10| Harry

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„Ist ihm irgendwas passiert?"

Mit einem schlafenden Louis in meinen Armen gehe ich die Einfahrt hinauf und hoffe darauf, dass meine Väter noch nicht schlafen. Zum mindestens ist das Licht in der Küche noch an. Etwas umständlich klingle ich und schaue auf Louis, der während der Fahrt vom Krankenhaus nach hier eingeschlafen ist und ich ihn nicht wecken wollte, weshalb ich ihn vorsichtig aus dem Auto gehoben habe. Jetzt sehen seine Gesichtszüge deutlich entspannter aus, was mich lächeln lässt.

„Harry?", kommt es plötzlich von der Tür, in welcher Paps nur in seiner langen Schlafanzughose steht und sich müde durch die Haare fährt. „Ich wollte dich nicht wecken.", entschuldige ich mich und schaue kurz zu Louis, der den Kopf dichter an meine Brust schmiegt. „Ist ihm was passiert?", fragt Paps etwas besorgt und tritt bei Seite, sodass ich in den Flur treten kann. „Er ist im Auto eingeschlafen, ich wollte ihn aber nicht wecken.", erkläre ich dann und gehe in Richtung Treppe. „Wolltest du nicht eigentlich mit Liam was machen?", will er wissen und kommt wieder auf mich zu, nachdem er die Tür wieder geschlossen hat. „Doch, ich erkläre es dir gerne, aber vorher würde ich Louis gerne kurz ins Bett bringen." Paps nickt verständlich und geht noch schnell in Richtung Küche, während ich leise die Treppe hochgehe und in meinem Zimmer mit dem Ellenbogen das Licht anmache, bevor ich auf mein Bett zugehe und Louis dort auf die Matratze lege. Da er eine Jeans anhat, versuche ich, so leise und vorsichtig wie möglich, ihm diese auszuziehen und gegen eine Jogginghose einzutauschen.

Gerade als ich ihm meine Hose anziehen will, kommt Paps ins Zimmer und hebt die Augenbraue, was mich schmunzeln lässt, ich ihm jedoch schnell bedeute, eine Minute zu warten. Schnell, nicht zu schnell ziehe ich Louis meine Hose über die Hüften und stelle fest, dass diese viel zu groß für ihn ist. Aber kleinere habe ich nicht und zum Schlafen ist es ja nicht sonderlich schlimm. Sehen tut es ja eh keiner. Ich vielleicht, aber das war es dann auch.

„Lass uns in den Flur gehen.", flüstere ich dann und deute auf meine Zimmertür, worauf mein Vater und ich kurze Zeit später neben der geöffneten Tür im Flur stehen. „Ich bin gespannt. Es ist gleich halb eins, Harry.", fängt Paps an, worauf ich nicke. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken. Ich war auch bei Liam, wollte eigentlich auch da schlafen, bis er einen Anruf bekommen hat.", fange ich an und fahre mir müde durch die Haare. „Er meinte dann zu mir, dass ihn der Sohn einer Patientin angerufen hat und so. Er wollte dann zu ihm, hat aber schon getrunken, also hat er mich gefragt, ob ich ihn fahren würde. Begeistert war ich nicht, habe dann aber eingewilligt. Natürlich wusste ich nicht, dass es dabei um Louis geht. Erst als die beiden wieder zum Auto gegangen sind, habe ich ihn erkannt.", rede ich weiter und atme tief durch. Dass mich der Tod von Louis' Mum so mitnimmt, hätte ich selbst nie gedacht.

„Wir sind dann zum Krankenhaus gefahren und ich wollte unten warten, doch irgendwie hat Louis es geschafft, dass ich mitgekommen bin. Irgendwie hatte Liam dann seine fünf Minuten und ist ins Stationszimmer verschwunden." Paps hört mir schweigend zu und streicht über meine Wange, als eine Träne über diese kullert. „Seine Mum ist tot. Louis ist einfach in ihr Zimmer gerannt, obwohl er eigentlich auf einen Arzt warten sollte, der ihm erzählt, was los ist. Und dann stand er da, hat das Laken etwas beiseite geschoben und hat seiner toten Mutter ins leblose Gesicht gesehen. Ich habe nie gedacht, dass mich ein Tod einer Person, die ich noch nie zuvor gesehen habe, so mitnehmen würde. Wie Louis so zerbrechlich wurde und ich absolut nicht wusste, was ich machen soll, außer ihn in den Arm zu nehmen und versuchen ihn zu trösten. Louis hat seine Mum verloren, ein Vater existiert anscheinend nicht in seinem Leben und Liam hat mir erzählt, dass er minderjährig ist. Ich mache mir Sorgen, will für ihn da sein, habe aber keine Ahnung, wie. Wie geht man mit jemandem um, der seine Mutter am Tag zuvor verloren hat?", frage ich verzweifelt nach und finde mich wenig später in den Armen meines Vaters wieder.

„Sei einfach für ihn da und es passiert, was passieren muss. Sag Louis auch, dass er gerne so lange hier bleiben möchte wie er will und wir ihm bei allem möglichen helfen werden.", flüstert Paps, während wir uns immer noch umarmen. „Kann Dad sich morgen informieren, wie es aussieht, wegen einer Pflegefamilie oder ob Louis das Jahr noch irgendwie alleine klarkommen kann? Oder muss man gucken, ob sein Vater noch sorgeberechtigt ist?", murmle ich und löse mich langsam von ihm. „Ich frage ihn direkt morgen früh. Und wir reden morgen in Ruhe, ja? Es ist spät und wir brauchen beide unseren Schlaf.", lächelt Dad und haucht einen Kuss auf meine Stirn.

„Okay, gute Nacht.", murmle ich und streiche mir die Wangen trocken. „Ich bin morgen um halb sechs raus, muss zur Arbeit.", sage ich noch, bevor ich mich auf den Weg ins Bad mache, um mich dort bettfertig zu machen. „Na dann, viel Spaß und schlaf gut. Bist du um halb drei dann wieder hier?" Ich nicke und winke kurz, ehe ich ins Badezimmer verschwinde.

Gute zehn Minuten später mache ich mich nur in einer Schlafanzughose auf den Weg in mein Zimmer, wo Louis noch seelenruhig schläft, sich nur etwas auf Seite gelegt hat. Leise gehe ich aufs Bett zu, nachdem ich das Licht ausgeschaltet habe und schlüpfe vorsichtig unter die Decke, ohne Louis zu wecken. „Gute Nacht.", flüstere ich ganz leise und lege mich so, dass ich Louis anschauen kann.

*

Als mein Wecker viel zu früh klingelt, setze ich mich brummend auf und lehne mich über Louis, um den Alarm auszustellen. Davon wacht er jedoch leider auf und fragt mich leise, was los sei. „Ich muss zur Arbeit, schlaf ruhig weiter." Ich hauche ihm einen Kuss auf den Kopf und stehe dann langsam auf. „Wie spät ist es?", murmelt er und dreht sich auf Seite, bevor er die Decke bis zu seiner Nase zieht. „Fünf Uhr, du kannst aber schlafen, meine Eltern wissen Bescheid. Fühl dich wie zu Hause, ja?" Louis brummt nur und schließt dann wieder die Augen.

Grinsend stehe ich auf und schnappe mir eine einfache Jeans und ein Shirt, bevor ich ins Badezimmer husche und mich dort unter die Dusche stelle, um schnell wach zu werden.
Danach ziehe ich mich schnell an, putze mir meine Zähne und föhne meine Haare ein wenig an, bevor ich sie halbwegs zu bändigen versuche und dann wieder in mein Zimmer gehe, wo ich mich von Louis verabschieden möchte. Und tatsächlich ist er wach und guckt schweigend an die Decke. „Hey.", flüstere ich und gehe auf ihn zu, sodass er den Kopf langsam in meine Richtung dreht. „Hi.", bekommt er hervor und wischt schnell über seine Wange. „Ich wünschte, ich könnte jetzt bei dir bleiben.", murmle ich und setze mich auf die Bettkante. „Schon gut.", lächelt er gepresst und schaut mich dann mit glasigen Augen an. Traurig schaue ich ihn an und lehne mich zu ihm runter, um ihn vorsichtig zu umarmen. „Konntest du zum mindestens etwas schlafen?", will ich wissen und streiche seine Wangen trocken. „Ziemlich gut sogar. Ich habe lange nicht mehr so gemütlich gelegen.", entgegnet er und wird rot. „Wo schläfst du denn sonst immer?", hake ich nach und schaue auf Louis' Hand, welche meine zu seinem Oberkörper zieht, wo er meine mit dem Handrücken auf seine Brust legt und dann mit meinen Fingern spielt. „Auf der Couch im Wohnzimmer. Meine Matratze ist total durchgelegen.", erklärt er, worauf ich ihn etwas schockiert anschaue. Dass er und seine Mum so schlecht gelebt haben, wusste ich nicht. „Du kannst gerne so lange liegen bleiben, wie du willst. Sonst ist Dad bis neun hier und Paps fährt gegen acht, aber wenn du alleine hier bist, fühl dich wie zu Hause. Guck in alles rein, wo du reingucken willst oder ruf mich an. Die Nummer von der Arbeit schreibe ich dir auf und lege sie auf die Küchenzeile, okay?" Louis nickt und wird rot. „Danke Harry. Das würde nicht jeder machen. Eigentlich niemand, danke.", haucht er und lächelt leicht. „Du bist mir wichtig, Louis. Auch wenn wir ums kaum kennen, du hast jetzt schon ziemlich weit oben einen Platz in meinem Herzen.", murmle ich und stehe langsam auf. „Bedien dich an meinem Kleiderschrank und wenn du möchtest, können wir heute Nachmittag in die Wohnung fahren, um dir Klamotten zu holen. Paps hat angeboten, dass du so lange hier bleiben darfst, wie du willst, ja?" Wieder nickt er und schließt kurz die Augen. „Danke." Ich entgegne mit einem „Kein Problem." und drücke seine Hand, welche immer noch in meiner liegt. „Schlaf noch gut. Um halb drei bin ich wieder hier.", verabschiede ich mich und gehe rückwärts zu meiner Zimmertür. „Danke, viel Spaß." Ich lache leise, bedanke mich trotzdem und verschwinde schließlich in den Flur und dann nach unten, wo ich Louis schnell die Nummer aus dem Büro der JVA aufschreibe und dann wieder im Flur angekommen, meine Schuhe anziehe, um dann mit einer kleinen Verspätung aus der Haustür zu treten.

"It's Your Fault, Haz."Where stories live. Discover now