kapitel vierzehn

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kapitel vierzehn
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02. Juli

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TRÄUME SIND etwas Merkwürdiges. Manchmal sind sie eine Spiegelung des aufgewühlten Unterbewusstseins, manchmal eine Reflexion der größten Sehnsüchte und manchmal ein Ort, eine Zeit, in der man seinen Liebsten nochmal begegnet.

Oder sich selbst.

Yoongi findet sich inmitten einer Trauerfeier wieder, was an sich nicht unnatürlich ist, wenn er nicht einen Moment später sein jüngeres Ich entdecken würde. Ihm werden zwei Dinge klar. Erstens: Er träumt. Und zweitens: Das hier ist nicht irgendeine Trauerfeier in irgendeinem Jangryesikjang.

Es ist die Bestattung seines Vaters.

Die gesamte Familie und auch enge Freunde und Arbeitskollegen haben sich eingefunden, allesamt in schwarz gekleidet knien die Besucher des Begräbnisses vor der mit Blumen geschmückten Wand. Yoongi hört leise Schluchzer und das Murmeln von jenen, die dafür beten, dass Sungho sicher im Himmel ankommt. Er kann seinen Blick nicht von dem Bild seines Vaters inmitten der Blumen abwenden. Sungho lächelt. Über den oberen Teil des Rahmens sind zwei schwarze Schärpen gezogen.

»Appa!«

Es ist er, der schreit, und gleichzeitig auch wieder nicht. Yoongis neunjährige Version seiner selbst macht seiner Trauer laut Luft, die Tränen Hyeyoons, die ihn an sich drücken, als würde sie ihren Sohn nie wieder gehen lassen wollen, sind dagegen stumme Schreie ihrer Schmerzen.

»Eomma...« Yoongi stolpert nach vorne auf seine in einen Hanbok gekleidete Mutter zu. Auch ihm schießen die Tränen in die Augen. Er will ihr die Hand auf die Schulter legen, ihr Trost schenken, für sie da sein – doch seine Hand fährt durch ihren Körper, als wäre sie gar nicht da.

Doch die Erinnerung ist echt.

Mit einem Mal krachen alle Empfindungen auf ihn ein, die Yoongi vor vielen Jahren an jenem schwarzen Tag seines Lebens quälten. Er erinnert sich an die unzähligen Tränen, die er vergoss. Die seine Haut zum Jucken brachten und ein Gefühl der Leere hinterließen, als die Quelle seiner Trauer versiegte.

Yoongi erinnert sich an all die Beileidsbekundungen, die sich wie ein Mantra wiederholten und irgendwann stumpf erschienen. An die warme Berührung seiner Mutter, an die er sich lehnte, als wäre sie der letzte Fels in seiner Brandung.

Und er hat nie vergessen, was er sich an jenem Tag, im Angesicht dessen, was der Tod zurückließ, wenn er sich einen geliebten Menschen nahm, schwor.

Yoongi kniet sich neben sein jüngeres Ich. In diesem Moment starrt seine Kindversion mit zusammengepressten Lippen auf das Bild seines Vaters und Yoongi weiß, was ihm durch den Kopf geht. Welchen Eid er mit sich ablegt, um sein kleines Herz vor dem Schmerz eines weiteren Verlustes zu bewahren. Denn eine dritte Narbe würde er nicht verkraften.

Also gut, Tod. Du wirst mir meine Liebsten nehmen? Ich werde vorbereitet sein. Ich bin dir vielleicht jeden Tag ausgesetzt, aber ich werde dir soweit es geht aus dem Weg gehen. Ich werde mich nur mit Leuten anfreunden, die alt werden. Ich werde mich nicht kopflos verlieben. Und wenn ich mein Herz verschenke, dann nur an eine Person, die noch viele viele Jahre lebt.

»Du hast es fast geschafft«, flüstert Yoongi seiner Traumversion zu. Es ist leicht gewesen, sich an den Schwur zu halten, weil er nie der richtigen Person begegnete. »Doch was machst du, wenn es vielleicht soweit ist und du nicht weißt, wann sie stirbt?«

Seelenfrieden | yoonmin || ✓Donde viven las historias. Descúbrelo ahora