Kapitel 5

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Ich hatte immer gedacht, dass die Hexen mitten in der Nacht kommen würden. Dass sie über die Stadt herfallen würden, wie Mücken. Dass sie das Leben aus dieser Stadt saugen würden.

Womit ich jedoch nicht gerechnet habe, war dass die Hexen mitten am Tag kamen. Sie kamen auch nicht in Strömen, sondern waren zu viert.

Drei Tage waren vergangen, seit dieser verrückte Mann an unserem Tisch war. Drei Tage, an denen sich Njal und Kian weiterhin gestritten hatten und ich schweigend nachgedacht habe. Drei Tage, an denen nichts Außergewöhnliches geschehen war.

Ich hasste Harville noch immer. Es roch ein wenig besser, als Farmond aber ansonsten waren die beiden Städte gleich. Kian und Njal taten immer so, als würde es ihnen nichts ausmachen, dass ich so wenig redete. Sie stritten ohnehin für mich mit. Solange ich jedoch in dieser Stadt war, die meinem alten Leben so sehr ähnelte, konnte ich nicht vernünftig handeln. Ich sah die armen Mädchen an jeder Ecke, die ihren Körper verkauften. Ich sah die Händler, die versuchten sich am Leben zu halten und um jedes bisschen Geld fälschten. Ich sah die Ratten und Hunden in den Straßen, die sich um das kleinste bisschen Essen stritten. Ich sah das, was Kian nicht wahrhaben wollte.

Njal war auf einem Bauernhof aufgewachsen aber auch er kannte Armut. Auch er wusste, was diese Menschen jeden Tag durchmachen mussten. Kian kannte es nicht. Er war in Luxus aufgewachsen. Ich machte ihm deswegen keinen Vorwurf. Er konnte nichts dafür, dass er der Prinz von Terrasen war.

Wir waren wieder einmal in den Straßen von Harville unterwegs, um Informationen zu sammeln und um Proviant zu kaufen. Wir wollten am nächsten Morgen weiterziehen.

Meine Magie sorgte noch immer dafür, dass man Kian nicht erkennen konnte. Nur wenn wir in unserem Zimmer waren erlaubten wir uns dieses Versteckspiel aufzuheben. Mit silbernen Haaren sah er ohnehin viel besser aus.

Für einen Frühlingstag war es recht kühl und doch hielten sich viele Menschen auf dem Marktplatz auf, als die Hexen sich vom Himmel stürzten.

Als erstes dachte ich, dass Manon zurückgekehrt war, denn der Wyvern, der mitten unter den Menschen landete sah aus wie Abraxos. Erst beim genaueren Hinschauen erkannte ich, dass dieser Wyvern ein wenig größer und um einiges furchteinflößender aussah, als Abraxos.

Drei weitere Wyvern landeten neben dem großen schwarzen. Zwei blaue und noch ein weiterer, größere schwarze Wyvern.

Die vier Frauen auf den Rücken der Tiere waren wunderschön. Anders könnte ich es gar nicht beschreiben.

Die Frau, die auf dem ersten Wyvern saß, hatte weinrotes Haar, welches in einem kurzen Zopf geflochten war. Sie trug die Lederkluft der Hexen, die auch Manon trug.

Elegant rutschte sie von dem Rücken ihres Wyverns und tätschelte ihm tatsächlich die ledrige Haut, als wollte sie es loben.

Die Menschen auf dem Marktplatz waren mucksmäuschenstill. Kian hatte sich ein Stück vor mich geschoben, was lächerlich war, denn ich konnte kämpfen. Allerdings verstand ich seine Geste. Er wollte mich lediglich schützen.

Auch Njal hatte seine Hand unauffällig zu seinem Dolch wandern lassen.

Die rothaarige Hexe blickte sich um, als ob sie entscheiden wollte wohin sie als erstes gehen wollte. Schließlich entschied sie sich für einen kleinen Stand, an dem Obst verkauft wurde.
Schneller, als ich schauen konnte, hatte sie einen Eisennagel ausgefahren und einen Apfel in kleine Stücke geschnitten.
Der Mann, dem der Stand offenbar gehörte sah sie erbost an. „Ich hoffe Sie zahlen dafür."

Mutig, wenn man bedachte, dass diese Hexe sicherlich nicht gekommen war, um einen Apfel zu essen. Die Dorfbewohner wussten, was mit den umliegenden Höfen geschehen war. Diesen Mann schien es allerdings wenig zu stören.

Throne of Glass- Herrscherin der FinsternisWhere stories live. Discover now