Anna - Die bittere Wahrheit

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Endlich waren Chiara und Jimmy offiziell ein Paar! Ich freute mich so unglaublich für meine Freundin. Sie hatte ihr Glück nach all dem hin und her mit ihrer großen Liebe, mehr als verdient. Als Paddys Konzert vorbei war und ich in den Backstage Bereich kam, hatten sich Jimmy und Chiara bereits verdrückt. Vermutlich konnten sie es kaum erwarten, endlich die verlorene Zeit nachzuholen. Ich klopfte an Paddys Garderobentür und fand, als ich eintrat, nicht nur ihn darin vor. „Anna, schön dich mal wieder zu sehen." Gina. Klar war sie hier. Schließlich arbeitete sie für meinen Mann. „Hallo Gina, freut mich auch, dich zu sehen", log ich. Pino und Gina waren seit ein paar Wochen tatsächlich zusammen und ich hatte Paddy versprochen, mich mit meiner Eifersucht zurück zu halten, da Gina sich doch als ziemlich professionell herausgestellt hatte. Also schluckte ich meine Zweifel hinunter und machte gute Miene zum bösen Spiel. „Danke Gina, das wäre dann alles", entließ Paddy sie aus ihrem Dienst. Als sie den Raum verließ, blickte ich ihr genervt hinterher. „Na, meine Süße, wie hat dir der Tour Auftakt gefallen?" „Er war super." „Nicht gleich so euphorisch", schob Paddy voll Sarkasmus triefend, nach. „Was? Sorry. Es war der Wahnsinn, Babe. Der Auftritt mit Jimmy war Gänsehaut pur. Du hast heute zwei Liebende vereint." Ich lächelte ihn zuckersüß an, was er skeptisch erwiderte. „Baby, kann es sein, dass du dir schon wieder wegen dem Gina-Thema Gedanken machst?" Erwischt. Ich verdrehte meine Augen. „Es tut mir ja leid. Ich bemühe mich wirklich und bin nett zu ihr, aber ich muss sie doch nicht mögen." „Natürlich musst du das nicht, aber es würde die Angelegenheit künftig bestimmt etwas leichter machen. Immerhin ist Pino nicht nur mein Manager, sondern auch unser Freund." „Also gut. Ich gelobe hiermit feierlich Besserung", sagte ich, während ich meine rechte Hand auf mein Herz legte. „Braves Mädchen", neckte mich Paddy und gab mir einen Kuss. „Wir sollten uns langsam auf den Weg machen, es ist schon ziemlich spät." „Klar, Baby, lass uns nachhause fahren." Mike fuhr Paddys Dienstauto bereits vor einer halben Stunde aus dem Backstage Bereich hinaus. Das diente, wenn Paddy selbst fuhr, als Ablenkungsmanöver für die meist noch wartenden Fans. Binnen Minuten, war dann meist niemand mehr da. So zum Glück auch heute und wir konnten die Heimfahrt antreten. Es dauerte nicht lange und mir fielen die Augen zu, als mich plötzlich ein lauter Donner aufschrecken ließ. „Wo sind wir?" „Noch auf der Autobahn. Ich glaube wir fahren geradewegs in ein heftiges Gewitter." Wir hatten noch eine gute halbe Stunde Fahrt vor uns und Paddy lag mit seiner Vermutung leider richtig. Je näher wir unserem Wohnort kamen, desto schlimmer wurde es. Zuerst überraschte uns ein gewaltiger Platzregen, der schnell zu kleinen Hagelkörnern mutierte. „Ich fahre lieber kurz ran, ich sehe fast nichts mehr." Paddy hielt den Wagen am Straßenrand an und wir warteten das schlimmste ab. Der Wind stürmte so sehr, dass sich die Bäume vor uns bogen. „Verdammt, ich hoffe es hört gleich wieder auf. Ich würde nur ungern unter einem dieser Bäume begraben werden." Ich war etwas ängstlich, doch Paddy nahm mich in den Arm und beruhigte mich wieder. „Siehst du, der Hagel ist vorbei und der Wind lässt auch wieder etwas nach. Es sind noch zehn Minuten bis nachhause, das werden wir schon unbeschadet schaffen." Ich nickte und er fuhr weiter. Ich machte mir Sorgen, ob der Hagel unseren Garten noch ganz gelassen hatte. Als wir zuhause ankamen, lagen zwar eine Menge Äste auf der Straße, doch auf den ersten Blick, dürfte alles heil geblieben sein. Ich war erleichtert und wir gingen ins Haus. Bevor wir ins Bett gingen, checkte ich noch kurz mein Handy und fand eine Nachricht von Chiara darauf vor: Ich danke euch von ganzem Herzen! Für alles! Sie versah diese noch mit mehreren Herzchen. „Also ich denke, dieses Konzert wird Chiara ihr Leben lang in Erinnerung bleiben." Ich zeigte auch Paddy die Nachricht. „Ich bin froh, dass Jimmy endlich das getan hat, was sein Herz ihm sagte. Und die Songauswahl war auch nicht schlecht, natürlich nicht so gut, wie ein eigens für die Liebste, komponiertes Lied." Während er mir verstohlen zuzwinkerte, sah ich ihn bestimmt genauso verliebt an, wie am ersten Tag. „Roundabouts. Wie könnte ich das jemals vergessen. Der Song hat dir den Arsch gerettet, Kelly", scherzte ich, während ich mich eng an ihn schmiegte. „Tja, Honey, wäre der Song nicht bei dir angekommen, hätte ich bestimmt Mittel und Wege gefunden, um genauso wie jetzt neben dir zu liegen." Es dauerte nicht lange und wir schliefen ein. Frühmorgens wurden wir durch das Klingeln meines Handys geweckt. „Meine Mama. Hoffentlich ist mit den Kindern alles in Ordnung." Obwohl Paddy eigentlich schlief, wie ein Stein, saß auch er sofort aufrecht im Bett. „Ja, Mama. Ist alles in Ordnung?" „Anna Liebes, entschuldige, dass ich euch so früh wecke, aber der Sturm hat unser halbes Dach abgedeckt. Der ganze Dachboden schwimmt." „Oh nein! Wir kommen sofort rüber und helfen euch beim Ausräumen. Hast du schon eine Firma kontaktiert, die das Dach repariert?" „Natürlich, aber wir waren wohl nicht das einzige Haus in der Gegend, das es so erwischt hat. Der Herr am Telefon sagte mir, er könnte frühestens in einer Woche kommen." „Verdammt, ich überlege mir etwas. Wir sind gleich da." Ich legte auf und erzählte Paddy von der Misere meiner Eltern. „Ich führe kurz ein paar Telefonate, ich kenne noch eine Dachdeckerfirma in meinem alten Dorf." „Aber denkst du wirklich, dass die von soweit Aufträge entgegen nehmen?" „Wir werden sehen." Er zwinkerte mir zu und ich verschwand kurz ins Bad. Als ich nach ein paar Minuten gewaschen und angezogen war, überbrachte mir Paddy schon die gute Nachricht, dass die Firma bereits heute Mittag kommen würde und den Schaden behebt. Ich sah ihn mit großen Augen an. „Naja, die Frau des Inhabers ist ein Fan. Ich habe ihm ein kleines Wohnzimmerkonzert für sie und ihre Freunde versprochen", sagte er verlegen. „Paddy Kelly, du ausgefuchster Kerl. Nein wirklich, danke, dass du das für meine Eltern machst." „Das ist doch klar. Sie sind unsere Familie und deine Eltern haben mich von der ersten Sekunden an, behandelt wie einen Sohn." Das stimmte. Mama und Papa hatten Paddy sofort in ihr Herz geschlossen. Als wir bei den Beiden ankamen, begrüßten wir zuerst Mia. Liam und Emma schliefen noch tief und fest, wie es sich für Teenager gehörte. „Kinder, ihr seid ja schon hier." Meine Mama küsste uns beide auf die Wange und zeigte uns gleich das Ausmaß des Hagelgewitters. Ich hatte noch zusätzliche Handtücher mitgebracht um den Boden trocken zu bekommen. Mein Vater begann bereits bei Sonnenaufgang, einige Sachen zu retten. „Hier muss alles raus, bitte schnappt euch eine Kiste und tragt sie vorerst in den Schuppen. Ich muss mir erst überlegen, was ich einstweilen mit den Sachen mache", bat uns mein Vater. „Hans, ich habe mit einer befreundeten Dachdecker Firma telefoniert und sie würden schon heute Mittag mit der Reparatur beginnen." Mein Vater sah Paddy genauso perplex an, wie ich noch vor einer halben Stunde. „Wie hast du denn das geschafft, mein Lieber?" Paddy erzählte die Geschichte mit dem Wohnzimmerkonzert erneut und bekam eine dicke Umarmung von meinen Eltern. „Ach Kinder, was würden wir nur ohne euch machen." Meine Mutter war immer schon ziemlich nah am Wasser gebaut und auch diesmal musste sie ein paar Freudentränchen vergießen. „Kommt schon, lasst uns bis Mittag klar Schiff machen", rief ich und machte mich an die Arbeit. Die erste Kiste war voll mit Fotoalben. Ich konnte nicht umhin und musste einen kurzen Blick darauf werfen. „Bist du das?", fragte mich Paddy als er mir über die Schulter blickte. „Ja, da war ich ungefähr fünfzehn." „Du warst ja damals schon ein richtiger Hingucker. Schade, dass wir uns da noch nicht gekannt haben." „Naja, weißt du noch die Sache mit dem Jugendschutz." Er streckte mir die Zunge raus und holte die nächste Kiste. Diesmal dauerte es länger, bis er wieder hinunter kam. Während meine Eltern die Sachen im Garten in neue, nicht durchnässte Kisten umpackten und die kaputten Erinnerungsstücke aussortierten, beschloss ich nach Paddy zu sehen. „Da bist du ja, Schatz? Ist alles in Ordnung?" Paddy stand vor einem kleinen Regal und reagierte nicht auf mich. Ich ging zu ihm und tapste ihm auf die Schulter. Als er sich umdrehte, erstarrte ich förmlich. „Anna, kannst du mir erklären was das alles ist?" Er hielt meinen gesamten Kelly Family Sammelordner inklusiver der unzähligen Konzertkarten in der Hand. Verdammt! Das hatte ich komplett vergessen! Ich wusste nicht was ich sagen sollte. „Anna, was ist das?", fragte er mich erneut in einem wesentlich lauteren Ton. „Paddy es tut mir Leid..." „Was tut dir leid? Du willst mir doch jetzt nicht erzählen, dass dieses ganze Zeug nicht von dir ist? An der Kelly Family ist man doch in den Neunzigern nicht vorbeigekommen, hast du gesagt." „Es tut mir so unglaublich leid." „Spar dir deine Entschuldigungen! Ich muss hier raus!" „Paddy warte!" Ohne ein weiteres Wort ließ er mich stehen, stieg ins Auto und fuhr weg. Was sollte ich jetzt tun? Mein mittlerweile jahrelang gehütetes Geheimnis ist nun gelüftete worden. Ausgerechnet von ihm. Ich musste sofort mit ihm sprechen. „Mama, kann ich bitte deinen Wagen haben?" „Sicher, aber warum ist Paddy denn ohne ein Wort abgehauen?" „Er hat die Kiste mit meinem Kelly Family Zeug am Dachboden gefunden... und er war nicht gerade erfreut darüber." „Ich verstehe. Nun, dann fahr zu ihm und klär das bitte. Du wirst sehen, es wird halb so wild sein." „Danke Mama." Ich wusste nicht einmal wo er hinfahren würde, also peilte ich unser Haus als erste Adresse an. Als ich die Einfahrt hinauf fuhr, sah ich bereits sein Auto stehen. Langsam schloss ich die Türe auf und suchte nach ihm. Ich fand ihn mit einer Flasche Whiskey auf der Terrasse sitzend vor. Als er mich sah, strafte er mich mit einem bösen Blick. „Bitte lass uns reden." „Ich denke die Sachlage ist hier glasklar." „Paddy, bitte!" „Na schön, erklär's mir." „Chiara und ich waren in den Neunzigern totale Kelly Fans. Wir haben fast kein Konzert ausgelassen." Ich erzählte ihm alles. Alles was ich jedoch von ihm bekam war schweigen. „Bitte sag doch endlich etwas", flehte ich ihn beinahe an. „Was willst du denn hören? Toll, Anna, dass du mich all die Jahre angelogen hast? Toll, Anna, das du mich in dem Glauben gelassen hast, dass unsere Liebe Schicksal war?" „So ist das doch gar nicht!" Plötzlich wurde er stinksauer. „Natürlich ist es genau so! Ich dachte jahrelang, dass du mir genau in dem Moment geschickt wurdest, als ich dich am dringendsten gebraucht habe, doch stattdessen war das alles nur ein abgekartetes Spiel! Wie hast du meine Adresse herausgefunden? Hast du mich gestalkt?" „Paddy, verdammt! Beruhige dich und lass mich erklären!" „Es gibt nichts mehr zu erklären, ich muss hier weg." Schnell machte er auf dem Absatz kehrt, packte seine Tasche zusammen, stieg ins Auto und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Ich stand wie gelähmt da. Noch nie hatte ich ihn so erlebt. Ich wusste, dass mir dieses Geheimnis einmal zum Verhängnis werden würde, doch dass Paddy unser ganzes Leben in Frage stellte, hätte ich mir nie gedacht. Was machte ich jetzt nur? Als mir bewusst wurde, was eben geschehen war, brach ich weinend auf der Terrasse zusammen. Als ich mich wieder etwas beruhigte, rief ich Flora an. Chiara wollte ich in ihrem frisch gebackenen Liebesglück nicht stören. Keine halbe Stunde später, war Flora bei mir und ich heulte mich so richtig bei ihr aus. „Anna, du wusstest es doch, dass er das nicht gerade witzig finden würde." „Natürlich wusste ich das. Aber es gab eben nie einen richtigen Moment und als er mir, kurz nachdem wir zusammengekommen waren, von seinem Kodex erzählte, nie etwas mit Fans anzufangen, hatte mich der Mut komplett verlassen." „Ich denke, du musst ihm etwas Zeit geben. Lass ihn noch einmal darüber nachdenken und du wirst sehen, wenn die erste Wut verflogen ist, kommt er zurück und ihr könnt nochmal in Ruhe darüber sprechen." Ich hoffte Flora hatte Recht, doch sicher war ich mir in dieser Sache keineswegs. Ich war immer noch etwas schockiert von seiner Reaktion. Klar, hatten wir schon öfter mal gestritten, doch so aus der Haut gefahren ist er noch nie. Ich hatte unglaubliche Angst ihn zu verlieren. Wie konnte ich nur so dämlich sein und ihm das all die ganzen Jahre verschweigen. Vermutlich hätte er mir verziehen, wenn ich es ihm bereits am Anfang unserer Beziehung gestanden hätte. Doch nun sprachen die Indizien tatsächlich gegen mich. Abends holte ich die Kinder wieder von meinen Eltern. Das Dach war beinahe wieder komplett saniert. Ich sprach auch mit meiner Mutter über unseren Streit. Natürlich redete sie mir gut zu, aber das brachte alles nichts. Ich hatte Paddy so sehr verletzt. Zuhause versuchte ich vergebens Paddy zu erreichen. Er reagierte auf keinen meiner Anrufe oder Nachrichten. Langsam machte ich mir Sorgen um ihn. Als ich ihn auch am darauffolgenden Tag nicht erreichte, rief ich bei Pino an. „Anna, ich dachte mir schon, dass du anrufst." „Ist er bei dir? Geht es ihm gut?" „Ja, er ist ok, aber ich denke er möchte im Moment nicht mit dir sprechen." Das versetzte mir einen Stich. „Danke Pino. Kannst du ihm bitte sagen, dass er sich melden soll, sobald er soweit ist?" „Das mache ich, Bye Anna." Erleichterung und Wut machten sich bei mir breit. Wenigstens wusste ich jetzt, dass er nicht tot in einem Straßengraben lag, doch ich war auch wütend, dass er nicht einmal an seine Kinder dachte, die sich ebenfalls um ihn sorgten. „Mama, warum ist Papa so plötzlich abgehauen?", fragte mich meine älteste Tochter. „Ach weiß du Emma, ich habe Mist gebaut." Ich erzählte meiner dreizehnjährigen Tochter, dass ich Paddy angelogen habe und nicht weiß, wie ich es wieder gut machen sollte. „Er wird doch wieder kommen, oder?" Es zerriss mir beinahe das Herz, also log ich Emma an, denn ich war mir keineswegs sicher, dass er wieder kam. „Natürlich mein Schatz, er liebt euch und würde euch nie verlassen." Es vergingen weitere zwei Wochen, ohne dass ich auch nur ein Wort von Paddy hörte, als plötzlich spät abends mein Handy klingelte. Paddy! Nervös ging ich ran. „Hallo." „Ich habe gehört, du suchst nach mir." Er war eindeutig betrunken, denn er lallte jedes zweites Wort. „Natürlich suche ich nach dir! Wir machen uns Sorgen um dich. Wo bist du?" „Ich bin bei Gina." Als er diese vier Worte aussprach, zersprang mein Herz in tausend Teile und ich hätte mich am Liebsten übergeben. „Sie ist mir so eine gute Freundin und hat mich bestimmt noch nie angelogen. Ich wollte nur, dass du unseren Kindern sagst, dass es mir gut geht." „Paddy bitte komm nachhause", flehte ich ihn an. „Ich weiß gerade nicht wo mein zuhause ist." „Mach's gut, Anna." Er legte auf. Nun war es also passiert, er hatte sich gerade von mir getrennt. Die Liebe meines Lebens war einfach so aus meinem Leben verschwunden. Schluchzend ließ ich mich auf mein Kissen fallen, voll mit Schmerz den ich noch nie gespürt hatte. 

Butterflies in my BellyWhere stories live. Discover now