Kapitel 18

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Als James vor unserer Haustür hält, bin ich der erste, der aussteigt. Ashton muss sich ja noch von Lyra verabschieden, das muss ich aber nicht mehr abwarten. Ich bin wütend und wie. Meine Schritte zur Tür sind schnell und streng. Ich öffne die Tür und stapfe ins Haus. Ich kann Ashtons Schritte hinter mir hören, aber egal, was er vor hat, ich gehe auf direktem Weg die Treppen rauf in Richtung meines Zimmers. „Edmond!" Ich laufe einfach weiter. „Edmond!"
Die Tür ist nur noch wenige Meter entfernt. „Edmond, jetzt bleibt verflucht nochmal stehen!"
Ich bleibe wirklich stehen und drehe mich zu ihm um. Er ist weiter gekommen und näher an mir, als ich dachte. „Was? Willst du mir nochmal vorhalten, dass ich Drogen genommen hab?", frag ich anklagend. Ashton lehnt sich etwas zurück, sein Gesicht verwandelt sich in dieses Hör mir zu, ich weiß was ich tue, Gesicht. Ich würde ihm am liebsten meine Faust in dieses Gesicht rammen. „Ich bin nur vorsichtig, Ed. Das hat nichts damit zu tuen, dass-"

„Oh doch! Du hast mehr als klar gemacht, was du von mir hältst. Du denkst ich könnte nicht clean bleiben. Und noch schlimmer du denkst wirklich, dass ich so schwach bin und meinen Dealer in einen Club rufe! Es würde mich nicht wundern, wenn du auch denkst, dass ich die scheiß Hochzeit in Brand gesteckt hab!" Ich brauche seine Antwort nicht, die Pause und der leere Gesichtsausdruck sagen mir genug. „Nicht dein Ernst?", sag ich leiser und verziehe mein Gesicht verletzt. „Natürlich nicht! Edmond, natürlich denke ich nicht, dass du irgendwas in Brand gesteckt hast, aber es ist Fakt, dass du so oft gesagt hast, du wirst clean. Aber es ist immer das gleiche. Du kriegst die plötzliche Erkenntnis, dass du sauber werden musst und ein paar Wochen später wird es dir doch zu viel und du machst alles wie zuvor."

„Vielleicht hab ich es nie geschafft, weil mir nie jemand geholfen hat!" Ashtons Gesicht wirkt erschrocken. „Ich habe es immer und immer wieder versucht. Ich habe dich da unterstützt, wo ich konnte, wenn du meine Hilfe nicht annimmst, kann ich dir vielleicht einfach nicht mehr helfen!"

„Es geht mir darum, dass du immer das Schlechteste von mir denkst, Ashton! Ich wünsche mir nur, dass wenigstens eine Person, mein eigener Bruder, hinter mir steht! Mich in Schutz nimmt und glaubt!" Dass ich genau so eine Person gefunden habe, eine die das schafft, was er nicht kann und konnte, ist in diesem Moment für mich nicht von Relevanz. Es geht nur um ihn und mich.

„Und das tue ich auch!"

„Nein! Nein, tust du nicht. Du redest und redest, aber du tust nichts! Stattdessen hängst du Lyra an den Lippen." Den Namen sollte man vor ihm nur nennen, wenn man ihm in Guten verwendet. Man merkt es sofort daran, wie seine Haltung sich aufs Neue verändert. „Meine Beziehung hat nichts mit deinem Verhalten zu tun, Ed. Nichts. Also lass dieses Thema raus."

„Du bist doch heute auch erst ausgerastet als Lyra ins Spiel kam! Sieh es ein, sobald etwas mit ihr ist, bist du sofort dabei was zu tun! Bei mir schaust du solange drüber hinweg, bis es eigentlich schon zu spät ist."

„Bist du etwa eifersüchtig darauf, dass ich Lyra hab?" Ich lache auf und fahre mir durchs Haar. „Hörst du mir überhaupt zu?! Ich bin sauer, weil du mich verletzt mit deinem Verhalten! Jetzt gib mir den scheiß Test!" Ich strecke meine Hand aus. Natürlich hat er ihn nicht bei sich, aber er schnaubt und dreht sich ohne was zu sagen um. Er verschwindet eine Tür weiter in seinem Zimmer, lässt die Tür aber auf, denn nach nur einer Minute kommt er mit einer weißen Papp Packung wieder. Ich reiß ihm die Scheiß Pissstreifen aus der Hand und stampfe in mein Zimmer. Auch ich schließe die Tür nicht. Das wird nicht lange dauern. Als ich mich Badezimmer eingeschlossen hab, beginne ich sofort damit wütend und eilig meine Hose aufzuknöpfen.

"Du musst es verstehen, Ed." Der steht doch jetzt nicht echt vor der Badezimmertür? "Halt die Fresse!"

"Ich mache mir doch nur Sorgen. Du bist mein kleiner Bruder, ich will nicht mit ansehen, wie du dir dein Leben kaputt machst." Ich verdrehe die Augen. Das sind genau solche Worte, die jeder mal hört. Blödes Gerede. "Jetzt halt den Mund, Ashton, ich muss pissen!" Danach ist er solange leise, bis ich mit dem beschissenen Streifen zwischen meinen Finger wieder raus komme. Er steht mit verschränkten Armen an der Wand neben der Tür und dreht sich gespannt zu mir. Als sein Blick auf den Test und das Ergebnis fällt, entspannt er sich und atmet laut aus. Als würde ihm nh Last von den Schultern fallen. "Jetzt geh raus." Er guckt zu mir, macht keine Anstalten nochmal mehr mit mir zu diskutieren oder sonst was zu tun. "Das da ist das Beste, was ich heute gesehen habe." Ich lasse den Streifen im Müll verschwinden und nicke zur Tür. Ashton geht und schließt die Tür hinter sich.

Als er draußen ist, ist das erste, was ich tue Rico anrufen. Nur noch ein paar Stunden. Nur noch ein paar Stunden noch, dann kann ich ihn endlich wieder sehen und mich von seinem Lächeln anstecken lassen.

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Ungeduldig wipp ich immer wieder mit dem Fuß auf und ab. Rico wird jeden Moment hier auftauchen. Der Tag bis hier hin war der längste Tag, den ich je überstehen musste. Ich dachte meine Gedanken wären schon ins unermessliche von Rico besessen, aber heute ging wirklich gar nichts mehr. Lyra musste mich drei Mal in der Schule an stupsen, damit ich nicht verräumt die Lehrerin anstarre, während sie meinen Namen ruft. Selbst beim Training, was mich eigentlich immer ablenkt, hat nicht sonderlich viel gebracht. Ich hab sogar fast vergessen zu essen, aber auf dem Weg zum Flughafen bin ich an Mac Donalds vorbei gekommen. Da hab ich kurz gehalten, um für mich und Rico was zu essen zu holen. Er saß den ganzen Tag am Flughafen oder im Flugzeug und hat bestimmt Hunger und ist zusätzlich müde.
Ich gucke nochmal auf meine Uhr auf dem Handy. Er ist vor einer halben Stunde gelandet, wartet aber noch auf seinen Koffer. Eigentlich wollte er darauf bestehen, mit einem Taxi zu fahren, aber das hab ich nicht zugelassen. Das Geld kann er sich wirklich sparen.

Ein wenig nervös bin ich schon. Okay, wen will ich verarschen? Ich bin scheiße nervös. Meine erste Liebe, meine erste Beziehung und wir haben uns seit Wochen nicht mehr gesehen. Und seit unseren Geständnissen nichts getan außer telefoniert oder getextet. Was wenn es unangenehm wird? Keiner redet? Oder er merkt, dass ich doch nicht so bin, wie er dachte? So viele mögliche Dinge, die dieses Wiedersehen zerstören könnten. 

Ich guck nochmal auf mein Handy. Meinen Standtort hab ich Rico schon geschickt, damit er auch wirklich direkt weiß, wo genau er hin muss. Die Nachricht hat er auch schon gesagt. Aber geantwortet hat er wiederum nicht. Als ich wieder hoch gucke, gucke ich nichts bestimmtes an. Einfach zum Flughafen Eingang und die Menschen und Taxen davor. Ich hab einen Parkplatz ganz in der Nähe bekommen und warte auch da auf ihn. Plötzlich stechen aus der Menge Locken hervor. Goldene Locken, die ich überall wieder erkennen würde. Und mit jeder Sekunde, die ich dahin gucke, gehen mir mehr Menschen aus dem weg, bis Rico vollerkennbar da steht und direkt auf mich zukommt. Er ist nicht mal mehr Zehn Meter entfernt. Aufgeregt steck ich das Handy in die Hosentasche und stelle mich aufrechter hin. Meine Hände reibe ich an meiner Jans. Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt. 

"Hey" Und schon steht er vor mir. Das ging schnell. Wie ein steifer Vollpfosten, der kein Plan hat, was er tun soll, stehe ich vor ihm und er vor mir mit seinem Koffer neben sich. "Hey", begrüße ich zurück. Einen Moment gucken wir uns nur an. Ich genieße einfach nur den Anblick, den ich so sehr vermisst habe. Diese schönen Augen, die zusammen mit seinen Zähnen strahlen. Die rötlichen Wangen mit leichten Sommersprossen, all diese Kleinigkeiten, die vielleicht nur mir auffallen, machen ihn so perfekt. Meine Lippen bilden ein glückliches Lächeln und mir fällt eine Last von der Brust, als ich begreife, dass er jetzt endlich wieder hier ist. Ricos Hand rutscht von dem Koffer recht von ihm und dann lehnt er sich vor, um mich mit beiden freien Armen zu umarmen. Ich brauche nicht lange und erwidere Umarmung. Er ist etwas kleiner als ich, sodass sein Gesicht gegen meine Schulter drückt. 

"Ich hab dich vermisst, Querido." Seine Stimme so nah bei mir zu hören bringt meinen Herz zum flattern. So muss es sich anfühlen, wenn Leute sagen, sie haben Schmetterlinge im Bauch. Dieses leichte Kitzeln, diese Sorglosigkeit und das Gefühl puren Glücks. Es ist wunderbar. Als er sich von mir löst, berühren seine Lippen meine Wange beim Zurückgehen. "Wollen wir los?", fragt er und nickt in Richtung Auto, das hinter mir steht. "Ja, komm." Ich nehme ihm den Koffer ab, verstaue ihn im Kofferraum und setze mich dann hinter das Lenkrad, während er sich auf den Beifahrersitz setzt. Mal schauen, wie die Fahrt wird. Und noch viel spannender wird es, was wir beide alleine in seiner Wohnung vor haben...

Nur ein Junge | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt