Kapitel 19

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„Interessant" sagte seine Mutter nur und Taehyung gestikulierte wieder etwas. „Mhm."

„Ich wusste nicht...", begann Jungkook und blinzelte seine Mutter verwundert an. „Woher kannst du das?"

Und woher konnte Taehyung das? Konnte er das schon immer?

Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, ehe sie auf Jungkooks Kleiderschrank zusteuerte und anfing, seine Sachen darin zu sortieren. Jungkook konnte sich gerade noch zurückhalten, nicht genervt aufzustöhnen. „Ich hatte eine Freundin, die gehörlos war. Zuerst habe ich mich ganz normal mit ihr unterhalten und geredet und geredet... ich habe gar nicht aufgehört zu quasseln! Ich dachte ganze Zeit, dass sie mir zuhört und als ich sie dann was gefragt habe, hat sie nur auf ihre Ohren gedeutet und den Kopf geschüttelt. Früher nannte man es taubstumm, aber dieser Begriff wird nicht gern gehört, also nennt man es Gehörlos. Sie können ja theoretisch sprechen, sie können sich nur nicht selbst hören und deswegen auch nicht sprechen und— ich rede wieder zu viel, oder? Naja... Taehyung! Du kannst mich doch hören, oder? Gut. Das war auf jeden Fall das erste Mal, dass ich jemanden getroffen habe, der nicht sprechen kann. Und hören. Und es hat mich so gestört!"

Jungkook wurde heiß. „Dass sie nicht sprechen konnte?!"

Sie prustete und faltete eines von Jungkooks T-Shirts neu. „Oh, nein, nein, nein. Dass ich mich nicht mit ihr unterhalten konnte. Es war unfair. Ich wollte mit ihr reden!"

„Oh."

„Ich habe zwei Jahre gebraucht, um flüssig Gebärdensprache anzuwenden", erklärte sie. „Sie hat mir das wichtigste beigebracht, damit wir auf ihre Art reden können und bis heute habe ich noch Kontakt mit ihr! Wir schreiben über das Telefon. Da fällt mir ein, ich habe ihr noch gar nicht dieses Kuchenrezept geschickt, dass sie unbedingt haben wollte—"

„Wieso wusste ich das nicht?", schmollte Jungkook.

Sie winkte mit der Hand ab. „Ach, ich habe schon seit Ewigkeiten nicht mehr so kommuniziert, das hättest du gar nicht wissen können. Dank Taehyung kann ich jetzt aber wieder alles auffrischen! Ich hoffe, du kommst öfters?" Sie lächelte zuversichtlich und Taehyung nickte langsam.

Jungkooks Mutter erstrahlte wie die Sonne.

Wieder zeigte Taehyung etwas mit den Händen und sie prustete laut los.

„Was... was hat er gesagt?", fragte Jungkook. Er wollte sich auch mit Taehyung unterhalten!

Würde ihn seine Mutter ein paar Worte beibringen, wenn er sie fragen würde? Oder Taehyung?

„Er meinte, er würde das nächste Mal dein Zimmer aufräumen", kicherte sie, während sie ein Hemd glattstrich. Jungkook hatte es noch nie getragen, aber seine Mutter bestand darauf, es in seinem Schrank zu haben. „Glaub mir, Taehyung. Ich versuche schon seit Jahren etwas Ordnung in Jungkooks Leben zu bringen, aber keine meiner Drohungen werden wahrgenommen." Sie seufzte. „Vielleicht schaffst du es ja?"

Tatsächlich funkelten Taehyungs Augen schwach.

„Haha, wie lustig", murmelte Jungkook. „So schlimm ist es auch wieder nicht. Meine Unordnung ist auf eine gewisse Weise... Ordnung. Ich finde alles, was ich suche!"

Das meiste. Ein paar Dinge hatte er seit Jahren nicht mehr gesehen, zum Beispiel seine Neongrünen Socken, die sein Vater ihm aus Spaß geschenkt hatte oder dieses eine Buch aus der Grundschule—das einzige Buch, das er je in seinem Leben gelesen hatte. Und das auch nur, weil er musste. Dann hatte er Taehyung kennengelernt und nun waren es schon zwei Bücher.

Seine Mutter ignorierte ihn. „Wenn du wüsstest, was ich schon alles unter Jungkooks Bett gefunden habe! Vor drei Wochen war da seine Unterhose, die ich—"

All The Words You Never Said [VKOOK]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt