Kapitel 25

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Lyra

Als ich den Baum in der dunklen Nach erkenne, versuche ich noch mit meinem ganzen Körper einen Aufprall zu verhindern, aber es ist bereits zu spät. Das Auto schleudert nicht am Baum vorbei, sondern genau gegen ihn. Mein Schrei erstickt in meinem Hals, als mir die Luft aus der Brust gedrückt wird mit dem heftigen Aufprall. Mein Kopf knallt mit dem Airbag zusammen und Glassplitter prasseln auf meinen Körper und freie Haut ein, wie tausend Nadeln. Ein ekliges Piepen nistet sich in mein Ohr, sobald ich was anderes als meine eigenen Schreie hören kann und dann gibt es nichts mehr, außer dieses Piepen.

Ich öffne nur vorsichtig meine Augen, die ich beim Aufprall fest zusammengekniffen habe. Erst sehe ich nur Sterne und wildes Feuerwerk, doch mit jeder Sekunde wird meine Sicht etwas klarer, bis ich beinahe alles erkenne, was ich erkennen sollte. Dampf, Dreck, Glas, ein gelber Airbag. Wir sind seitlich gegen den Baum gekracht. Meine Seite gegen den Baum. Es ist ein Wunder, dass ich mir nicht den Kopf gegen dem Holz aufgeschlagen habe. Es ist ein Wunder, dass ich hier eingeklemmt überhaupt noch lebe.

Ich drücke in meiner Angst darum, dass dieses Auto gleich noch in Flammen aufgeht, den Airbag vor mir unter und blicke wieder ins Schwarze der Nacht. Dann zur Seite. Edmond hat die Augen geschlossen, der Kopf ist nah vorne gefallen und Blut tropft ihm von der Stirn. Ob das wohl seine alte Wunde vom Boxen ist? Oder doch eine neue? Lyra!
Ich ermahne mich schnell selbst, um nicht weiter abzudriften. Ich suche nach meinem Anschnaller und zu meinem Glück, schaffe ich es ziemlich schnell, mich abzuschnallen, nur um mich dann zur Edmonds Seite zu rollen und nach seinem Puls zu tasten. Er schlägt noch, sogar sehr stabil dafür, dass wir grade mit voller Geschwindigkeit in einen Baum gerast sind. „Edmond... Edmond" Auf meine Stimme reagiert er nicht.

Plötzlich kracht etwas auf das Auto. Ich zucke schreiend zusammen. Angst schnürt mir immer weiter die Kehle zu. Ich fange an Edmond leicht auf die Wange zu hauen, was dann ziemlich schnell zu einer richtigen Backpfeife wird. Und dann endlich öffnet er seine Augen. Die Pupillen noch immer so groß wie Frisbeescheiben. Verdammt der ist einfach nur total zugedröhnt, deswegen war der weg. „Wa- was?", stottert er völlig daneben und wirft den Kopf zurück gegen den Sitz. „Wir müssen aus diesem Auto raus." Während ich mit ihm rede, suche ich nach seinem Anschnaller, um ihn auch ab zu schnallen. Als es das zweite Mal klickt, rüttle ich ihn noch einmal heftig. „Hast du mich gehört?! Wir müssen raus hier, jetzt komm!"

Eigentlich bin ich viel zu schwach, um einen Jungen wie ihn aus einem Auto zu zerren, aber in diesem Moment schaffe ich es mit seiner Hilfe doch. Als meine Füße endlich den Asphalt der Straße berühren, kann ich mich und ihn noch ein paar wenige Meter vom Auto wegzerren, dann breche ich mit ihm zusammen. Meine Beine geben einfach nach. Seine Arme halten mich wenigstens, sodass ich eher auf seinem Schoß lande, als auf der harten Straße. Ich kralle mich an seinen Oberarmen fest, um meinen Oberkörper aufrecht zu halten, der sich irgendwie seltsam anfühlt, doch wirklich schlimm, fühlt sich mein Bein an. „Ed, du musst... du musst einen Krankenwagen... rufen, ich... ich fühl mich nicht so gut." Zwischen meinen Worten muss ich immer wieder scharf nach Luft atmen.

Doch noch scheint Edmond nicht richtig zu realisieren, was grade passiert. Seine Hand streichelt mir plötzlich übers Haar. „Es tut mir so leid, Lyra, das ist meine Schuld ich... ich hätte besser sein sollen." Ja, wirklich?! Edmond, ruf... jemanden an... bitte." Er sagt mir noch einmal, dass es ihm leidtut, dann tastet er endlich in seiner Hosentasche nach, doch... „Ich hab meins nicht mehr." Ich reiße so gut es geht nochmal die Augen auf. „Was?!" Plötzlich dringt Schmerz aus meinem Bein hoch in meinen Kopf. Von jetzt auf gleich fühlt es sich an, als würde sich irgendwas in mein Fleisch bohren. Ich zische mit gepressten Zähnen auf und kneife Ed dabei ziemlich fest. „Was ist los? Was tut dir weh?" Sein Kopf scheint wenigstens wieder etwas zu funktionieren.

„Ich weiß es nicht... es... tut so weh." Ich stöhne auf, als er mich auf den Boden ablegt, dabei aber gut aufpasst, dass mein Kopf nicht aufprallt. Dann kniet er sich neben mir und zieht mit zittrigen Händen mein Shirt hoch, doch da scheint er nichts zu finden, als nächstes tastet er mein Bein ab. Als er an meinem linken Schenkel drückt, schreie ich sofort schmerzerfüllt auf. Ich kann nichts sehen und die Schmerzen erlauben mir es auch nicht, mich nach oben zu beugen, aber Edmonds Fluchen zu Folge, stimmt etwas nicht. Ich huste erschöpft auf und greife nach seiner Hand, die auf meinem Bauch liegt. „Was ist?", frag ich ihn von unten mit schwacher Stimme. „Du... da.. oh Gott, Lyra.. da ist ein Stück Glas in... in deinem Schenkel." Ich weiß nicht genau wieso, aber irgendwie muss ich lachen. Ein Lachen, das sich schnell wieder in ein Husten verwandelt.

„Ist es.. tief?", frage ich weiter. Edmond guckt mich völlig hilflos an. „Woher soll ich da denn wissen?!" Dann bewegt er sich, ich kann zwar nicht sehen, was er tut, aber mit einem Mal zieht er sein Shirt aus und dann muss ich schon wieder aufschreien. Er drückt das Stück Stoff ganz fest auf mein Bein, sodass ich jetzt wirklich einmal fast ins Sitzen komme. „Fuck!"

„Das muss sein, die Wunde blutet viel zu stark, du verlierst zu viel Blut. Ich muss drücken."
„Ruf lieber jemanden an.", schlag ich vor und lehne mich wieder zurück. „Wo ist dein Handy?" Ja wo? Ich muss kurz überlegen, dass fällt mein blick zum Auto, dass noch immer Benzin und Dampf verliert. „Im Auto.", murmle ich leise. Edmond dreht sich nach hinten um und presst die Lippen aufeinander. „Das wird jetzt weh tun."
„Was?!" Edmond nimmt das Shirt, hebt mein Bein an, schlingt es drum und zieht dann so fest, dass wirklich kein Tropfen Blut mehr fließen kann. Er zieht noch zwei Mal, um den Knoten zu vollenden, währenddessen beiße ich mir so fest auf den Unterarm, dass ich schon Blut schmecke.

„Was hast du jetzt... vor?", frag ich gepresst. „Ich hol dein Handy."

„Bist du verrückt?" *Husten* „Das Auto könnte jeden Moment-"
„Explodieren? Wie in Filmen?" Sogar jetzt traut er sich beinahe zu grinsen. „Lyra, wenn wir Pech haben, werden für Stunden keine Leute hier vorbei fahren und ich gehe dieses Risiko nicht ein." Ich will nach ihm greifen, aber weder mein Körper noch er erlaubt es mir. Ich bin zu langsam, er zu schnell. Mit nur Drei großen Schritten ist er beim Auto und klettert schon hinein. Ich sehe noch, wie er sich im Auto beugt, um wahrscheinlich auf dem Boden nach dem Handy zu suchen, als dann tatsächlich hinten im Auto etwas aufflammt. Ich rolle mich halb auf die Seite und schreibe seinen Namen. „Edmond! Edmond! Geh aus dem Auto raus! Edmond!" Die Flammen fressen sich viel zu schnell weiter und bald ist alles was ich sehe Rauch und Flammen, bis...

Der Knall schleudert mich nicht nur ein Stück nach hinten, sondern droht mir auch das Trommelfeld zu zerplatzen. Jetzt ist nichts mehr da außer Hitze. Ich höre vielleicht nichts, aber das hält mich nicht davon ab, mir die Seel aus dem Leib zu schreien. Immer wieder schreie ich seinen Namen und versuche mich aufzurappeln, doch ich erhalte keine Antwort.

Nur ein Junge | ✔️Where stories live. Discover now