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„Wir haben direkt in der ersten Stunde zeichnen mit Mrs. Lou. Entspannter geht's nicht", seufzte Ellie zufrieden, während wir unser Klassenzimmer betraten. „Ich mag die Frau. Sie ist so ruhig und verständnisvoll, ihre Ideen sind auch gut und nicht so langweilig", meinte ich. „Ja, da hast du Recht. Ich wünschte, wir hätten Mathe mit ihr. Aber nein, wir müssen ausgerechnet Mr. Lynch bekommen", beschwerte sich meine beste Freundin. „Pass auf, nicht, dass hier ein verstecktes Mikrofon ist, oder gleich mehrere!", warnte ich sie. „Du paranoides Kind." „Am Ende hab ich Recht." „Du hast immer Recht." „Ich habe immer Recht."

„Ist das so?"

Ellie und ich unterbrachen unsere heiße Diskussion und sahen erstaunt zu Elijah. „Natürlich habe ich immer Recht", meinte ich schließlich und stand auf, um nicht so klein zu wirken. Mit meinen 175cm war ich auch nicht unbedingt klein, aber Elijah war trotzdem noch gute fünfzehn bis zwanzig Zentimeter größer als ich.

„Okay, dann sag mir mal, wo ich sitzen werde", sagte Elijah. Ich ging zu meinem Platz und deutete Ellie, dass sie sich neben mich hinsetzen sollte. „Du wirst definitiv nicht neben mir sitzen", erwiderte ich und beobachtete ihn. „Falsch", grinste Elijah und ließ sich links neben mir nieder. Hatte er das gerade wirklich getan?

„Das war keine ernst gemeinte Antwort. Du willst doch jetzt nicht wirklich neben mir sitzen, oder?", fragte ich genervt. „Eigentlich schon. Da Quentin neben deiner Freundin sitzen wird, sind wir alle in einer Reihe. Wundervoll!", sagte Elijah uns klatschte begeistert in die Hände. „Kind", brummte ich und holte mein Handy hervor. Ich hatte eine neue Nachricht von Mum:

Mum: »Na, hast du's geschafft?«

Ich: »Aber natürlich, mit meiner Maschine immer!«

„Du fährst Motorrad?", fragte Elijah erstaunt. „Sag mal, was hast du eigentlich für Störungen", fauchte ich und steckte mein Handy wieder in die hintere Hosentasche. „Gar keine, ich bin doch nur neugierig, honey", grinste Elijah. „Du bist nervig und solltest deine Klappe halten", meinte ich.

„Bring mich dazu."

Entnervt sah ich ihn an. „Ehrlich, ich geh gleich zur Polizei wegen Belästigung", sagte ich trocken. Elijah grinste weiter, antwortete aber nichts mehr darauf. Endlich.

„Ich freue mich darauf, euch in eurem letzten Jahr an dieser Highschool in den Fächern Zeichnen und Philosophie begleiten zu dürfen. Mein Name ist Mrs. Lou, für die Neuen!", begrüßte uns die Lehrerin, welche ich am meisten mochte.

„Ich habe mir gedacht, wir fangen heute in den ersten zwei Stunden mit etwas ganz Einfachem an. Ich möchte, dass ihr mir ein Auge zeichnet. So lange und so viele, bis eins dabei ist, welches nahezu realistisch aussieht. Wenn ihr das gut schafft, kommt ihr zu mir und ich sage euch, was als nächstes zu tun ist. Wir werden uns diesen Monat, wenn nicht auch länger, mit dem Thema „Selbstportrait" beschäftigen. Das ist meiner Meinung nach wichtig. Legt los, holt euch Blätter vorne. Und es wird nur mit Bleistift gemalt!"

„Hast du 'n Bleistift für mich?", fragte Elijah. „Hast du etwa keinen?", erwiderte ich verdutzt. „Nö." Ich seufzte auf und gab ihm einen Bleistift, natürlich nicht den besten. „Dankeschön, honey", sagte Elijah grinsend. „Erstens: Hör auf, mich so zu nennen. Zweitens: Hör auf, so behindert zu grinsen", befahl ich ihm. Doch das brachte ihn noch mehr zum Grinsen.

“Okay, honey."

„Weißt du, dass ich dich nicht leiden kann?", fauchte ich und begann, die Pupille zu zeichnen. „Eines Tages wirst du mich lieben, honey", flötete Elijah. „Wenn ich im Grab liege und- nein, nicht mal dann", erwiderte ich wütend und zerknüllte das Blatt.

„Wow, das arme Blatt", rief Elijah entsetzt. „Halt die Fresse, verdammt nochmal!", fuhr ich ihn an. Es reichte doch langsam. „Okay, chill", murmelte Elijah. „Nichts chill! Kannst du nicht einfach aufhören, alles zu kommentieren?", zischte ich. „Schon gut, honey. Ich lasse es", sagte Elijah versöhnlich. Ich streckte ihm meinen Mittelfinger entgegen und versuchte ein weiteres Mal, das Auge zu zeichnen.

Nach zwanzig Minuten hatte ich das perfekte Bild vor mir. Ich war echt stolz auf mich, aber zeichnen gehörte einfach zu meinen Stärken. Es war gute Therapie, für was, wusste ich nicht. Aber mir ging es dabei besser.

„Honey, hast du einen Spitzer?", fragte Elijah mich. Wortlos überreichte ich ihm meinen schwarzen Spitzer. Ich hatte eine glatte Eins für meine Zeichnung bekommen, jetzt sollte ich das zweite Auge malen. Es sollte, so gut wie es ging, symmetrisch sein.

„Danke, honey", sagte Elijah und gab mir den Spitzer zurück. „Hast du überhaupt schon etwas gemalt?", wollte ich wissen und spähte auf sein Blatt. Mir klappte der Mund auf. Elijah hatte ein wunderschönes Portrait einer Frau gezeichnet. „Wow, du bist echt talentiert", staunte ich. „Ich weiß, honey", grinste Elijah. Oh nein, das war ein Ego-Push.

„Ne, jetzt mal im Ernst, zeichnest du gerne in deiner Freizeit?", fragte ich. „Manchmal, wenn ich etwas Ruhe brauche", antwortete Elijah. Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Immer diese blöden Vorurteile.

„Du siehst so nachdenklich aus, honey. Worüber denkst du nach?", wollte Elijah wissen. „Über dich", sagte ich direkt. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er mich an. „Naja, man erwartet von jemandem wie dir nicht, dass er in seiner Freizeit gerne zeichnet. Aber das sind nur blöde Vorurteile", erklärte ich.

„Oh, du weißt gar nichts über mich, honey."

wild words ✓Where stories live. Discover now