18. Dezember

6 4 2
                                    

Heute geht das Kind nicht in aller Früh aus dem Haus. Heute ist es fast bis zum Mittag ruhig und dunkel bei meinem Kind. Endlich ein Tag, an dem ich ausschlafen kann. Ich strecke meine verschlafenen Glieder, gähne einmal und kuschele mich dann wieder in das warme Kissen.

Als die ersten tapsigen Schritte erklingen, bin ich schon wach und frühstücke gerade spät.

Ich sehe auf und das kleine Kind hopst um die Ecke in meinen Gang. Dieses Mal ist es allein. Es holt die Metallbox aus einem Beutel und füllt mir mein Frühstück nach, während es ängstlich flüstert, mich immer wieder anblickt, als teile es ein gefährliches Geheimnis mit mir.

Ein paar ehrfürchtige Male streicht es mir über Kopf und Rücken – eine Geste, an die ich mich mittlerweile gewöhnen musste – verschließt mit dem leisesten Klicken die Box und stellt sie weg, ohne dass ein Klümpchen raschelt. Es steht auf und pirscht zur Ecke, dreht sich zu mir und winkt mich heran.

Ich folge dem Kind. Was ist dieses Geheimnis, dass du mir zeigen willst?

Gemeinsam schleichen wir wie Geister durch den hohen Schnee, in dem selbst das Kind bis zu den Knien versinkt. An der spaltbreit offenstehenden Gartentür des Nachbarhauses vorbei zum Holzzaun vom Garten meines Kindes.

Das kleine Kind hockt sich hin und wird zu einer gepolsterten, gelb leuchtenden Kugel. Es schiebt eine schräge Latte, die nur oben festgenagelt ist, zur Seite und kullert in den Nachbarsgarten. Ich springe hinterher und lande wie ein Eichhörnchen auf der anderen Seite.

Entkugelt zeigt das kleine Kind zum Haus meines Geistes und legt danach einen Finger auf die blassen Lippen. Dann schleicht es zur Hauswand, am Tisch vorbei und um die Ecke. Dort klettert es vor mir auf eine schneebefreite Treppe Ziegelsteine, späht ins geschlossene Fenster darüber. Der Mund des kleinen Kindes formt lautlose Worte und energisch winkt es mit der Hand zum Fenster.

Also hüpfe ich ihm nach und sehe ganz vorsichtig durchs Fenster. Nicht, dass die unheimliche Frau uns gleich entdeckt und dann beide fortjagt!

Ein weißer Hase mit roter Glöckchenschleife sitzt seelenruhig an der Wand auf einem Bett. Davor steht mein Kind – Wut und Verzweiflung im Gesicht – und schreit die Frau vor sich mit solcher Inbrunst an, dass Eiszapfen aus Angst freiwillig herunterfallen würden. Die Frau schreit zurück, in einer Hand meinen Stoffdoppelgänger, in der anderen eine sehr, sehr spitze Schere, direkt am Hals meines Ebenbildes.

Nein!

Da habe ich doch laut aufgejault. Im nächsten Moment zucken die Köpfe der Frau und meines Kind zu uns herum. Das kleine Kind kreischg auf und fällt rückwärts die Treppe herunter in den Schnee. Ich ducke mich, presse mich unter das Fenstersims so fest an die eisige Wand und vergesse zu atmen.

Das Fenster über mir wird aufgerissen und die Frau schreit. Sie schreit das weinende kleine Kind an, das rücklings im Schnee liegt. Sie schreit in die kalte Winterluft, lehnt sich aufs Sims und sucht auf der Treppe, unten im Schnee, nach mir. Sie packt mich mit der Hand, die vorher mein Ebenbild hielt, und schreit mir ins Gesicht.

Mein Geist schließt sich dem Geschrei an, schlägt und tritt die Frau; versucht, ihre andere Hand zu packen, in der die Schere mir bedrohlich entgegenfunkelt.

Ich blicke nur in die zornigen Augen der Frau.

Ich bin in einem Alptraum gelandet!

Ein Geist im Schneeحيث تعيش القصص. اكتشف الآن