Kapitel | 27

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Die nächsten Tage spielte ich krank. Ich konnte nicht zurück in die Schule. Ich konnte einfach nicht. Kati schickte mir die Hausaufgaben und wollte mich besuchen, doch ich konnte sie gerade noch davon abhalten. Meine Eltern machten sich inzwischen ebenfalls Sorgen und meine Mutter wollte mich sogar zum Arzt schleppen. Doch irgendwie konnte mein Vater sie überzeugen, dass das letzte Abijahr mir wohl aufs Gemüt schlug und ich einfach ein paar Tage Zeit brauchte. Mein Vater war der Wahnsinn und mir wurde wieder bewusst, wie sehr ich die beiden vermisst hatte.

Einen Tag nach meinen Rückzug aus der Schule hatte ich mir die Haare geschnitten. Alleine vor dem Spiegel. Es war nicht perfekt, aber ausreichend. Sie waren nun nicht mehr so lang, sondern rechten bis knapp über die Schulter. Im Spiegel blickte mich plötzlich ein fremdes Mädchen an. Sie wirkte älter, erfahrener. Ich hatte mich in den letzten Monaten ziemlich verändert. Meine Wangen waren schmaler, nicht mehr so jugendlich wie vorher. Meine Haare wirkten gesünder und meine Haut hatte keinen einzigen Pickel.

Meine blauen Augen stachen zwischen der See gebräunten Haut kräftig hervor. Und die neue Frisur schien irgendwie besser zu der Kattegat-Eivor zu passen, die ich behalten wollte. Ich fragte mich, was Hvitserk wohl dazu gesagt hätte. Tränen stiegen mir in die Augen und schnell wischte ich sie fort.

Als ich nach unten in die Küche kam, stolperte ich über Koffer. Ich fluchte auf Altnordisch und rappelte mich auf. Meine Wltern wuselten umher und bereiteten alles Restliche für ihre Reise vor. Verdammt. Das hatte ich ja ganz vergessen! Meine Eltern fuhren zu meinen Großeltern. Oma war scgrecklich krank geworden, und Opa konnte sie alleine nicht Zuhause versorgen, weshalb meine Eltern kamen.

Mama hatte kurzfristig Urlaub genommen und Papa arbeitete eh oft von Zuhause aus, also war das kein Problem. Nur ich durfte nicht mit. Wegen der Schule. Am Anfgang war ich fürchterlich wütend gewesen deswegen, doch jetzt konnte ich es verstehen. Mama und Papa würden alle Hände voll zu tun haben, da würde ich nur stören.

Also verabschiedete ich meine Eltern und versprach jeden Tag anzurufen und ab Donnerstag wieder zur Schule zu gehen, wenn es mir besser ging.
Doch ich ging nicht zur Schule. Ich war allein Zuhause und das war alles, was ich im Moment brauchte. Ich versuchte mich an Hausaufgaben, scheiterte jedoch. Ich hatte tatsächlich vergessen wie Differenzialrechnung funktionierte. Nicht, dass ich das vorher gekonnt hätte, aber da hatte ich zumindest eine grobe Ahnung davon.

Ich lebte in die Tage, als hätte ich nichts zu verlieren, doch tief in meinem Inneren veränderte sich etwas. Ich wurde unruhig. Wusste, dass etwas passieren würde. Und das tat es. Es passierte im Traum. Ich träumte von Kattegat. Von meinen Freunden. Plötzlich stand der Seher vor mir, hinter ihm schemenhafte Gestalten. Der Alte strich mir it seiner faltigen Hand durchs Haar und wisperte: "Man kann sein Schicksal nicht aufhalten"

Dann trat ein großer Mann hervor. Sein langer Bart war mit Zöpfen geschmückt und auf seinen breiten Schultern saßen die größten Raben, die ich je gesehen hatte. Sein eines Auge war wulstig und vernarbt, sodass man die Iris nicht sehen konnte. Mir wurde schlagartig bewusst, wem ich gegenüber stand. Und dass das hier kein Traum war. "Folge deiner Bestimmung Eivor", sagte er in einer fremden Version von Altnordisch. "Die Götter werden dich leiten."

Er streckte einen Arm aus und die zwei Raben flogen davon. Wie aus einem Impuls heraus, ohne recht zu wissen warum, folgte ich ihnen. Es gab keinen Pfad oder Landschaften. Aber dennoch folgte ich dem Gekrächtze der Vögel bis vor mir etwas auftauchte: Ein Dachenbroot. Ich stieg hinein und plötzlich war ich mitten auf dem Meer. Überall um mich herum war Wasser. Auch da, wo ich zuvor noch gestanden hatte. Das Boot segelte von alleine und führte mich an einen bekannten Ort. Hedeby.

Ich wachte keuchend auf und riss die Decke fort. Meine Haut war klitzschnass. Doch es war nicht vom Schweiß, denn als ich mir eine Haarsträhne aus der Stirn wischte, war auch sie nass. Vollgesogen mit Salzwasser. Was passierte hier!? Hatte ich so etwas wie eine Vision gehabt? Eine Nachricht der Götter?

Ich verbannte die Gedanken aus meinem Kopf und ging unter die Dusche. Obwohl es drei Uhr nachts war. Doch das Bild der Götter und das Geräusch der Raben ließ mich nicht in Ruhe. Und plötzlich, aus demselben Grund, aus dem ich auch den Raben gefolgt war, fasste ich einen Entschluss. Ich musste zurück in die Vergangenheit!

Between Two WorldsWhere stories live. Discover now