kapitel zehn

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kapitel zehn
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03. Juni

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GLÜHWÜRMCHEN BEZAUBERN die Nacht und lösen Funken der Freude in den Herzen jener aus, denen es vergönnt ist, diesen entzückenden Wesen zu begegnen. Ihr Schein ist faszinierend, das Leuchten ihres Körpers magisch.

Auch die Zahlen über den Köpfen seiner Mitmenschen ist magisch anmutend, das Leuchten aber mehr sengendes Licht und psychische Last als betörender Schimmer. Es kostete Yoongi viel Mühe und Zeit, seine Augen das Licht kaum wahrnehmen, es ausblenden zu lassen, während es sich Tag für Tag, Mensch für Mensch, in seine Netzhaut brannte.

Von jedem einzelnen Menschen, welchem er je begegnet war, hatte er die wie Sand zwischen seinen Fingern verrinnende Lebenszeit gesehen. Die einzige Ausnahme war er selbst gewesen.

Und jetzt auch Jimin.

Es ist so ein Schock, den Jüngeren ohne die für jeden Menschen charakteristischen Todeszahlen zu sehen, dass Yoongis Gedankenwelt komplett blank liegt. Noch immer befindet er sich in der Hocke vor Jimin, dabei in das Verbandszeug gekrallt, weil er unfähig ist, etwas anderes zu tun.

»Was ist?«

Jimins vorsichtiges Murmeln reißt den Älteren schließlich aus seinem Bann. »N-nichts. Ich war nur in Gedanken versunken. Reich mir bitte deine Hand.« Über Jimins fehlende Zahlen würde er später grübeln müssen. Yoongi konzentriert sich auf das Desinfizieren und Verbinden von der kleinen Schnittwunde, dabei die Haut so wenig wie möglich berührend, um seinem Gegenüber keinen Herzinfarkt zu bescheren.

Mit seiner fest in das Haar auf seinem gesenkten Kopf gekrallter Hand und den heftigen Atemzügen macht der Jüngere deutlich, dass die Situation auch so schon extrem belastend für ihn ist. Yoongi versucht zu verarbeiten, dass sie sich innerhalb weniger Sekunden näher gekommen sind als in all den Wochen zuvor. Es wäre so einfach, durch Jimins watteweich anmutendes Haar zu wuscheln oder sanft sein Kinn einzuheben, um ihm endlich ins Gesicht zu sehen.

Stattdessen richtet sich Yoongi auf, sobald er fertig ist, und macht einen Schritt nach hinten. Scherben knirschen unter den dicken Sohlen seiner Sneaker. »Rühr dich bitte nicht von der Stelle. Ich wische hier erst alles sauber, ja?«

Jimin macht eine Bewegung, die man als knappes Nicken durchgehen lassen könnte. Noch immer hebt er nicht seinen Kopf. Yoongi wendet sich seufzend ab. Fürchtet er den Anblick der wenigen Blutstropfen auf dem Laminat? Oder den Anblick des Älteren?

Es ist eine Sache von wenigen Sekunden, die großen Scherben vorsichtig aufzuheben. In Stillarbeit holt Yoongi dann die nötigen Putzutensilien aus der Abstellkammer, mit denen er die restlichen Splitter erst grob wegfegt und anschließend wegwischt.

Als er verkündet, fertig zu sein, schießt Jimins Körper in die Höhe. Er will – noch immer mit geschlossenen Augen – in sein Zimmer fliehen, doch Yoongi hält ihn sanft am Saum seines T-Shirts zurück. »Jimin-ah. Wir müssen reden.« Er zieht ihn mit zu sich auf das Sofa, wo er sich mit zwei Meter Abstand neben ihn setzt. Sonnenlicht fällt durch die perlweißen Vorhänge in den Raum und wärmt seinen Rücken. Jimin ist in so eine Art Schockstarre verfallen, die vielleicht Yoongis indirekte Berührung ausgelöst hat, presst seinen Rücken an die weiche Sofalehne und sein Gesicht in seine angezogenen Beine. Der Ältere versucht es sich im Schneidersitz gemütlicher zu machen und betrachtet ihn nachdenklich.

Seelenfrieden | yoonmin || ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt