BESCHENKT.

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Ich habe lange mit meiner Mutter telefoniert. Und es hat mir gut getan. Ich glaube, sie hat sich sehr gefreut, dass ich angerufen habe. Zwischen uns herrscht eine unausgesprochene Abmachung, dass sie mich nicht auf Tobi anspricht. Sie wusste, was er mir bedeutet. Sie wusste, dass ich ihm grenzenlos Vertraut habe. Und sie weiß, wie sehr er mich verletzt hat. Ich habe ihr gesagt, dass ich nicht länger bei Eve wohnen kann.

„Ja, Schätzchen. Eve braucht ja auch mal ihre Ruhe. Ich verstehe das", hat meine Mutter gesagt. „Jetzt hast du ja lange genug bei ihr gewohnt." Hier geht es aber nicht um Eve. Es geht um mich. Sie braucht nur ihre Ruhe um mit meinem Ex zusammen zu sein. Deshalb wollte sie unbedingt, dass ich ins Camp gehe. Sie wollten mich loswerden, damit sie ungestört sind. In ihrer Wohnung. Da ist er wieder, dieser Schmerz.

„Gestern habe ich ihre Mutter gesehen. Sie sieht wieder gesund aus." Wie kann sie denn gesund aussehen? Sie hat sich einen Arm und ein Bein gebrochen. Aber ich habe keine Kraft nachzufragen, denn das war wohl auch eine Lüge. Alles war eine riesen große Lüge. Und ich habe alles geglaubt.

„Jetzt kommst du erst einmal nach Hause. Ich richte dir dein Zimmer her", hat sie gesagt und ich freue mich darauf. Ich habe sie schon viel zu lange nicht mehr gesehen. Ich freue mich auf sie. Wie ich meine Sachen aus Eves Wohnung bekomme weiß ich noch nicht. Ich will sie nicht sehen. Ich werde meine Sachen holen, wenn sie in der Arbeit ist. Dann habe ich genug Zeit um alles zu packen. Und dann werde ich mir eine neue Wohnung suchen. Werde neu anfangen.

Was ist das? Ich stehe vor meinem Zelt und sehe Gänseblümchen. Ich nehme sie vorsichtig in die Hand. Es ist ein kleiner Kranz aus Gänseblümchen. Raphael. Er musste was mit verdammten Blümchen basteln, hat er gesagt. Er hat mir ein Armband gemacht. Aus Gänseblümchen. Es ist so zart und leicht in meiner Hand.

Ich kann gar nicht glauben, dass er so süß sein kann. Ich dachte, er wäre ein gefühlskalter Typ. Aber diese kleine Geste beweist mir das Gegenteil. Was für ein schöner Neuanfang. Er hat es extra für mich gemacht. Er hat für mich gebastelt. Für mich.

Es sieht hübsch aus. Ich stelle mir vor, wie er versucht, die zarten Blümchen miteinander zu verbinden. Wie er zwischen all den Kindern sitzt, mit Wilma, der Sklaventreiberin. Wie er vorsichtig Schlitze in die Blumen schneidet, die Stirn runzelt, innerlich Flucht und die Mädchen ihn anschmachten. Ich stelle mir vor, wie er dabei an mich denkt. Ein ganzer Schwarm Schmetterlinge flattert in meinem Bauch. Es waren so viele Kinder beim Basteln. Und Wilma. Sie werden alle wissen, von wem es ist, wenn ich es trage.

Er hat es für mich gemacht. Mein Herz macht einen Sprung. Er will, dass sie es wissen. Und ich will, dass sie es wissen. Mit diesem Armband können wir es zeigen. Aber es ist so klein. Das passt mir niemals. Ich habe viel zu dicke Arme. Wie schade. Ich würde es gerne tragen. Wäre ich nur konsequenter mit meiner Diät gewesen, könnte ich es jetzt tragen. Ob ich es trotzdem versuchen soll? Es ist so hübsch. Ganz vorsichtig versuche ich es mir über die Hand zu ziehen. Es ist so zart. Ich will es nicht kaputt machen. Ich lege meine Fingerspitzen aneinander. Erstaunlich leicht kann ich es über meine Finger schieben. Dann über meine Knöchel. Es passt. Es passt tatsächlich. Wie hübsch es ist. Die weißen Blütenblätter umrahmen die gelben Köpfchen und reihen sich aneinander. Es sieht so zart aus an meinem Handgelenk. Ich werde es tragen. Ja, ich werde es tragen.

Das Kribbeln an meinen Rücken kündigt ihn an, noch bevor er etwas sagt. Noch bevor ich mich umdrehen kann liegen seine Hände auf meiner Hüfte. Er zieht mich sanft an sich. Mein Rücken berührt seine Brust.

„Hi", flüstert er in mein Haar, „du hast es gefunden." Er nimmt meine Hand. Mit dem Daumen streicht er über die Blüten.

„Es sieht hübsch aus. Danke", sage ich.

„Du siehst hübsch aus", sagt er und schlingt die Arme um mich. Ich genieße seine Nähe, seinen Duft. Bei ihm fühle ich mich anders als bei Tobi. Bei ihm fühle ich mich leicht. Und sicher. Irgendetwas ist anders mit ihm. Ich fühle mich beschützt. Es ist, als würde ich keinen Schmerz fühlen können, sobald er in meiner Nähe ist.

„Sorry", sagt er und macht einen Schritt zurück. Ich drehe mich um. Er greift in seine Hosentasche und zieht sein Handy heraus. Er blickt auf das Display und runzelt die Stirn.

„Da muss ich rangehen.", sagt er und hält das Handy in die Luft. Er dreht sich um und geht mit großen Schritten über die Wiese.

„Ja", sagt er in das Handy. Er klingt seltsam. Wer ist da am Telefon? Ist es die Person, der er am Feuer eine SMS geschickt hat? Grinsend? Als ich dachte, er schreibt mir? Um was geht es? Ich halte den Atem an, um etwas zu verstehen, aber er ist bereits zu weit weg. Ich sehe ihm nach und beobachte ihn. Er hat den Kopf gesenkt, fährt sich mit der Hand durch die Haare. Er bleibt stehen, sagt wieder etwas, aber ich verstehe kein Wort. Er ist zu weit weg.


hold me tight.Donde viven las historias. Descúbrelo ahora