Chiara - Entgegenkommen

84 6 0
                                    

Ich blieb fast den ganzen Sommer über bei Anna und Paddy. Das hatte mir wirklich gut getan. Ganz alleine in meiner Wohnung wäre sicher nicht so einfach für mich gewesen. Anna war ebenfalls froh, dass ich da war, da Paddy viel unterwegs war. Wir gingen zusammen spazieren und ich genoss die gemeinsame Zeit. Auch Paddy gab mir immer das Gefühl willkommen und Teil seiner Familie zu sein. Er war ebenfalls ganz vernarrt in Noah. Ich vermisste meine Eltern, doch mein Vater lehnte jeden Kontakt ab. Also telefonierte ich heimlich mit meiner Mama und schickte ihr Fotos von ihrem einzigen Enkel. Wir hatten vereinbart, dass wir uns heimlich treffen, sobald ich wieder in meiner Wohnung sein würde.
Die Besuchszeiten liefen sehr gut. Ich war oben in meinem Zimmer und Anna brachte mir mein Baby wenn es gestillt werden musste. In all den Wochen wo ich bei meinen besten Freunden zu Gast war, sah ich Meike und Jimmy nur einmal. Beim ersten Besuch wo wir alles besprochen hatten. Jimmy konnte mir dabei kaum in die Augen sehen. Meike war etwas reserviert, aber sehr nett. Am Ende des Sommers kehrte ich in meine Wohnung zurück. Sobald wie möglich besuchte mich Mama. Sie weinte vor Freude über das neue Familienmitglied und vor Trauer, weil ich den Namen des Vaters nicht preisgeben wollte. Mit Tom verbrachte ich ebenfalls viel Zeit und er kümmerte sich rührend um meinen Sohn. Spätestens alle 14 Tage brachte ich Noah zu Anna und Paddy – wenn Jimmy ihn sehen wollte. Dieses Spiel ging bereits seit acht Monaten so.
Eines Tages rief mich Anna an. „Hey Chiara, wie läufts?" „Gut danke. Was gibt's?" „Es geht um Jimmy", sagte sie zögernd. „Was ist los? Möchte er die Besuchszeit ändern? Für mich ist das kein Problem. Du weißt, ich richte mich nach den Beiden." Wie üblich wurden alle Informationen über Anna ausgetauscht. Zwischen Jimmy und mir herrschte Funkstille. „Nein, nein, keine Sorge. Es bleibt bei nächster Woche. Es ist ja erst ein paar Tage her, seit du da warst. Jimmy hat Geburtstag und er macht eine Feier. Er hat scheinbar ein großes Haus gemietet und wir feiern alle gemeinsam." Ich hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme. „Ich bin nicht eingeladen." „Ich weiß. Aber was hältst du davon, wenn du Noah hinbringst? Ein Großteil der Geschwister wird da sein und alle könnten ihn kennen lernen. Ich dachte mir, wärst du in der Nähe, falls es nachts Probleme geben sollte." Ich zögerte kurz. „Überleg es dir und sag mir Bescheid. Ach ja, es wäre eine Überraschung für Jimmy, falls du das möchtest", schob Ann gleich nach. „Ich brauche nicht zu überlegen. Das geht in Ordnung. Es ist eine tolle Idee. Texte mir Ort und Zeit, damit ich mir ein Zimmer in der Nähe buchen kann." „Mach ich. Bis bald Chiara und danke. Du hast ein großes Herz."
An besagtem Wochenende, fuhr ich mit Noah zur Feier seines Vaters. Mein Sohn war bereits neun Monate alt und wurde seit ein paar Tagen auch nachts nicht mehr gestillt. Er fühlte sich wohl bei Anna und Paddy und natürlich auch bei seinem Vater und dessen Frau. Somit hatte ich keinerlei Bedenken. Niemand wusste, dass ich kommen würde. Leider waren wir etwas später als geplant weggekommen und es war ein ganzes Stück zu fahren. Wir kamen nach 17 Uhr an und es war bereits dunkel. Noah hatte während der Fahrt die meiste Zeit geschlafen. Somit dürfte er heute länger wach sein als üblich. Das angemietete Haus war riesig, im amerikanischen Stil erbaut und hatte eine große Veranda die beleuchtet war. Der Weg zum Haus lag im Dunkeln. Vom Auto aus, sah ich Angelo und Kira mit dem Rücken zum Fenster sitzen. Joey und seine Familie waren ebenfalls da. Ich nahm Noah in meine Arme und die gepackte Tasche und ging zum Haus. Nach den ersten paar Schritten musste ich stehen bleiben. Jimmy stand mit dem Rücken zum Fenster in der Küche. Neben ihm war Meike und ihre älteste Tochter. Als ich ihn sah, zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Ich liebte diesen Mann mehr als alles andere. „Sieh nur Schatz, da ist Daddy!" Noah brabbelte: „Dadada." „Genau Daddy. Du wirst ihn heute besuchen und alle Tanten und Onkeln kennen lernen. Das wird ein ganz lustiges Wochenende." Tränen brannten in meinen Augen. „Gott allein weiß, wie sehr ich deinen Daddy liebe." Als ich die Treppen der Veranda erreichte, dürfte Jimmy meine Blicke gespürt haben. Langsam drehte er sich um und blickte mich mit offenem Mund an. Sein Anblick raubte mir den Atem. Meike drehte sich ebenfalls um und als sie mich sah, verschwand sie mit ihrer Tochter aus der Küche. Jimmy kam zu mir vor die Tür. „Chiara, was für eine Überraschung. Äh, ich weiß gar nicht was ich sagen soll", stotterte er fast. „Keine Sorge ich komme nicht mit rein. Ich bringe dir Noah. Anna und Paddy dachten sich, du möchtest ihn vielleicht deinen Geschwistern vorstellen und ihn an deinem Geburtstag bei dir haben." „Wow, I'm speechless. Danke Chiara, das bedeutet mir wirklich sehr viel." „Ich habe in der Nähe ein Hotel gebucht. Anna weiß Bescheid. Sollte es ein Problem geben, wende dich bitte an sie." Er nahm seinen Sohn in die Arme und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Die Tasche stellte ich neben ihn. „In der Tasche sollte alles sein was du brauchst und sicherlich noch viel mehr." Plötzlich überrumpelte er mich mit Vorwürfen und als ich ihm meinen Sohn entreißen wollte, drehte er sich weg, damit ich ihn nicht erreichen konnte. Ich weiß nicht was in ihn gefahren war, doch die Stimmung änderte sich wahnsinnig schnell. Und zwar zweimal. Er hatte sich augenblicklich wieder beruhigt. Vielleicht deshalb, weil ich die Vorwürfe entkräften konnte. Ich küsste Noah zum Abschied und plötzlich war ich ganz nah an Jimmys Gesicht. Am liebsten hätte ich ihn ebenfalls geküsst, doch er wies mich zurück. Augenblicklich drehte ich mich um und ging die paar Treppen hinunter. Am Weg zum Auto, sah ich im Augenwinkel eine Bewegung im Dunkeln. Erschrocken blieb ich stehen und entdeckte Patricia. Na toll, die hatte mir gerade noch gefehlt, dachte ich. „Chiara, es tut mir leid, ich wollte gerade um die Ecke biegen, als ich euch sah. Ich wollte euch weder belauschen noch stören. Deshalb blieb ich einfach hier stehen." Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, also sagte ich gar nichts. „Jetzt weiß ich, dass du Jimmy wirklich liebst." „Ja, das tue ich. Mehr als jeden anderen Mann in meinem Leben." „Jimmy liebt dich auch." „Ach ja? Scheinbar nicht genug." „Das tut er. Glaub mir. Kaum einer kennt ihn besser als ich. Ich sehe es ihm an und höre es an seiner Stimme, wenn er mit dir spricht. Außerdem liebt er Noah abgöttisch. Aber weißt du was mir wirklich leid tut?" Fragend schaute ich sie an. „Dass bei euch beiden die Liebe niemals gewinnen wird. Er fühlt sich Meike zu sehr verpflichtet." Zärtlich strich sie mir über die Wange. Sie meinte jedes Wort ernst. Das war zu viel. Ich drehte mich um, lief zum Wagen und begann bitterlich zu weinen. Es dauerte einige Minuten bis ich ins Hotel fahren konnte. Das Wochenende würde die Hölle werden.

Butterflies in my BellyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt