XVI

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Andromeda PoV

Weg. Einfach nur weg von all den starrenden Gesichtern, weg von Roxys besorgten Blicken, weg von Scorpius, und vor allem:

Weg von James.

Meine Füße trugen mich wie von selbst durch die endlos scheinenden Korridore von Hogwarts zum Raum der Wünsche.

Tränen rannen mir in Sturzbächen über die Wangen und ich verfluchte mich selbst dafür,
dass mich James' Lügen so verdammt verletzt hatten.

Eigentlich war ich ja selbst Schuld. Was hatte ich denn erwartet? Dass der heilige Potter von seinem Thron runter kam?

Ein kleiner, naiver Teil in mir hoffte immer noch, dass sich das ganze als riesen Missverständnis herausstellen würde.

Als Linus zu mir gekommen war und mir von James' Lügen erzählt hatte, hatte ich es nicht glauben wollen, ich wollte es einfach nicht glauben. Aber dann hatte Selina seine Worte bestätigt und das schwer aufgebaute Vertrauen zu James war in seine Einzelteile zerbrochen.

Ich wischte mir über die Wangen. Ich war keine attraktive Heulerin, wie es die Mädchen in den Muggel-Filmen oder auch einige aus Hogwarts immer waren. Meine Augen waren rot und geschwollen, meine Nase lief und ich hatte einen Schluckauf.

Als ich den Raum der Wünsche betrat, sah er genauso aus, wie als James mich zum ersten mal hergebracht hatte. Ein großer Saal, mit stuckverzierten Wänden und hohen Fenstern und mittendrin der Flügel.

Ich spürte einen fiesen Stich in meinem Herzen bei dem Gedanken daran.

Ich setzte mich an den Konzertflügel und meine Hände verweilten einen kurzen Moment über den Tasten. Was sollte ich spielen?

Ich zögerte und überlegte, bevor mir ein Stück einfiel.

Es war von Mom's Lieblingsfilm, Forrest Gump, ein langsames, recht einfaches Stück, das aber so wunderschön klang. Genau das, was ich jetzt brauchte.

Zwar war ich beim Lesen und Schreiben nicht die beste, aber bei Musiknoten hatte ich noch nie Probleme gehabt. Sie schienen immer förmlich vor meinem inneren Auge vorbeizuziehen, wie ein Papierschiffchen auf einem kleinen Bach.

Meine Finger fanden die richtigen Tasten wie von selbst und flogen nur so dahin.

Für einige Momente vergaß ich alle Probleme und Sorgen und fühlte mich vollkommen losgelöst, als wäre eine imaginäre Last von meinen Schultern genommen worden.

Doch leider weilte dieser Augenblick nicht lange. Als der ketzte Ton verklungen war, platzte auch meine Glücksblase und seufzend stand ich auf.

Ich konnte nicht länger in diesem Raum bleiben, der mich so sehr an James erinnerte, es raubte mir jegliche Luft zum Atmen.

Ich war noch nicht bereit dazu, in den Gemeinschaftsraum zu gehen und mich den ganzen mitfühlenden, neugierigen oder schadenfreudigen Blicken auszusetzen.

Also wanderte ich ziellos im Schloss umher, durch verwinkelte Gänge und steile Treppen, bis ich auf einmal ein leises Schniefen aus einer Nische wahrnahm.

Vorsichtig näherte ich mich, bis ich einen Jungen am Boden sitzen sitzen sah. Er hatte hellblonde Haare und trug einen Slytherin Pullover.

„Scorp?", fragte ich sanft und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Er zuckte leicht zusammen und hob den Kopf. Er hatte geweint, und zwar genauso herzzerreißend und unattraktiv wie ich. Aber das machte nichts, denn wenn man traurig war, musste man nicht gut aussehen.

„Oh, hallo.", murmelte er.

„Was machst du hier, Scorp? Was ist los?", erkundigte ich mich besorgt und er lachte bitter auf.

„Dasselbe könnte ich dich fragen."

„Na gut.", seufzte ich und setzte mich zu ihm auf den Boden.

„Wenn dus genau wissen willst, James hat Lügen über mich, über uns erzählt. Ich dachte eigentlich, ich könnte ihm vertrauen, aber da habe ich mich wohl getäuscht."

„Und auf einmal nimmt dich das so mit? Du hast Potter dich immer gehasst, kannst du das nicht einfach wieder tun? Er ist ein Arschloch, ich dachte, das wäre allgemein bekannt.", wunderte sich mein Bruder.

„Verdammt Scorpius! Es geht doch nicht darum, was war! Es geht darum, dass er in letzter Zeit wie ausgewechselt war. Er hat mir zugehört, mich getröstet und mich zum Lachen gebracht. Er hat mir einen Ort gezeigt, wo ich Klavier spielen kann, wir haben getanzt und uns eine ganze Nacht lang unterhalten. Ich hab mich so befreit in seiner Gegenwart gefühlt und ich hatte nachts keine Alpträume mehr. Das kann doch alles nicht gespielt gewesen sein."

Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich wieder angefangen hatte zu weinen.

Scorp sah mich lange und durchdringend an, bevor er mich fest in den Arm nahm.

Er ließ mich allerdings schnell wieder los, weil ich ja schließlich seine Schwester war, und die umarmte man letztendlich doch eher ungern.

„Andy, kann es sein, dass da mehr zwischen euch war, als Freundschaft?", fragte Scorp dann gerade heraus.

„Wie meinst du das jetzt? James und ich? Oh nein!", fauchte ich gereizt. Dabei ignorierte ich mein Herz, dass bei dem Gedanken daran schneller zu schlagen begonnen hatte.

„Naja, ich meine ja nur. Die Art, wie er dich angesehen habt, als wärst du alles, was er sich je hätte wünschen können. Oder wie du in seiner Gegenwart ganz anderst warst, irgendwie freier. Und nicht zu vergessen die anschmachtenden Blicke."

Wow. Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ich darauf reagieren sollte. Doch tief in mir drin wusste ich, dass es wahr war.

Ich hatte begonnen, James Potter mehr zu mögen, als geplant.

„Verdammt.", murmelte ich und mein Bruder grinste leicht.

„Aber jetzt zu dir.", befahl ich und legte so einen mehr oder weniger eleganten Themawechsel hin.

Er spielte nervös mit den Bändeln seines Pullovers herum und kaute auf seiner Unterlippe, wie immer, wenn er nach den passenden Worten suchte.

„Ich glaube, ich bin schwul.", platze es dann aus ihm heraus.

„Ach, Scorp. Das ist doch kein Grund sich zu verkriechen!",rief ich und viel ihm um den Hals.

„Ich bin so stolz auf dich."

„Danke, aber das ist eigentlich nicht der Grund, warum ich hier sitze.",
gab er zu und ich sah ihn auffordernd an.

„Ich habe mich in  Albus verliebt! Meinen besten Freund! Das wird alles zerstören und nebenbei bricht das Rose das Herz!"

Ich schwieg einen Moment verblüfft, während meine Gedanken rasten.

Scorp mochte Al. Und Al mochte Scorp! Das war ja wunderbar!

Klar, er war mit Rose zusammen, aber sie würde es verstehen, da war ich mir sicher.

„Du musst es ihr sagen, Scorpius! und zwar am besten jetzt gleich. Sie wird dich nicht verurteilen."

„Bist du dir sicher?", fragte er skeptisch.

„Todsicher. Und danach redest du mit Albus und sagst ihm die Wahrheit."

„Das kann ich nicht, Andy! Du bist die mutige von uns, ich war immer schon ein Schisser."

„Scorpius Hyperion Malfoy! Du bewegst jetzt deine verdammten Arsch da runter, sonst sag ich Dad, dass du früher immer heimlich seine Kürbispasteten verspeist hast und es auf die Nachbarskatze geschoben hast.", befahl ich streng und erntete einen bösen, aber sehr eingeschüchterten Blick seinerseits.

„Also gut. Ich machs. Scheiß drauf!", rief er, sprang auf und rannte in Richtung große Halle.

Und nun war ich wieder allein, meine Probleme kein Stückchen besser.

𝐜𝐨𝐧𝐬𝐭𝐞𝐥𝐥𝐚𝐭𝐢𝐨𝐧𝐬 | 𝐣𝐚𝐦𝐞𝐬 𝐬𝐢𝐫𝐢𝐮𝐬 𝐩𝐨𝐭𝐭𝐞𝐫Where stories live. Discover now