Kapitel 3

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„Jeon Jungkook! Was für eine Freude, dich hier in meinem Unterricht begrüßen zu dürfen", waren die Worte, die seine Mathe Lehrerin ihm entgegenschleuderte, als er zehn Minuten zu spät zur ersten Stunde kam. Jungkook hatte auf dem Weg zur Schule einen bunten Schmetterling entdeckt und die Zeit vergessen. Er liebte schöne Dinge und konnte schwer den Blick abwenden. „Du bist zu spät. Setzen."

Er unterdrückte das Bedürfnis, den stillen Jungen in der Ecke zu mustern, der starr geradeaus blickte und ihm keine Beachtung schenkte.

Taehyung sprach mit keinem aus der Klasse und keiner sprach mit ihm. Zu oft hatte es jemand bei ihm versucht, doch sie gaben schnell wieder auf, wenn Taehyung sie kalt abblitzte. Meistens war es ein kurzer Augenverdreher oder eine andere abweisende Geste, die den anderen klarmachten, dass er nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Jungkook hatte sich noch nicht getraut, ihn wieder anzusprechen, nachdem seine ersten Worte zu ihm... nicht gerade eindrucksvoll gewesen waren.

Er beobachtete ihn also aus der Ferne—still und unauffällig, mit dem Hintergedanken, ihn irgendwann wirklich anzusprechen.

Heute trug Taehyung einen braunen Mantel mit einem weißen T-Shirt und einer dunklen Hose, die seine langen Beine betonten. Sein Haar war etwas zerzaust und lockig, teilweise noch feucht an den Enden.

Jungkook schluckte trocken.

Wie gesagt, er liebte schöne Dinge.

Alle glotzen ihn an und er sah im Augenwinkel, wie er mitleidende Blicke von seinen Freunden erntete. Er verstärkte den Griff um seinen Rucksack—so stark, dass ihm die Knöchel weiß hervorstanden. Er mochte es nicht, dass die ganze Aufmerksamkeit auf ihm haftete. Er wurde dann immer so nervös und hatte das Gefühl, zu viel zu schwitzen oder zu stottern oder sich auf eine andere Art und Weise zum Affen zu machen.

„Entschuldigung für die Verspätung", murmelte er viel zu schnell, bevor er sich in die hinterste Reihe setzte. Ihm und Taehyung trennten zwei Tische. Er musste nur den Kopf drehen und schon konnte er—

Sie hasst dich nicht", formte Jin aufmunternd mit den Lippen, der neben Jungkook saß.

Jungkook verzog nicht überzeugt das Gesicht.

Sie hasste ihn.

Und irgendwie konnte er es auch verstehen, aber sie war eine Lehrerin—Schülern das Leben schwer zu machen und ihnen Angst einzujagen, zählte nicht zu ihrem Aufgabenbereich.

Er schüttelte zur Antwort mit dem Kopf und Jin zeigte beide Daumen nach oben, bevor er sich wieder auf den Unterricht konzentrierte.

„Jeon Jungkook! Hör zu, das ist wichtig", ermahnte ihn die Lehrerin und er zuckte zusammen. Wie konnte es sein, dass sie alles sah? Das war unmenschlich.

„Entschuldigung!", piepste er.

Jimin flüsterte aus der mittleren Reihe: „Sie hasst dich."

Jungkook zischte ihm „Pst" zu und presste dann die Lippen zusammen.

„Da wir nun endlich vollständig sind." Ihre kalten Augen verengten sich, während sie die Blätter in ihrer Hand ungeduldig hin und her schwankte. „Eure Testergebnisse."

Test...ergebnisse?

Test.

Oh, verdammt.

Jungkook begann, mit den Füßen zu zappeln und verschränkte seine nun feuchten Hände.

Er wusste nicht, warum er plötzlich so nervös war oder warum er so zu schwitzen begann. Er hatte den Test vermutlich aus seinem Gedächtnis verdammt, weil er kaum etwas ausgefüllt hatte. Er hatte sich nicht einmal getraut, in das Gesicht seiner Lehrerin zu blicken, als er den Test mit bebenden Händen vor ihr hingelegt hatte.

Die hohen Schuhe der Lehrerin klackten auf dem Boden—so laut und penetrant, dass Jungkook sich wünschte, sie würde barfuß in der Klasse herumlaufen.

Sie war so klein, dass ihr nichts anderes übrigblieb, als hohe Schuhe zu tragen, um überhaupt auf der Tafel schreiben zu können. Jungkook war drei Köpfe größer als sie und er konnte es in ihren Augen sehen, wie sehr sie es hasste, wenn Jungkook auf sie herabsah. Er versuchte sich dann immer kleiner zu machen als er war, doch das funktionierte schlecht bei seiner Größe.

Jegliche Farbe wich ihm aus dem Gesicht, als sein Test auf dem Tisch platziert wurde. Seine Fingerspitzen juckten, danach zu greifen—

„Bevor ihr eure Testergebnisse anseht, möchte ich nur eines erwähnen", erklang ihre hohe Stimme, als sie wieder nach vorne ging. „Diese Klasse ist mit Abstand die schlechteste Klasse, die ich je unterrichtet habe. Die Noten sehen dementsprechend nicht gut aus, fast zwei Drittel sind bei dem Test durchgeflogen."

Ein Seufzen erklang von einigen Schülern. Eine Schülerin aus der mittleren Reihe begann leise zu fluchen und ihr Sitznachbar schien mit den Tränen zu kämpfen.

War es schrecklich, wenn Jungkook sich dadurch besser fühlte? Immerhin war er dann nicht der Einzige mit einer schlechten Note.

Jungkook sah für eine Sekunde zu Taehyung, er konnte nicht widerstehen. Taehyung zuckte kaum mit den Wimpern. Jungkook war sich sicher, dass er sich nicht angesprochen fühlte. Jeder in der Klasse wusste, dass er klug war und nur gute Noten bekam.

Er beneidete ihn dafür—so sehr.

„Ich weiß, dass es einige Schüler gibt, die sich bei dem Stoff nicht besonders gut durchblicken." Jungkook starrte auf seine Socken, eine Socke war orange, die andere blau. Er konnte ihren stechenden Blick auf ihn spüren. „Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, bis zu euren Abschlussprüfungen, also habe ich mir etwas ganz Besonderes überlegt."

Wenn sich eine Mathe Lehrerin etwas ganz Besonderes überlegte, war das nie ein gutes Zeichen.

Das dachten auch Jungkooks Freunde, als er es wagte aufzublicken. Jimins Gesicht war genervt verzogen, Hoseok stützte sich mit den Ellbogen am Tisch ab und lauschte mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck ihren Worten weiter, Jin kritzelte etwas uninteressiert auf seinem Block und Yoongi... Yoongi war wieder einmal nicht da. Er fehlte nun schon zu lange.

Jungkook nahm sich nach der Schule vor, ihn zu besuchen.

„Da es mir als Lehrkraft nicht gelingt, euch den Stoff beizubringen, könnt ihr euch untereinander helfen. Es werden Gruppen gebildet, die dann an einem gemeinsamen Projekt arbeiten werden."

Jungkook verkniff sich ein genervtes Aufstöhnen. Er hasste Projekte. Er konnte auch nicht verstehen, wie ihm das helfen sollte, den Stoff zu verstehen. Er warf Jin einen fragenden Blick zu und dieser nickte bestätigend.

Wenigstens hatte er bereits einen Partner.

Mit Jin würde er das schon irgendwie schaffen.

All The Words You Never Said [VKOOK]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt