Aggressionen

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Wie sollte es nun weiter gehen? Könnte ich darauf vertrauen, dass Levi nichts sagt und vor allem diese Situation nicht ausnutzt? Schließlich war es nun offensichtlich, dass er mehr als nur ein Grabscher war. Selbst der Corporal brauchte also ab und zu etwas „Ablenkung" und ich grinste etwas überlegen bei diesem Gedanken. Er war auch nur ein Mensch, zwar ein außergewöhnlicher aber nicht unnatürlich. Warum er sich gerade mich fürs Bett ausgesucht hatte, blieb mir schleierhaft. Er hätte genug Auswahl im Aufklärungstrupp und die Möglichkeit, jede Frau einzuschüchtern, so dass sie kein Wort über eventuelle Bettgeschichten erzählen würde. Doch falls es wirklich dazu kommen sollte, wie sollte ich selbst mich verhalten? Wäre es denn Belästigung? Ich hatte den Kuss erwidert und ich musste mir eingestehen: er war heiß und ich war nicht abgeneigt. Wäre er ein einfacher Soldat hätte ich nicht lang überlegt. Es war schon viel zu lange her, dass ich einen Mann an und in meinem Körper gespürt hatte. Aber Levi Ackerman, der Corporal?
Ich hatte nicht gemerkt, wie lange ich in diesem Gasthaus zubrachte und nachdachte. Erst gegen Abend machte ich mich wieder auf den Weg ins Hauptquartier. Vom Trainingsplatz her hörte ich mehr Geschrei als sonst. Es war tatsächlich Levi, der die Soldaten anschrie und fertig machte. Diese Stimme würde ich mittlerweile überall heraushören. Das sture Pferd wurde von mir versorgt und es wurde Zeit, dass auch ich mich „versorgte". Bis zum Abendessen war noch etwas Zeit, davor sollte noch eine Dusche drin sein. In den oberen Stockwerken angekommen, sah ich vom Gang durch die Fenster wieder auf den Trainingsplatz, sie waren jetzt wohl am Zweikampftraining. Interessant, diesmal gab es auch eine ungerade Zahl aber dafür eine Dreiergruppe. Kein Levi, der Einzeltraining gab, wie bei mir letztens, dachte ich noch als ich sah, dass er in den Kampf eines Paares eingriff. Ein Soldat wurde separiert und Levi schrie ihn ohne ersichtlichen Grund an. Soweit ich es beurteilen konnte, hatte der Soldat ganz normal trainiert. Ohne Vorwarnung bekam er einen Schlag mitten ins Gesicht. Er lag am Boden und krümmte sich vor Schmerzen, doch das war Levi nicht genug, ein Tritt mitten in den Bauchbereich folgte. Selbst beim Zusehen von weitem zuckte ich zusammen. Wieso tat der Corporal so etwas? Alle anderen Soldaten sahen geschockt zu, doch keiner traute sich etwas zu sagen. Anscheinend überlegte Levi nochmals nachzutreten, hielt sich jedoch zurück, schien das Training zu beenden und ging. Der verletzte Soldat lag immer noch am Boden. Ich wusste, sie würden ihn sofort auf die Krankenstation bringen, also beeilte ich mich, um vorbereitet zu sein.
Sie trugen den jungen Mann rein, er war bewusstlos. Seine Nase war gebrochen, zwei Zähne fehlten und ich hoffte, dass er keine inneren Verletzungen davon tragen würde. Ich verabreichte ihm Schmerzmittel, stillte Blutungen und salbte die verwundeten Stellen ein. Das wichtigste war, dass er unter Beobachtung steht, so könnten wir schnell reagieren, flößte ich den Krankenschwestern ein.
„Warum hat ihn der Corporal so zugerichtet?"
Die Soldaten, die ihren Kameraden gebracht hatte, wussten selbst keine Antwort.
Ich war sauer. Was stimmt mit dem Kerl nicht? Ich werde ihn zur Rede stellen und-
„Wie geht es ihm?"
Levi stand mit verschränkten Armen in der Tür. Die Soldaten trollten sich, sie wollten nicht auch auf der Krankenstation landen.
„Das blühende Leben ist er nicht. Nicht mehr...", ich hoffte, er würde den angepissten Unterton in meiner Stimme hören.
„Ich hab ihm einen Gefallen getan."
„Indem du ihm Zähne ausgeschlagen hast, die Nase brichst und wer weiß, was sonst noch geschädigt hast? Das ist kein Witz, was du hier veranstaltet hast, Levi!"
„Er wollte auf die Krankenstation. Ich hab ihn gehört, er wollte zur „sexy Ärztin" und sich pflegen lassen - seine Worte! Kann man ihm ja nicht verübeln. Nur schade für ihn, dass er davon gerade nichts mitbekommt, nicht?"
Das hatte gesessen. Wieder einmal hatte er mich zum Schweigen gebracht. Zumindest für eine längere Pause. Ich musste überlegen, was ich auf solche Geschichten antworten sollte. Währenddessen hatte Levi genug Zeit, um mich wieder anzustarren und zu mustern.
„Trotzdem rechtfertigt das noch lange nicht, dass er so zusammengeschlagen wird", ich hatte mich wieder gefangen.
„Für mich schon", kam nur von Levi.
Ich entschloss mich, endgültig Klarheit zu schaffen:
„Levi, was genau willst du eigentlich. Ich hab genug von diesen kryptischen Aussagen, diesem schon fast grusligem Anstarren und deinen...", meine Stimme wurde etwas leiser, wir waren zwar nicht allein, aber man weiß nie, ob nicht doch eine Krankenschwester mithört, „Berührungen und Küssen, die zu nichts führen."
„Komm nach dem Abendessen in mein Büro, dann klären wir das", und erneut ein schneller Abgang des Corporals. Langsam nervt es, dass er immer das letzte Wort haben muss und einem keine Chance lässt, noch irgendwas zu sagen.
Fein, wenigstens wird es jetzt Mal zu einer Aussprache kommen. Wenn er seine unbefriedigten Triebe in Aggressionen gegenüber den Soldaten umwandelt, ist das definitiv nicht gut. Ich werde ihm die Meinung geigen und zur Not mit dem Kommandanten drohen.

Der Corporal und die Ärztin 🍋Where stories live. Discover now