kapitel vier

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kapitel vier
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05. – 06. Mai 2018

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ÜBER DAS Wochenende stattet Yoongi seinen Verwandten in Yeosu einen Überraschungsbesuch ab. Die Stadt liegt am anderen Ende des Landes und daher braucht er mit Bus und Bahn etwa fünf Stunden, um zum Ort zu gelangen, an dem er seine Highschool-Zeit verbrachte, bevor er kürzlich für sein anstehendes Studium nach Seoul zog.

Zwar telefoniert er mindestens einmal in der Woche mit Tante Hyekyo, Onkel Chanwoo und seinen drei jüngeren Cousins, aber ein richtiges Aufeinandertreffen kann das nicht ersetzen und sein letzter Besuch ist einige Wochen her. Das liegt vor allem daran, dass die Vokabeln freier Tag nicht zum Wortschatz seiner ehemaligen Chefs gehörten.

Yoongi läuft das letzte Stück des Weges von der Bushaltestelle bis zu Hyekyos Häuschen mit einem breiten Grinsen in seinem Gesicht. Seine Schritte sind federnd, er wird getragen von der Vorfreude und dem Glück darüber, gestern eine so gute neue Arbeitsstelle gefunden zu haben. Die Blumen in den Vorgärten des ruhigen Viertels begrüßen ihn mit ihrer gesamten Sommerpracht und tanzen leicht in der Brise des Vormittags. Yoongi kann förmlich schmecken, dass auch heute ein unglaublich schwüler Tag auf ihn wartet. Schon jetzt klebt sein T-shirt an seinem Rücken und ein paar nervige Strähnen haften sich an seine Stirn. Er wischt sie weg und verhakt seinen Daumen dann zurück unter die Schnallen seines großen Rucksacks, dessen Gewicht sich an seinen Schultern schmerzlich zeigt.

Dann steht er endlich vor dem mannshohen Tor, an dem sich orangene Rosen räkeln und der zwei Ziegelmauern verbindet, die Hyekyos Grundstück umfassen. Er klingelt. Einen Augenblick später ertönt die Stimme seiner Tante verzerrt durch die Sprechanlage: »Wer ist da?«

»Hallöchen Imo! Ich bin's, Yoo–«

»YOONGI!« Hyekyos Freudenschrei kommt so plötzlich, dass Yoongi lachend einen Schritt zurück stolpert. Mit einem Surren öffnet sich das Tor automatisch und er tritt ein. Vor ihm erstreckt sich der gepflegte Vorhof. Ein Weg aus handbemalten Steinplatten auf gesundem Gras führt zum Haus fünfzehn Meter vor ihm, rechts steht die gepflasterte Parkfläche leer, links flattern blütenweiße Schmetterlinge in Begleitung vom geschäftigen Summen von Bienen über ein Meer aus hohen Margeriten.

Yoongi hat erst ein paar Schritte zurückgelegt, als die Haustür aufgerissen wird. Hyekyo stolpert heraus und verliert dabei einen ihrer Pantoffeln an der Schwelle. Einen Wimpernschlag später reißt sie Yoongi in eine stürmische Umarmung und wirbelt ihn so stark herum, dass ihr Blümchenkleid sich aufbauscht und der ohnehin schon unordentliche Dutt auf ihre Kopf ein ganzes Stück runter rutscht und als ein chaotischer Ball aus schwarzen Locken in ihrem Nacken liegen bleibt.

»Oh Yoongi, du bist es wirklich! Warum hast du denn nicht gesagt, dass du kommst?« Hyekyo hält ihn ein Stück von sich weg und betrachtet ihn eingehend.

Yoongi sieht zufrieden aus. »Ich wollte euch überraschen.«

»Das ist dir definitiv gelungen!« Hyekyos Grinsen – sie hat das gleiche bezaubernde Zahnfleischlächeln wie er – verrutscht um einige Millimeter, als sie seine Arme hoch und runter fährt. »Oh Gott, du bist ja richtig mager geworden! Habe ich dir nicht so oft gesagt, dass du auf dich aufpassen und dich gut ernähren sollst? Kaum lässt man dich ein paar Wochen allein, wirst du zum Lauch!«

»Mir geht es gut, Imo!«, beteuert Yoongi mit einem sanften Händedruck. »Ich achte darauf, dass ich genug Gemüse und Fleisch zu mir nehme, wirklich!«

Seelenfrieden | yoonmin || ✓Where stories live. Discover now