Halloween Countdown 5 - Rückkehr in die Finsternis

5 - Weiße Mäuse

Hallo ihr Spukgestalten,
heute gibt es einmal eine etwas andere Geschichte von mir, persönlich gefällt sie mir aber recht gut! Wir begeben uns ins ferne Tschechien, offenbar Heimstätte einiger obskurer Gestalten ...
Viel Spaß!
Eure Bloody Mally

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Skyčice/Böhmen/späteres Tschechien, 1894

Der Jahrmarkt schmeckte nach Kandis und Zuckerwatte, klang wie eine Spieldose, die wunderbare Lieder in die Luft trug, und flimmerte wie ein faszinierendes Kaleidoskop aus unzählbaren Farben und Lichtern. Bunt drehten sich die hölzernen Pferde zu beschwingender Leierkastenmusik auf den Karussells, betörend dufteten die schmackhaften Speisen und zuckrigen süßen Teile in den farbenfroh angestrichenen Buden. Rufe und Lachen erfüllten das Ohr, Hände wurde gegriffen und aufgeregtes Schwatzen erklang, beinahe übertönt vom Gewehrknallen und dem darauffolgenden Jubeln an den funkelnden Schießbuden. Es war, als tauche man in eine unbekannte Welt, ein Wunderland, in dem das Draußen keinen Platz hatte, in das nichts eindringen konnte. Der Jahrmarkt war ein alter Bekannter, ein weniger dubios, aber charmant und aufgeschlossen, und er schloss ein jeden in eine bereitwillige Umarmung, säuselte Worte und packte das Herz mit faunischem Reiz. Er war ein Fremder, der eine eigentümliche, einzigartige Faszination an sich haften hatte - in der frühsten Kindheit, in der alles noch sonderbar und wundersam war, ganz besonders. Doch auch in längst erwachsenen Besuchern brach die alte Begeisterung auf, als die altvertrauten, sinisteren Lichter, Gerüche und Klänge wieder die Sinne erfüllten.

Zwischen den Buden und traumwandlerisch flanierenden Menschen ging die kleine Jarmila an der Hand ihrer Mutter. Irena Horáková, eine junge Frau mit schlanker Statur, Handschuhen, einer grauen Mantille und einem Kapotthut, hielt die Hand ihres Töchterchens im sicheren Griff. Sie war eine hübsche Frau, war kürzlich Sekretärin einer angesehenen Firma geworden, was ihr Bewunderung der Damen in der Nachbarschaft eingebracht hatte. Die kleine Jarunka war ein liebes kleines Mädchen von vier Jahren, welches das blonde Engelhaar der Mutter geerbt hatte, mit strahlend blauen Augen, die unter einem grünen Käppchen hervorschauten. Die kurzen Finger hielten eine noch verschlossene Kastanie umschlossen, die auf dem Weg zum Jahrmarkt gefunden ward - die biegsamen Stacheln bohrten sich schwach in die weiche Haut. Mit rosigen Wangen sah Jarunka sich auf dem Jahrmarkt um, die Lichter in den hellen Augen gespielt, der Mund ein Stück aufgesperrt vor Staunen. So viel Leuchten, so viele Stimmen. So viele Menschen, so viele Gerüche. So viel, so viel zu sehen! Wie wunderbar schmeckten die gebackenen Äpfel, die ihre Maminka ihr zu essen gab? Wie drehte sich die Welt auf dem glitzernden Karussell, wie weich war die Mähne des Holzpferdes, auf dessen Rücken die kleine Jarunka ritt? Hü, Pferdchen!, rief sie mit ihrer hellen Stimme und ihre Maminka lachte herzlich. Oh, wie märchenhaft war dieser Ort, ein Hort von Geschichten und Geheimnissen und Wundern?

Und da! Noch ein Wunderort, ein kleiner hölzerner Wagen mit buntem Plakat, dessen lockende Aufschrift - bílé myši - die kleine Jarka nicht lesen konnte. Buchstaben waren noch schwierig für das Kind, doch die Bemalungen erkannte die Kleine nur allzu gut.

»Mäuse! Mäuse!«, rief Jarunka und zog am Arm ihrer Maminka, sah mit großen Engelaugen zu ihr hinauf. »Maminka, lass uns die Mäuse anschauen, bitte!«

»Jarka, ich weiß nicht recht«, sagte Irenka, der beim Anblick des Wagens bang wurde. Ganz heruntergekommen war die Bude, das Holz modrig, die Aufschriften und Bemalungen abgeblättert. Pojďte blíž! Bílé myši! Spousta bílých myší! - Treten Sie näher! Weiße Mäuse, viele weiße Mäuse!

Am wenigsten behagte der jungen Frau die obskure Mannesgestalt, die vor dem Wagen bereitstand. Ein Mensch, männlich wohl, rundlich, verkleidet als weiße Maus. Der Kopf war aus Holz, ein Hasenzähne freigebendes Lächeln mit roten Lippen darauf gemalt, und Augen mit langen, schwarzen, klimpernden Wimpern. Schlaff hing das rechte Auge herunter, verlieh dem Mäuserich einen Anblick, als sei er beschwipst oder krank. Die Mäusenase war abgebrochen. Das Menschlein kleidete sich in ein abgerissenes, schwarzes Frack mit Handschuhen, roter Fliege und ausgetretenen, spitzen Schuhen. Ein Zylinder saß auf dem übergroßen Kopf.