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„Es ist mir eine Ehre, dass du mich nicht hasst ", sagte Elijah schmunzelnd. „Sollte es auch", grummelte ich. „Wieso bist du hier?" Elijah seufzte auf. „Vielleicht war es deswegen, weil ich einfach miterleben will, wie jemand gesund wird. Außerdem muss ich nicht in die Schule, wenn ich bei dir bin. Aber es ist ganz angenehm hier, ich könnte sagen was ich will, wenn ich wegglaufe, erwischt du mich nicht", grinste er jetzt.

Fassungslos sah ich ihn an. „Ist das dein Ernst?" Elijah schaute mich belustigt an. „Ich bin dran mit fragen, honey." Entnervt stöhnte ich auf. „Ich dachte, du würdest aufhören, mich so zu nennen." „Niemals. Also, wieso ist deine Mum nie da?", wollte Elijah wissen. „Sie muss halt hart arbeiten, weil sie mit dem Geld, was wir haben, nicht mehr zufrieden sind. In den letzten Jahren hatten wir mehr Ausgaben als Einkommen, seit mein Vater weg ist", erzählte ich. Elijah wusste nicht so recht, was er sagen sollte, deshalb schwieg er einfach.

„Wieso bist du hergezogen?", lautete meine nächste Frage. „Ich kann es dir noch nicht erzählen", meinte Elijah leise. Ich merkte, dass es ein Thema war, worüber er nicht reden wollte. „Okay", sagte ich. Ich fragte mich selbst, was der Grund war. Vielleicht lag seine Mutter ja hier im Krankenhaus, und damit Elijah sie öfters besuchen konnte, zog er hierher.

...

Meine Mutter kam am nächsten Tag nach Hause, Elijah war schon am Vorabend gegangen. Ich nahm es ihm keinesfalls übel, wir beide brauchten unsere Ruhe. Es war wirklich sehr nett von ihm, bei mir zu bleiben und sich um mich zu kümmern. Aber jetzt war Mum wieder da und es ging mir ohnehin schon viel besser.

Es war Montagmorgen und tatsächlich war ich wieder bereit, in die Schule zu gehen. Das Wetter war echt nicht gut, die Wolken weinten. Zwar passte das zu meiner Laune, aber Sonne würde auch nicht schaden, im Gegenteil. Ich zog mir einen weißen Strickpullover und eine hellblaue Jeans an. Darüber streifte ich mir eine schwarze Jacke über. Meine Haare hatte ich hinten zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden. Geschminkt hatte ich mich, wie üblich, mit Concealer, Mascara und Blush. Passend zum Herbst zog ich mir schwarze Stiefel an und schon war ich fertig.

Auf dem Weg zur Schule hörte ich meine Playlist, in der sich gerade mal drei Lieder befanden. Das wechselte sich alle zwei Wochen, ich fand immer wieder neue, gute Lieder. Als ich am Schulhof ankam, erblickte ich Ellie und Quentin, die sich mal wieder auffraßen. Das musste echt nicht sein, vor allem jetzt, wo es noch so früh war.

„Ich habe keine Ahnung, was ihre Mission ist, aber die ist auf jeden Fall nervtötend." Ich sah neben mich und erblickte Elijah. „Ein Hallo wäre auch angebracht", tadelte ich ihn. „Tut mir leid, Eure Hoheit", sagte Elijah trocken. „Bist du wieder gesund oder wie?" „Sehe ich so aus, als wäre ich jemand, der krank in die Schule kommen würde?", entgegnete ich. „Nein, ich habe dich einfach indirekt gefragt, wie es dir geht", schmunzelte Elijah. „Mir geht es fabelhaft, nur das Popcorn fehlt mir für diese großartige Show", meinte ich und deutete auf das Paar. „Ich denke, dass ich sehr gut verstehen kann, was du meinst", seufzte Elijah.

„Sind du und Quentin nicht befreundet?", fragte ich neugierig. „Wir waren nie befreundet, sondern einfach Nachbarn", erwiderte Elijah. Ich nickte verstehend. Quentin hatte keine Freunde, er behauptete immer, dass Ellie ihm reichen würde. Anscheinend hatte dieser meiner besten Freundin eingeredet, dass sie auch niemanden anderen brauchte und so endete unsere Freundschaft.

„Hast du nicht vor, dich mit Ellie zu vertragen?", wollte Elijah wissen. „Vertragen? Ich bin kein Mensch, der anderen einfach so verzeiht und als Erste angelaufen kommt. Das kann sie sich abschminken, nein. Ellie hat mich verloren und ich bin froh, dass ich sie nicht mehr als beste Freundin bezeichnen kann. So jemanden brauche ich nicht", antwortete ich ehrlich. „Da hast du Recht", stimmte Elijah mir zu.

Schweigend gingen wir nebeneinander zu unserem Klassenraum. Ich empfand seine Nähe, anders als bei unseren ersten Tagen, ziemlich angenehm. Es fühlte sich an, als könnte Elijah mich verstehen. Immer, wenn ein heikles Thema für uns angesprochen wurde, blieb der andere ruhig und machte keine Scherze, sondern verteilte Ratschläge. In diesem Punkt war Elijah, und auch ich, einfach reif.

Wir bereiteten uns für die ersten zwei Stunden vor, nachdem wir uns an unsere Plätze besetzt hatten.

„Kann ich mir mal deine Zeichnungen anschauen?", fragte ich Elijah. Dieser nickte und reichte mir seinen Block. Auf der ersten Seite erblickte ich einen Baum, allerdings keinen gewöhnlichen. Es war ein weinender Baum. „Das ist einfach umwerfend, Elijah", sagte ich fassungslos. „Wie gesagt, ich zeichne schon lange und sehr gerne", erwiderte Elijah leicht lächelnd.

Die zweite Zeichnung war ein Engel, gefesselt. Es sah unglaublich gut aus. Darauf folgten ein Gewitterhimmel, eine traurige Sonne, die Unterwasserwelt eines Meeres und das Portrait von letzter Stunde.

„Elijah, du könntest so viel Geld damit verdienen! Diese Zeichnungen sind einzigartig schön. Ehrlich, ich hab noch nie so etwas Wundervolles gesehen", sagte ich kopfschüttelnd.

„Danke, Lilith. Aber ich möchte meine Zeichnungen nicht verkaufen. Hinter jeder einzelnen steckt eine Geschichte, auch wenn es vielleicht keine schöne ist", erwiderte Elijah. „Verstehe ich. Ach, ich fass es nicht. Ich dachte wirklich, ich wäre gut im Zeichnen", sagte ich belustigt. „Du bist gut im Zeichnen, aber ich bin einfach besser", grinste Elijah.

Und zum ersten Mal fühlte ich mich, als hätte ich eine Person gefunden, die ich brauchen könnte. Jemanden, der mir half, wenn es mir nicht gut ging. Ich spürte dieses Gefühl von Geborgenheit bei Elijah.

wild words ✓Where stories live. Discover now