11. Dezember

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Nach meiner Morgenrunde durch die Stadt kehre ich mittags warmgelaufen in mein Versteck zurück und gönne mir die übrigen Reste meines Abendessens. Anschließend kuschele ich mich in die Decke und wärme sie wieder auf, bis mein Schlafplatz weich und mollig ist.

Jeden Augenblick wird die helle Glocke erklingen.

Ich spitze die Ohren, aber nichts passiert. Vergebens warte ich Stunde um Stunde darauf, dass jemand meine Einsamkeit vertreibt. Mir wird kalt.

Am späten Nachmittag laufe ich tiefgefroren durch die vollen Straßen und sammle mir ein spärliches, widerwärtiges Mahl zusammen, dass mein Magen verkrampft. Einmal am Luxus gekostet, verwöhnt es zu sehr, um auf der Straße zu überdauern.

Auch als ich wiederkomme, lausche ich nach dem Glöckchen, suche den weißen Hasen mit roter Schleife. Hinter der nächsten Ecke wartet das Kind sicher schon darauf, dass ich nach Hause komme.

Nichts.

Ich hätte es besser wissen sollen: Ein Geist hat kein Zuhause, bei dem jemand wartet.

Der Schnee schmilzt auf meiner Haut und gefriert zu klimpernden Eiskristallen. Ich schüttele mich, versuche, die Kälte loszuwerden.

Es hilft nichts. Vielleicht morgen.

~*~

Grelles Licht schießt mir mitten in der Nacht in die Augen!

Ich springe auf. Was ist los? Was ist passiert?

Eine Frau steht vor dem Eingang zu meiner Heimgasse. Sie hält ihre Taschenlampe direkt in mein Gesicht. Unter dem blendenden Scheinwerfer sehe ich nichts außer raubtierscharfe Züge unter einer Brille.

Was soll das?

Die Frau zischt mich beinahe spuckend an und macht zwei große Schritte auf mich zu, bis sie nur noch Zentimeter von mir entfernt steht. Dann packt sie die Decke und reißt sie weg.

Unter dem Schwung stürze ich auf die gefrorene Pappe.

Aber die zieht sie mir ebenfalls weg und zerreißt sie wutentbrannt in Einzelteile. Als ihre Kraft nicht mehr ausreicht, stampft sie mein Dach gewaltsam nieder. Ihre Taschenlampe sucht mich wieder in der Dunkelheit.

Und findet mich.

Rücklings krieche ich immer weiter in die Gasse. Diese Frau ist wahnsinnig geworden! Was habe ich ihr getan, dass sie mein Zuhause zerstört? Das Zuhause, dass das Kind mir – und nur mir! – geschenkt hat!

Sie schreit mich an, läuft mir einige Meter nach, fuchtelt wild mit den Armen und schlägt mit dem zertrampelten Karton auf die letzten Reste meines Zuhauses ein.

Weg! Einfach nur weg!

Irgendwann ist es wieder dunkel und still; einsam und kalt. Ich warte, bis die Dämmerung aufzieht und den nächsten Tag ankündigt.

Ein Geist im SchneeWhere stories live. Discover now