Leid wegen gestern.", erklärte er und sah zu seinen Stiefeln hinab. Ich schluckte und in meinem Kopf drehte sich alles. "Ist schon gut.", murmelte ich und irgendwie stimme das auch. Der Kuss hatte mich nicht so sehr gestört, wie ich es normalerweise gedacht hätte.

"Können wir das einfach vergessen?", schlug ich vor. Hvitserk sah etwas betroffen aus, doch er nickte tapfer. "Klar." Er lächelte mich an und mir wurde augenblicklich wärmer. Ich lächelte zurück.

"Hey, ist alles in Ordnung?", fragte er. "Du wirkst in letzter Zeit so in Gedanken." Und er hatte sich nicht gefragt, ob das mit seinem Kuss zu tun hatte? Aber er hatte recht, ich war in Gedanken. Und das schon die letzten Tage. Ich seufzte. "Es ist nur... Das was ich dir gestern erzählt habe."

"Das mit-" Er runzelte die Stirn und sah sich um. "Das mit der Zukunft?" Ich nickte. "Wiesoglaubst du mir das eigentlich? Jeder andere würde mich für verrückt halten." Er lächelte. "Du bist nicht verrückt. Und glaube mir, wenn es so wäre, wäre es nicht schlimm. Es gibt viele verrückte Dinge in dieser Welt."

Wir gingen nebeneinander den Weg entlang in Richtung Dorfmitte. Ich sah schon von weitem die große Götterstatue, die noch vom letzten Fest dort stand.
"Meine Mutter konnte die Zukunft sehen.", erzählt er und ich sah ihn erstaunt an. "Sie hatte Visionen im Schlaf. Und als Ragnar gestorben ist, hat sich Odin selbst mit und meinen Brüdern gezeigt."

Ich wusste nicht so recht, ob ich seinen Worten Glauben schenken konnte. Er sah mich eindringlich an. "Also wenn die Götter auf der Erde erscheinen und uns die Zukunft sehen lassen können, glaubst du nicht, dass sie auch Menschen duch Die Zeit schicken können?"

Es klang so weise, was er sagte, dabei war er nur ein paar Jahre älter als ich. Ich war mit meinen 19 Jahren noch nie sonderlich weise gewesen. Ich biss mir auf die Unterlippe und dachte darüber nach. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht gab es wirklich Götter oder irgendeine höhere Kraft die all dies hier kontrollieren konnte.

Bevor mein Gehirn explodieren konnte, brach alles aus mir heraus. Alle Gedanken und Ängste, die sich aufgestaut hatten. Ich erzählte ihm wie ich hergekommen war, dass ich mit unserer Klasse im Wikingermuseum und plötzlich hier aufgetaucht war, nachdem ich diesen Doch angefasst hatte.

Ich erzählte ihm wieso ich Isländisch konnte und wo ich eigentlich herkam. Ich erwartete nicht, dass er all das verstand, doch es reichte dass er mir zuhörte. Am Ende war ich den Tränen nahe. "Ich weiß nicht wie ich hier her gekommen bin und ich hab Angst, dass ich nie wieder zurück komme!"

Tröstend legte er einen Arm um mich und ich schniefte. "Was wenn ich nie wieder nach Hause kann?", flüsterte ich. "Das wird nicht passieren.", sagte Hvitserk bestimmt. "Du wirst zurück in deine Zeit finden. Und ich were dir dabei helfen. Ich weiß auch schon wen wir fragen können."

Die windschiefe Hütte des Sehers lag etwas außerhalb Kattegats, eingepfercht von einem Holzzaun. Leder hing wie Stiffbahnen vor der Tür und Tierschädel hingen darüber. Weitere kleine waren wie Trophäen auf Stöcker gespießt und standen um den Eingang herum.

Ihre leeren Augenhöhlen schienen mich anzustarren und jeden meiner Schritte zu verfolgen. Runen waren in blutroter Farbe überall hingemalt. Hvitserk ging voraus und betrat das dunkle Innere. Zögernd folgte ich ihm. Zuerst sah ich gar nichts, so dunkel war es. Dann erkannte ich einige Schemen.

Treibholz war zu Girlanden zusammengebunden, die quer durch den Raum hingen. Es roch nach Rauch und nassem Hund und und es stank irgendwie nach totem Tier. In der Mitte war eine Art Bett aus Tierfellen, auf denen eine gedrungen Gestalt saß.

Der Seher selbst hatte sich in dunkle Umhänge gehüllt und eine Kapuze verbarg sein Gesicht. Dennoch konnte ich die vielen Narben um seine schwarzen Lippen erkennen.
"Seher.", richtete Hvitserk das Wort an den Mann. Dieser atmete schwer, als hätte er Asthma. "Sohn von Ragnar. Es ist lange her."

"Wir brauchen deinen Rat.", sagte Hvitserk und kniete sich vor ihn. Ich folgte seinem Beispiel, denn eine Bank oder ähnliches konnte ich nirgendwo entdecken. Der alte Mann sagte nichts, sondern streckte seine schwielige Hand aus.

Hvitserk beugte sich herab und leckte ihm über die Handfläche.
Angewidert sah ich zu. Der Seher sah meinen Freund wissend an und murmelte: "Die Götter haben Großes mit dir vor. Eine weite Reise steht dir bevor."

"Nicht ich", begann Hvitserk, doch der Seher plapperte einfach weiter. "Unheil erwartet dich, junger Ragnarson. Ein Krieg. Eine Blutfehde. Du wirst dich entscheiden müssen. Achte darauf die richtige Seite zu wählen."

Hvitserk sah ihn fragend an, doch der Seher hatte nichts hinzuzufügen. "Was ist mit ihr? Wie ist sie hierher gekommen? Was haben die Götter mit ihr vor?", fragte Hvitserk und deutete auf mich. Der Alte drehte mich zu mir und schien mich erst jetzt richtig wahrzunehmen.

Ohne ein Wort streckte er seine runzelige Handfläche aus. Entsetzt blickte ich Hvitserk an, welcher mir bekräftigend zuknickte. Also beugte ich mich hinab und leckte über die Handfläche.

Ich musste mich zusammenreißen ein Würgen zu unterdrücken. Der Seher atmete knisternd ein, als hätte er gerade unbeschreibliches Wissen erlangt. "Junges Mädchen", begann er. "Die Zeit kann dein Freund sein, genauso wie dein Feind. Das Schicksal hat einen ungewöhnlichen Pfad für dich auserwählt." Er hustete. "Deine Zukunft ist verzweigt wie die Äste Yggdrasils. Du wirst bald eine schwere Entscheidung fällen müssen. Verlust begleitet deinen Weg." Ich zuckte zusammen. Verlust? Hieß das, dass jemand sterben würde?
"Und Verrat, jahh."
"Duch wen?", wollte Hvitserk wissen. Der Seher zuckte zusammen, als würde ihm die Antwort darauf Schmerzen bereiten. "Aargh, die Götter wollen mir nicht mehr verraten." Ich starrte ihn gebannt an. "Wie bin ich hierher gekommen?"
"Wie gesagt, die Götter-"
"Komme ich wieder nach Hause?", unterbrach ich ihn. Der Seher sah mich streng an und ich schluckte.
"Das ist alles, was ich weiß.", knurrte er und scheuchte uns aus seiner Hütte.
"Na toll.", grummelte Hvitserk. "Und ich hatte echt gedacht, dass das was bringen würde!"
Ich lächelte ihn dankbar an. "Ist schon gut. Es hat mir geholfen.", beteuerte ich. Zumindest wusste ich, dass ich jemanden verlieren würde, und dass mich jemand verraten würde. Vielleicht sogar die selbe Person? Ich kam nicht umhin jeden den ich hier kannte durchzugehen. Doch das machte mich nur verrückt und ich seufzte.
"Na ja.", machte Hvitserk und zuckte mit den Schultern. "Immerhin weiß ich jetzt, dass mir ein Krieg bevorsteht." Er lachte und schien das alles nicht so ernst zu nehmen. "Und dass du die richtige Entscheidung triffst.", fügte ich hinzu. "Richtig!", lachte er und legte mir einen Arm um die Schultern.
"Wie wärs, wenn wir einen Ausflug zu den Steilküsten machen?"

Between Two WorldsHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin