KONSEQUENT.

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Drei Monate sind nun vergangen und ich wohne bei meiner besten Freundin Eve am Rande der Stadt. Ihre Wohnung ist klein, aber es ist ja nur vorübergehend. Wenigstens hoffe ich, dass all die Gefühle vorübergehen.

Die ersten Tage habe ich mich verkrochen, geweint und gehofft. Doch bald hatte ich keine Tränen und keine Hoffnung mehr. Ich musste wieder zur Arbeit gehen, um mich abzulenken. Seit meiner Ausbildung arbeite ich in einem kleinen Blumengeschäft. Die Arbeit und die Kunden brachten mich auf andere Gedanken, aber der Schmerz ist geblieben.

Durch meine Grübeleien entdeckte ich Parallelen zu meinen Eltern. Sie hatten sich getrennt, als ich neun Jahre alt war. Mein Vater hatte eine Affäre und meine Mutter hat es unter Tränen herausgefunden. Schon damals hatte ich das Gefühl, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegreißen. Nach einem Rosenkrieg, Sorgerechtsverhandlungen und vielen Tränen wurde entschieden, dass ich bei meiner Mutter bleiben solle. Ich fügte mich meinem kindlichen Schicksal.

Ich dachte darüber nach, warum mich die Trennung meiner Eltern an das Beziehungsende mit Tobi erinnert. Alles kam plötzlich und ist nicht mehr zu ändern, egal was ich auch mache. Über mein Leben und meine Zukunft wird entschieden und ich muss es schlucken. Hilflos und fremdbestimmt.

„Komm schon, Hannah bitte tu es für mich. Ich muss bei meiner Mutter bleiben. Sie kann im Moment nicht für sich sorgen. Bitte, ich habe dem Camp schon fest zugesagt. Die anderen sind super, ich verspreche es! Bitte! Bitte!" Eve klingt verzweifelt und spricht viel zu laut mit ihrer piepsigen Stimme. Sie ist viel zu aufgeregt und ich bin kurz davor einzulenken und zuzustimmen.

„Ach, Eve." Ich seufze. „Ich wollte in meinem Urlaub Zuhause bleiben." Als ich das sage merke ich, dass ich im Moment eigentlich gar kein Zuhause habe und ich mich dringend um eine Wohnung kümmern muss. Trotzdem bin ich nicht besonders scharf darauf, meinen Urlaub in einem Feriencamp für Teenager zu verbringen. Noch dazu als Betreuer. Ich habe so etwas noch nie gemacht. Außerdem sind da sicher nur irgendwelche Spießer, die kleinen Kindern mit Halstuch beibringen, wie man Feuer macht und Knoten knüpft, die man im Leben nicht mehr brauchen kann.

Andererseits hatte ich den bevorstehenden, zweiwöchigen Liebesurlaub mit Tobi in Italien absagen müssen, weil er seine Hormone nicht im Griff hat und ich hoffe, dass er in der Hölle schmort.

Die Erinnerung drängt sich schmerzend in mein Bewusstsein. Ich stehe vor dem Eingang zum Supermarkt, als ich unser Auto entdecke. Ich wundere mich, was er hier macht, denn ich war mit Einkaufen dran. Ich gehe auf unser Auto zu und sehe durch die Scheibe, wie er einer Blondine die Zunge in den Hals steckt. Ich kann es nicht glauben, bekomme Herzrasen und weiche Knie.

„Bitte, Hannah." Eves Hundeblick reißt mich aus meinen Gedanken.

Ich schüttele den Kopf, um die Erinnerungen zu vertreiben. Ich atme tief durch und höre mich schließlich sagen „Okay, aber nur weil du es bist und ich das Geld brauche!"

Eve quiekt vor Freude und schlingt ihre Arme um mich.

„Zur Feier des Tages bestellen wir uns eine Pizza. Wir müssen dich sowieso wieder aufpäppeln, so dünn wie du geworden bist!" Sie deutet mit dem Finger auf mich. Ich nicke nur und sage ihr nicht, dass ich mich eigentlich ganz gut fühle.

Ich genieße meinen neuen, schlanken Körper. In den letzten drei Monaten habe ich sieben Kilo verloren. Ich habe das Gefühl, dass mir mein neues Aussehen große Stärke gibt. Ich fühle mich selbstbewusster und wohler. Vor ein paar Wochen kam eine Kundin auf mich zu und sagte mir, dass mir mein neues Gewicht sehr gut stehen würde. Ich freute mich und es animierte mich, am Abend den Nachtisch wegzulassen.

Während ich die Sachen zusammensuche, die ich ins Camp mitnehmen muss, bestellt Eve Pizza und Rotwein. Als ich mein weißes Kurzarmshirt mit grünen Streifen in die Tasche stopfe fällt mir ein, dass es Tobi so gut an mir gefallen hat. Er sagte, es passt gut zu meinen grauen Augen.

Wahrscheinlich findet er seine neue Freundin viel hübscher als mich. So ein Lügner wie er ist, hat er sich das Kompliment mit meinen Augen wahrscheinlich auch nur ausgedacht. Der Gedanke versetzt mir einen Stich. War unsere Beziehung tatsächlich nur gelogen? Manchmal hat er mich so komisch angesehen. Seine helle Haut wirkte dann fast grau und jeder Glanz war aus seinen hellblauen Augen verschwunden. Er dachte, ich würde nicht bemerken, wenn er mich so ansah.

Der Duft italienischer Gewürze, frischer Tomaten und würzigem Käse steigt mir in die Nase und bringt meinen Magen sofort zum knurren. Ich schneide mir ein großes Stück ab und beiße hinein. Ich habe so großen Hunger, dass ich kaum kaue und einen Bissen nach dem anderen in mich hineinschlinge. Von einer Pizza werde ich schon nicht dick werden. Aber weiter Abnehmen werde ich davon sicher auch nicht.

Mein Blick fällt auf die Fettflecken, die sich deutlich auf dem Pizzakarton abzeichnen. Das landet sicher sofort auf meinen Hüften. Bestimmt werde ich ein Jojo-Ofer und bald richtig dick sein. Ich stelle mir vor, wie ich mit 20 Kilo mehr aussehen würde. Ich stelle mir vor, wie dick meine Arme und wie schwer meine Beine wären. Würde ich jemals wieder einen Partner finden? Was würde Tobi sagen, wenn er mich so dick sehen würde? Sich wäre er froh, dass er sich rechtzeitig von mir getrennt hat, sonst wäre ich ihm wohl noch peinlich.

Ob er mich wegen meiner Figur verlassen hat? Ich konnte die Blondine nicht sehen, mit der er im Auto rumgemacht hat. Aber irgendwie bin ich mir sicher, dass sie eine tolle Figur hat. Das muss sie einfach. Sonst hätte er mich ja nicht verlassen.

Ich lege meine Pizza in den Karton zurück und betrachte die Menge, die ich bereits gegessen habe. Ich habe zwei große Stücke der Pizza verdrückt und zwei Gläser Wein getrunken. Ich wollte doch gar keine Pizza essen. Eve hat sie mir aufgeschwatzt. Als wäre ich zu dünn. Ich beschließe, morgen einfach weniger zu essen, um die Pizza wieder auszugleichen. Ohnehin könnte ich noch ein paar Kilo abnehmen. Ich werde mir gleich morgen Gedanken über einen Diätplan machen. Ab morgen werde ich weniger essen. So schwer kann das nicht sein.

Ich brauche nur etwas Disziplin, dann kann ich das schaffen. Da bin ich mir ganz sicher. Den Abend verbringen Eve und ich gemütlich auf der Couch und sehen uns eine Komödie an. Ein paar Mal muss ich so lachen, dass mir Tränen kommen. Wann habe ich das letzte Mal so gelacht? Ich kann mich nicht erinnern. Bestimmt beginnt jetzt ein besseres Leben. Wenn sich glücklich sein so anfühlt, dann möchte ich mehr davon. Ich werde schlank und glücklich sein. Das nehme ich mir ganz fest vor.


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