Kapitel 12

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!!! Bevor du weiterliest, empfehle ich dir beim Lesen des Kapitels das Lied Another Love zu hören !!!

Tag nach der Hochzeit

„Verfickte Scheiße"

Ich gehe es immer wieder durch. Und immer wieder fällt die Zigarette aus meiner Hand. Nur so kann es gewesen sein. Immer wieder gehe ich diesen Moment durch. Den Moment, in dem mir die Zigarette aus den Fingern gerutscht ist und den Brand verursacht hat, für den mein Vater mich eh schon schuldig gehalten hat. Mir kommt nur kurz der Gedanke es ihm einfach zu sagen. Jetzt sofort nach unten zu gehen und ihm zu sagen, dass ich mich geirrt habe, dass er Recht hatte und ich daran schuld bin, dass ein Gebäude in Trümmern liegt, Leute beinahe verletzt wurden und selbst der vielleicht schönste Teil seiner schrecklichen Hochzeit zerstört wurde. "Nein", befehle ich mir selbst. "Das kannst du nicht machen." Nicht nach diesem Ausraster. Nicht nachdem ich meinen Vater so runter gemacht habe. Nicht nachdem ich beteuert habe, dass ich sowas hätte nie tun können. Aber ich hab es doch auch nicht gemacht, oder? Es war doch nur ein Versehen? Ja, und das Betrinken und der Sex mit Chaya war auch nur Versehen. Na, klar. Klar!

Der Stress löst in mir wieder mal das all zu gut bekannte Gefühl aus. Das Gefühl, dass ich was brauche. Ohne richtig drüber nachzudenken, laufe ich mit drei großen Schritten ins Bad. Vor dem Spiegelschrank, in dem ich meinen Vorrat an Drogen versteckt halte, bleibe ich stehen. Mein Puls ist jetzt schon auf 180. Der Selbsthass in mir frisst mich auf und die Schuldgefühle drohen meine Brust zu zerdrücken. Ich will nur dass das alles verschwindet. Jedes dieser Gefühle. Ich denke nicht daran, dass ich damit über einen Monat clean sein weg schmeiße. Dass ich wieder einmal aufgebe. Wieder einmal versage. Wieder einmal Ashton enttäusche. All das ist nicht ansatzweise so dringend wie dieses Gefühl, das mich umbringt. Ich kann den Anblick des Spiegels kaum ertragen. Diese Augen, dieses Gesicht. All das gehört zu einem Versager. Meine zitternde Hand reißt den Schrank auf. Die Schachtel, auf der "Erste Hilfe Kasten" steht, fällt direkt in mein Blickfeld. Ja, meine erste Hilfe. Drogen. Pillen. Gras. Kokain. Schmerztabletten. Alles, was ich in meinem Leben schon mal genommen hab ist da drin.

Ich zieh den roten Plastikkasten raus und werfe ihn ins Waschbecken. Meine Hände hören nicht auf zu zittern, mein Herz nicht auf zu schlagen, meine Luft will nicht aufhören dünner zu werden. Versager. Versager. Lügner. Schlechter Sohn. Versager. Hure. Versager. Es will nicht aufhören. Diese Stimme in meinem Kopf will nicht aufhören zu schreien. Immer wieder. Verlierer. Du bist ein Verlier. Süchtiger. Schwach. Verlierer. Wie ein Verrückter hau ich mir selbst gegen den Schädel, aber die laute Stimme verstummt nur für ein paar Sekunden. Als sie wieder da ist, ist der Koffer schon auf. Doch was mich anlächelt sind keine Drogen. Nicht meine weißen Pillendöschen, nein. Viel schlimmer.

Da liegen zwei Fotos in dieser verdammten Kiste. Wer hat das hingetan? Das ist nicht schon immer da. Wer weiß von diesem Versteck? Ashton? Nein, der hätt mich angeschrien und alles weggeworfen. Lyra? Die hätt mir nh Schelle gegeben. Wer aber dann?

Auf dem einem Foto bin ich als Kind. 6 oder 7. Neben mir meine Mutter. Ein Strandbild. Mein dünner Kinderkörper gebräunt mit grüner Badehose und einer viel zu engen Taucherbrille auf der Nase. Daneben Mum in all ihrer Schönheit. Braunes Haar, dass ihr in nassen Wellen über die Schultern fällt. Ein Lächeln, was Tränen in meine Augen ruft. Ihr knallgelber Bikini mit roten Blumen und auch sie trägt eine Taucherbrille. In meiner Hand halte ich einen Stock, an dem ein roter Krebs hängt. Mum lächelt beinahe genauso stolz wie ich.

Das Foto ist wie ein Stich direkt ins Herz. Dieses Lächeln. Meine Mutter. Wie perfekt alles war. Wir waren perfekt. Mit dem dünnen Stück Papier zwischen den Fingern lande ich dumpf auf meinen Knien. Tränen laufen über meine Wangen. Tränen der Trauer. Tiefster Trauer. Wie konnte ich so werden? Was hätte Mum von mir gedacht, würde sie mich jetzt so sehen? Gebrochen am Boden des Badezimmers. Vor mir eine Kiste mit Drogen genug um die ganze Stadt lahm zu legen. Ihr kleiner Junge mit einem riesigen Haufen von Schulden auf den Schultern. Sie würde es hassen. "Es tut mir leid.", flüstere ich leise, als könnte sie mich hören. Als würden meine Worte irgendwas an meinen taten ändern oder sie rechtfertigen. Als wären meine Worte noch irgendwas wert. "Es tut mir so leid."

Vorsichtig schiebe ich das erste Foto beiseite und lege das zweite frei. Unwillkürlich, ohne dass ich was dagegen tun könnte, kommt ein elender Schluchzer meine Kehle hoch und meine Mundwinkel zucken nach oben. Das ist ein ganz anderes Lächeln, was hier drauf ist. Ein Lächeln, dass es noch gibt. Ein Lächeln, dass mich gerettet hat.

Ich taste in meiner Hosentasche nach meinem Handy und wähle seine Nummer. Nach dem dritten Piepen nimmt er ab. "Hey, Edmond-"

"Ich liebe dich." Stille. Schluchzen. "Ich liebe dich, Rico." Es ist das einzige, was mir durch den Kopf geht. Keine laute Stimme mehr. Nur noch dieser eine Satz. Als wäre es das einzige, was ich sicher wüsste. Das einzige, bei dem ich mir sicher sein kann. Noch kommt nichts.

Die Stille beginnt mir Angst zu machen. Was hab ich getan? Wie konnte ich? Was dachte ich mir nur? Dachte ich wirklich, er würde einfach sagen... "Ich liebe dich auch, Edmond."

Ich hoffe sehr, euch gefällt dieses Kapitel :)
Ich wollte euch schonmal drauf hinweisen, dass ich in den nächsten Tagen ein völlig neues Buch veröffentlichen werde. Es geht wieder um eine Romance, dieses Mal aber etwas mehr in Richtung Krimi und Mafia. Seid gespannt ;)

Eure Sofie

Nur ein Junge | ✔️Where stories live. Discover now