9| Louis

683 78 31
                                    

„Louis, bleib stehen."

Ich kann immer noch nicht glauben, dass Harry hier gerade wirklich vor mir steht. Immerhin habe ich ihn fast zwei Wochen gekonnt ignoriert und dass er mich eben einfach umarmt hat, nachdem er mich erkannt hat, das kam dann doch ein wenig plötzlich. Und dass ihm der Kuss, genau so wie mir, etwas bedeutet hat und er zum Glück keinen Freund hat, ist wohl die einzig gute Nachricht heute.

„Kommst du wirklich nicht mit?", frage ich Harry und drehe mich zu ihm um, als Liam und ich uns ein paar Schritte von ihm entfernt haben. Er scheint ziemlich unentschlossen zu sein, und fährt sich durch die Haare, sodass sie ziemlich wirr von seinem Kopf abstehen. „Ich- ich weiß nicht so recht.", sagt er nur so laut, dass ich ihn kaum verstehe. „Ich würde mich freuen.", nuschle ich und schaue auf den Boden.

Da ich nicht damit gerechnet habe, dass Harry tatsächlich auf mich zukommt, zucke ich etwas zusammen, als er plötzlich vor mir steht und laut ausatmet. „Okay", haucht er dann und ich meine, dass Liam ziemlich geschockt darüber ist. „Danke."

Vorsichtig greife ich nach seiner Hand, als er neben mir her geht und deutlich angespannt zu sein scheint. Dann schaue ich nervös zu ihm hoch und beiße mir auf die Lippe, als er mich mit großen Augen anschaut. „Ich hätte nicht einfach gehen sollen, tut mir leid.", murmle ich und gehe gemeinsam mit Liam und Harry durch den Haupteingang des mir viel zu bekannten Krankenhauses gehen. „Lass uns wann anders darüber reden, ja? Heute ist wahrscheinlich nicht der beste Zeitpunkt.", entgegnet er und drückt meine Hand kurz. Ich nicke nur und lehne meinen Kopf gegen seine Schulter, ehe ich leise seufze.

„Danke, dass ihr mitkommt.", bedanke ich mich bei den beiden, als wir gerade in den Aufzug steigen und ich den Knopf auf die fünfte Etage drücke. „Das ist selbstverständlich, Louis. Ich freue mich, dass du mich angerufen hast.", lächelt Liam und tätschelt meine Schulter, worauf ich mir ein Lächeln aufzwinge. Harry drückt nur meine Hand und atmet die ganze Zeit schon ein wenig flacher. Anscheinend geht er wirklich nicht gerne in Krankenhäuser. „Harry, du musst nicht mitkommen. Ich will dich zu nichts zwingen, wozu du keine Lust zu hast.", sage ich an ihn gerichtet, doch er schüttelt den Kopf. „Ich mache das gerne für dich. Es hat auch nichts mit Lust haben oder nicht zu tun, ich weiß nicht woher die Angst kommt, aber eigentlich, beziehungsweise auch jetzt habe ich panische Angst vor Krankenhäusern. Bei vielen ist es die Angst vor Spinnen, bei mir vor Krankenhäusern.", erklärt er und schaut über mich hinweg zu Liam, der ihn grinsend anschaut. „Du hast doch auch Angst vor Spinnen.", brummt Harry und schaut danach wieder zu mir. „Ja, genau. Es sind Spinnen, kein Krankenhaus.", entgegnet Liam und will Harry an der Schulter stoßen. „Liam, hör auf.", sagt Harry forsch und spannt sich kaum merklich neben mir an. Dann ist es ruhig zwischen den beiden und ich fühle mich etwas fehl am Platz.

„Ich bleibe draußen, wenn was ist, ich bin im Schwesternzimmer.", brummt Liam und klopft mir auf die Schulter, ehe er aus dem Aufzug verschwindet und Harry und mich alleine lässt. „Sorry, er ist manchmal so.", seufzt Harry und geht den Schritt raus, ehe die Türen sich schließen. „Woher kennt ihr euch eigentlich?", interessiere ich mich und verschränke unsere Finger langsam miteinander, worauf Harry kurz abgelenkt ist und auf unsere Hände schaut. „Ehm, wir waren mal zusammen. Jetzt sowas wie beste Freunde, trotzdem fühlt es sich manchmal noch komisch an.", erklärt er und ich merke, wie mein Herz kurz stehen bleibt. „Oh.", sage ich dann und senke den Blick auf den Boden. „Aber das ist seit einem guten Jahr vorbei, da ist absolut nichts mehr, von meiner Seite aus verspreche ich es dir." Er hebt meinen Kopf am Kinn an und stellt sich vor mich.

„Es ist absolut der falsche Zeitpunkt, aber du hast mich seit der ersten Sekunde total verzaubert, Louis. Du bist so vollkommen anders, aber genau das will ich. Ich möchte meine Zeit gerne mit dir verbringen, für dich da sein, wenn du jemanden zum Reden brauchst und in naher Zukunft auch dein Freund sein, wenn du das auch willst.", murmelt Harry und legt seine freie Hand auf meine Wange. Ich nicke nur und will gerade anfangen, irgendwas dummes zu reden, als eine Pflegerin neben uns stehen bleibt und mich direkt erkennt. Glücklicherweise hält sie mich davon ab, irgendeine Scheiße von mir zu geben, weshalb ich ihr danken könnte, mich aber zurückhalte.

„Hey, wir geht es dir?", will sie wissen, doch ich zucke nur mit den Achseln, bevor ich merke, wie Harry meine Hand drückt. „Was ist mit Mum?", frage ich und beiße mir auf die Lippe, als sich ihr Blick plötzlich ändert. „Ich darf dir darüber keine Auskunft geben, aber ich werde sofort Doktor Webber zu dir schicken. Du und deine Begleitung könnt euch erstmal in den Aufenthaltsraum setzen, ja?" Harry neben mir bedankt sich, doch ich schüttle nur mit dem Kopf. „Ich möchte zu meiner Mum, bitte lassen Sie mich zu ihr.", verlange ich und will nach vorne gehen, werde aber von Harry zurückgehalten.

„Du kannst im Moment nicht zu ihr, Louis.", sagt sie mitleidig und dreht sich um, um den Gang wieder entlang zu gehen. Gerade will ich ihr hinterherrufen, als Harry mich gerade noch zurückhält. „Lou, hier ist Nachtruhe.", flüstert er und lächelt mich traurig an. „Ich will zu meiner Mum.", hauche ich und merke, wie sich Tränen in meinen Augen sammeln. „Das kannst du gleich sicherlich auch, aber warte erstmal auf den Doktor, ja?" Geschlagen nicke ich und schaffe es, mich aus Harrys Griff zu lösen, bevor ich den Gang in Richtung des Zimmers meiner Mum renne.

Dass ich so schnell bin, überrascht mich ziemlich. „Louis, bleib stehen.", höre ich Harry noch leise rufen, jedoch zu spät. Ich reiße die Zimmertür auf und schnappe nach Luft. Alle Geräte, die Mum benötigt hat, aus. Das Licht aus, der Fernseher, der gestern noch lief, aus. Die Fenster zu. „Nein.", hauche ich und schalte das Licht an, bevor ich auf das Bett meiner Mutter zugehe. Dort liegt sie zugedeckt, bis über den Kopf nur ein weißes Laken.

„Louis-", höre ich Harry noch sagen, kann mich jedoch absolut nicht auf ihn konzentrieren und ziehe das Laken etwas runter, sodass ich ihr Gesicht sehen kann. Und da liegt Mum, kreidebleich, mit geschlossenen Augen und keinem Lächeln mehr auf den Lippen. „Nein, Mum, nein.", wimmere ich und fahre durch ihre Haare, ehe ich sie sachte an der Schulter schüttle. „Du kannst nicht einfach sterben, Mum, ich habe niemanden mehr.", weine ich und umarme sie so gut ich kann. „Du kannst mich nicht alleine lassen.", schreie ich weinend und werde sanft von Mum weggezogen, bevor ich starke Arme um mich spüre und laut aufschluchze, ehe ich mich an Harry kralle, der mir über den Rücken streicht. „Tot, einfach tot.", weine ich und verfestige meinen Griff.

Mum kann nicht einfach sterben. Gestern war ich noch bei ihr und es ging ihr gut. Wir haben zusammen gelacht, einen Film geschaut, auch wenn sie mittendrin eingeschlafen ist und haben gemeinsam gesessen. Zehn Jahre konnte sie mit dem Krebs leben und jetzt nicht mehr?

„Mister Tomlinson, Sie sollten nicht hier sein.", kommt es plötzlich aus Richtung Tür, weswegen Harry mich ein wenig von sich drückt. „Mum ist tot, wieso haben Sie mir nicht Bescheid gegeben? Ich habe den Anruf vor verdammten drei Stunden bekommen, wieso?" Dass ich den Arzt anschreie, merke ich kaum, jedoch spüre ich, wie Harry mich beruhigen will. „Ich erkläre Ihnen gerne alles, aber lassen Sie und in ein anderes Zimmer gehen.", bietet er an, doch ich schüttle nur den Kopf. „Ich will sie nicht alleine lassen. Sie muss sich so einsam fühlen.", hauche ich und löse mich von Harry, um zum Bett meiner Mutter zu kommen.

„Dann verabschieden Sie sich bitte von ihr, damit wir sie in die Pathologie bringen können.", bittet der Arzt mich, worauf ich nur brumme und mich auf die Matratze setze. „Mum, es tut mir so leid, dass ich dir Harry nicht vorstellen konnte. Du hättest ihn geliebt, das verspreche ich dir. Aber ich habe ihn verscheucht, indem ich einfach weggelaufen bin.", flüstere ich und zucke zusammen, als ich zwei Hände auf meinen Schultern spüre. „Du hast mich nicht verscheucht, Louis.", flüstert Harry und haucht einen Kuss auf meinen Kopf. „Ich hätte nicht einfach weglaufen sollen. Wenn ich nicht einfach weggelaufen wäre, hättest du Mum noch kennengelernt. Jetzt siehst du sie hier nur so leblos liegen. Das war nicht wirklich der Plan und meine Vorstellung, wie ihr euch kennenlernen würdet.", nuschle ich und lehne mich an Harrys Oberkörper. „Es ist okay.", flüstert er und umarmt mich von hinten sodass mein Hals zwischen seinen Oberarmen liegt. „Ich vermisse sie jetzt schon.", schluchze ich und streiche über ihre kalte Haut. „Das tut mir leid.", flüstert Harry und seufzt leise.

„Okay?", fragt er dann irgendwann, als ich Mum für eine Weile nur weinend angeschaut habe. „Nein, aber ich muss.", murmle ich und stehe langsam auf, bevor ich meiner Mutter einen letzen Kuss auf die Stirn hauche und sie dann langsam wieder zudecke. „Ich hab dich lieb, Mum.", verabschiede ich mich und schaue Harry dankend an, bevor er mich schon beinahe aus dem Raum schiebt.

"It's Your Fault, Haz."Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt