Kapitel 20

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Mein Kopf ruht auf Ricos Brust. Mein Arm liegt quer über seiner Brust. Seine Hand geht mir durchs Haar. Sein Herzschlag pocht beruhigend in meinem Ohr. Nicht nur die Decke, die mir bis zu den Hüften gezogen liegt spendet mir Wärme, sondern auch sein warmer Körper. So könnt es immer sein. Es ist unglaublich, wie ich etwas vermissen konnte, was ich nicht einmal kannte. Es fühlt sich an, als hätte ich endlich das gefunden, was mich wieder ganz macht. Jemand, der mir das gibt, was ich schon immer gebraucht habe. Liebe und Geborgenheit. Und zwar das von sich selbst aus. Kein Bruder, kein Dad, keine... Mum, sondern einfach mein Freund. Mein Freund, der mich liebt, weil ich, ich bin.

„Schläfst du heut hier?", fragt er in die angenehme Stille hinein. Will ich bei ihm schlafen? Ich meine, er ist mein Freund. Sollt ich da nicht bei ihm schlafen? Schlafen wollen? Ich könnt Dad oder Ashton einfach sagen, dass ich bei einem Mädchen übernachtet habe. Wenn sie es überhaupt interessiert. Aber...

„Ich muss nach Hause. Mein Vater wollt noch mir reden.", lüg ich einfach. Wenn ich was kann, dann lügen. „Wirklich? Worüber? Doch nicht etwa wieder wegen Drogen?" Ich stütze mich neben ihm auf, um von oben herab in sein Gesicht sehen zu können. „Nein, ich bin clean."
Er streckt seine Hand aus, mit der er mir sanft eine Haarsträhne hinter Ohr legt. „Ich glaube die und ich bin unglaublich stolz auf dich, Edmond. Verdammt stolz." Ein glückliches Lächeln zeichnet sich auf meinen Lippen ab, bevor ich ihn diese zärtlich, aber sehnsüchtig aufdrücke. „Lass uns morgen Abend zusammen auf eine Party gehen." Rico zieht die Augenbrauen in die Höhe. „Wird dein Bruder auch da sein?" Mein Magen wird flau, als ich daran denke, dass das tatsächlich der Fall sein könnte und dass es dann nicht abwegig ist, dass man uns zusammen sieht. Und nicht nur er, alle anderen auch.

„Vielleicht"

„Ich würde mich freuen, ihn richtig kennen zu lernen. Und auf ein Wiedersehen mit Lyra freue ich mich auch." Ich gebe nur ein schwaches mhm von mir als Antwort. „Du verstehst dich wirklich gut mit Lyra, hab ich recht?" Lyra ist mir ein eindeutig lieberes Gesprächsthema als Ashton. Außerdem ist sie eine Person, die wir beide schon gut kennen und mögen. „Sie ist einfach sehr sympathisch."

„Auf den zweiten Blick, ja.", stimme ich zu. Rico schnaubt belustigt über meine Anmerkung auf. „Meine Tante mochte sie wirklich sehr. Lyra konnte gut mit ihr reden." Ich leg meinen Kopf wieder auf seine Brust ab und greife nach seiner Hand, um sie in meine zu nehmen. Mit meinem Daumen streichle ich immer wieder über seinen Handballen. „Dann muss Lyra sie gemocht haben. Sie ist nicht zu jedem so freundlich."

„Jeder mochte meine Tante, es war beinahe unmöglich sie nicht zu lieben." Eine kurze Stille bricht wieder über uns hinein, die auch er wieder bricht. „Vertraust du Lyra viele Dinge an?"

„Manches", mit dieser Antwort muss er sich zufrieden geben und er tut es. Nach einer Weile, stütz ich mich wieder hoch, strecke mich und gehe mir seufzend durch die Haare. „Ich muss jetzt los." Rico setzt sich ebenfalls auf. „Ich bring dich zur Tür." Wir küssen uns noch drei Mal, bevor ich wirklich durch die Tür gehe und zum Auto laufe.

Zuhause ist es still. Dads Auto ist weg, keine Spur von Heidi oder Ven, das einzige was ich höre, ist ein lautes Stöhnen, als ich am Zimmer meines Bruders vorbei gehe. Ich kann mir ein blödes Grinsen nicht verkneifen und hämmere laut mit geballter Faust gegen die Tür. Ich kann sogar noch Lyras schreckhaften Schrei hören, bevor Ashtons laute Stimme zu mir dröhnt. „Verschwinde, Ed!"

„Viel Spaße euch noch!", ruf ich durch die Tür zurück. „Ed?" Das war Lyra. Ihre Stimme gibt um einiges mehr Preis, über das, was die darin machen, als die meines Bruders. „Lyra", kommt es von mir entgegnend. „Besorg mir mal einen Becher Eis. Und misch die Karten, ich komm in 20 Minuten zu dir!"

„Mache ich, überanstreng dich bloß nicht."

„Fresse!"

An diesem Abend kann ich mit einem Lächeln und einem freien Gefühl in der Brust ins Bett steigen.

Erst am Samstag Abend beginnt für mich der Tag wirklich. Gegen Lyra habe ich gestern im Poker natürlich wieder Hochhaus gewonnen, Spaß hat es trotzdem gemacht.
Nachdem ich mich fertig gemacht habe, hole ich Rico ab und fahre ihn mit zur Party. Es ist kein großes Ding, oder sollte es zumindest nicht sein, aber ich kann es nicht lassen, auf Abstand zu gehen. Jedes Mal, wenn jemand in meine Richtung guckt, achte ich darauf, dass ich nicht zu Rico schaue und ans Händehalten oder Küssen ist für mich gar nicht zu denken. Ich spreche sogar ein, zwei Mädchen an, die ich noch nicht kenne, um meinen gewissen Ruf zu bewahren. Und bei all dem kann ich einfach nicht davon ausgehen, dass Rico mein Verhalten nicht auffällt. Dass er nicht blind ist, zeigt er mir am Ende der Nacht, als er vor der Autotür stehen bleibt, um zu verhindern, dass ich losfahre.

Er verschränkt die Arme vor der Brust, von der ein Teil durch seinen Ausschnitt frei liegt. „Ed, ich verlange nicht, dass du mir vor allen die Zunge in den Hals steckst und von mir aus musst du es nicht mal jemanden sagen, dass du einen Freund hast oder bi bist, aber ich will nicht so behandelt werden, als wäre ich der Jackenständer, den du nur einmal am Anfang und am Ende der Party brauchst."

„Bist du sauer?", die Frage platzt mir wie ein Idiot sofort heraus. Denn einen Streit mit Rico ist das letzte auf der Welt, was ich will. Ee lächelt, wobei mir sofort ein Stein von Herzen fällt und ich glaube tatsächlich, dass meine Schulter etwas nach vorne fallen. „Nein, ich bin nicht sauer." Er legt quer über das Auto seine Hand auf das Dach. Dabei zeigt seine Handfläche nach oben. Nach kurzem Zögern und Umgucken, lege ich ihn meine Hand in seine. „Das ist neu für dich. Ich bin neu für dich und solang es noch neu für dich ist und du dich nicht 100% wohl damit fühlst, dass es jemand anderes weiß, als wir beide, dann wird es auch kein anderer erfahren. Ich will lediglich, dass ich eine Person in deinem Leben bin. So dass es andere sehen. Dein guter Freund, mehr nicht."

„Ein guter Freund?"

„Für die anderen, ja. Für uns, dein fester Freund, der dich am liebsten jetzt sofort vernaschen würde." Ich grinse frech und drücke seine Hand einmal fest. „Ich kann heute nicht." In Ricos Gesicht verändert sich in diesem Moment wieder etwas drastisch ins negative. „Natürlich", seine Stimme klingt irgendwie betrübt. Plötzlich steigt er einfach ein und ich hinterher. Die Fahrt zu ihm nach Hause ist still, das einzige, was noch zwischen und stattfindet ist ein Kuss und ein gute Nacht Wunsch, bevor er das Auto verlässt und die Tür zuwirft.

Dieser Samstag ist schon um einige schlechter verlaufen, als der gestrige Tag. Und damit beziehe ich mich nicht nur auf die Sache mit Rico, sondern viel mehr auf das Gespräch mit meinem Dad heute Mittag. Er geht dem Brand weiter nach. Wenigstens wurde ich nicht aufs neue verdächtigt und die Ermittlungen werden wohl noch zwei Wochen dauern und trotzdem war allein das Gespräch genüge, um mich daran zu erinnern, was noch auf meinen Schultern lastet und welchen Problemen ich mich noch in naher Zukunft stellen muss. Und das Problem, Brandstiftung ist um einiges dramatischer als mein vielleicht erforderliches Outing.

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