Kapitel 35

458 35 72
                                    

„Kannst du bitte aufhören?"

„Was tu ich denn?"

„Du starrst ihn an."

„Ich—Ich starre ihn nicht an."

Jungkook starrte Taehyung an.

Taehyung stand am Eingang der Cafeteria und bewegte sich nicht. Jungkook fragte sich, ob Taehyung ihn suchte oder ob er einfach nur einen freien Platz haben wollte, wo ihn keiner störte und er sein neues Buch lesen konnte. Jungkook wusste, dass es neu war, weil er in Taehyungs Bücherregal noch nie ein pinkes Buch gesehen hatte. Keine große Sache. Jeder würde sich so etwas merken. Jeder würde auf so etwas achten.

Taehyung sah... wundervoll aus. Sein Haar war durcheinander, seine Haut glänzte, er trug eine dunkle Jeans mit einem großen, schwarzen Pullover und als Jungkook einen Blick in Taehyungs Gesicht wagte, stieg ihm die Hitze zu Kopf. Sie hatten miteinander gesprochen. Sie hatten sich geküsst. Geküsst, bis sie sich gegenseitig schmecken konnten, geküsst, bis ihre Lippen rot und ihr Atem schnell waren, geküsst, bis Jungkook abbrechen musste, denn sonst hätte er—

Sonst wäre er vermutlich an einem Herzinfarkt gestorben.

„Du starrst ihn schon wieder an", seufzte Jin. „Hol ihn doch her."

„Jungkook, geht es dir gut?", fragte Jimin dann, als hätte er sich nicht die letzten paar Minuten nur auf Yoongi konzentriert und würde jetzt versuchen, sich irgendwie ins Gespräch einzubringen. Jimin hatte wie immer einen Arm um Yoongi geschlungen und ihn an sich gedrückt. Diesmal hatte sich Yoongi nicht dagegen gewehrt.

Yoongi lehnte sich nur ein Stückchen zurück, wohlwissend, dass Jimins Arme ihn dadurch mehr stützten und er es sich gemütlicher machen konnte.

„Natürlich geht es Jungkook gut. Er verhält sich so wie immer, nicht wahr?", beantwortete Yoongi Jimins Frage.

Heute war ein guter Tag für Yoongi. Er war in der Früh aufgestanden, hatte sich geduscht, gefrühstückt, seine Tabletten genommen und etwas für die Schule gemacht. Jungkook war stolz auf ihn. Es war nicht einfach—das war es nie. Seit Jungkook zusammengebrochen war, schien Yoongi genauso gelitten zu haben. Er hatte sich vorgeworfen, nicht da gewesen zu sein. Daraufhin hatte er sich vorgeworfen, ein schlechter Freund zu sein. Dann kamen die Schuldgefühle, die Yoongi so sehr einnahmen, dass er wieder zurück in eine depressive Phase geworfen wurde und er das Haus für eine Woche nicht verließ. Jungkook hatte ihn jeden Tag besucht. Er hatte Yoongi jeden Tag versichert, dass es ihm wieder gut ging und dass er Yoongi nicht böse war und dass er wieder mehr auf sich achten würde und—

Er hatte Yoongi von Taehyung erzählt.

Er war der erste, der es wusste.

Es war eigentlich nicht geplant gewesen, denn Jungkook wusste, er musste aufpassen, wie viel und was er erzählte. Er wollte Yoongi nur etwas trösten und ablenken, dann hatte sich sein Gehirn ausgeschaltet und er hatte gerufen: „Taehyung und ich haben uns geküsst!"

Yoongis Reaktion war nicht das, was Jungkook erwartet hatte. Zuerst hatte Yoongi nichts gesagt, dann hatte er nur gefragt: „Wann? Wie? Was?"

Und Jungkook hatte ihm alles erzählt. Wie Taehyung bei ihm geschlafen hatte, wie er ihn zum ersten Mal geküsst hatte, als Taehyung ihn von sich gestoßen hatte, warum es ihm damals so schlecht ging, warum er nicht schlafen konnte und geweint hatte, und nichts essen konnte—

„Oh, Gott", hatte Yoongi irgendwann gesagt. „Jetzt macht alles Sinn. Deine ganzen Reaktionen und Blicke und— Ich muss Taehyung ausfragen. Ich muss ihn interviewen. Ich brauche eine Bewerbung und einen Lebenslauf und oh— oh, mein Gott, kannst du dir vorstellen, wie Jin reagiert, wenn er das hört? Ich glaube, er wird weinen und sagen, du wirst so schnell groß. Und Namjoon! Er wird es dir wahrscheinlich nicht mal glauben. Hoseok wird dich von Anfang an ausfragen und Jimin— Jimin—"

All The Words You Never Said [VKOOK]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt