ZAGHAFT.

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Ich lege den Schlafsack auf die Luftmatratze und stelle meine Tasche ans Kopfende. Warum kann mich Raphael nicht ganz normal behandeln? Als ich ihn das erste Mal bei seinen Eltern getroffen habe, hat er mich gar nicht beachtet. Er hat nicht viel gesprochen, schnell gegessen und war genauso schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war. So war es jedes Mal.

Eigentlich spricht er erst mit mir seit.... Kinderlachen und das Schlagen von Autotüren dringen durch die dünnen Stoffwände des Zeltes und reißen mich aus meinen Gedanken. Es geht los, die Kinder sind da.

Ich krieche aus dem Zelt und streiche mein T-Shirt glatt. Ich gehe auf die Familien zu, die gerade angekommen sind.

„Hallo, ich bin Hannah" meine Stimme ist viel zu piepsig, das Herz schlägt mir bis zum Hals.

Ich hoffe inständig, dass die Eltern das nicht bemerken. Auf einmal fühle ich mich viel jünger als 20. Eine Frau, die ich auf Ende Dreißig schätze, kommt auf mich zu.

„Hallo meine Liebe. Das hier ist Anna" Sie deutet auf ein kleines Mädchen hinter sich.

Die Kleine blickt zu Boden und drückt ihren abgegriffenen Teddy ganz fest an sich. Sie ist nicht älter als sechs Jahre, denke ich.

„Hallo Anna. Wie schön, dass du hier bist!" Sie zupft an dem Fell des Bären. Hinter mir höre ich Valerie, Dennis, Wilma und Raphael andere Eltern begrüßen.

Ich unterhalte mich gerade mit der Mutter des kleinen Pauls als ich im Augenwinkel Raphael sehe. Er trägt jetzt eine dunkle Jeans, Chucks und ein olivgrünes Shirt. Seine Muskeln zeichnen sich unter dem Baumwollstoff ab. Er steht bei der Mutter der kleinen Anna. Sie spielt mit einer blonden Locke und strahlt ihn an. Wahrscheinlich ist sie alleinerziehend. Raphael scheint ihre Aufmerksamkeit zu genießen. Er lacht laut und lässt dabei seinen Kopf in den Nacken fallen. Lächerlich.

Nachdem die Väter mit ihren Kindern die Zelte aufgebaut, viele Abschiedstränen geflossen, Küsschen verteilt, Tränen wieder getrocknet und Streitereien um den besten Schlafplatz geschlichtet sind, lassen uns die Eltern mit ihren Sprösslingen alleine.

„Ich muss mal aufs Klo". Die kleine Anna steht vor mir und sieht mich mit großen blauen Augen erwartungsvoll an.

„Okay, ich zeige dir, wo es ist" Ich strecke ihr die Hand entgegen.

Sie legt ihre kleinen, weichen Finger in meine Hand und wir gehen quer über die Wiese zu drei umgebauten Bauwägen.

Zwei sind rot lackiert, der andere blau. Ich nehme an, der rote ist für die Mädchen und der blaue für die Jungs. Die Türen und die kleinen Fensterrahmen sind weiß lackiert. Die Es sieht wirklich hübsch aus. Ich steige die drei Stufen hinauf und öffne die Türe. Es riecht nach Plastik und Desinfektionsmittel. Ich sehe vier Duschen mit geblümten Vorhängen. Eine Gemeinschaftsdusche? Es wird ja immer besser.

Ich verlasse den ersten roten Wagen und hoffe, dass wenigstens die Toiletten getrennt sind. An der Türe des zweiten roten Wagens ist ein weibliches Toilettensymbol angebracht. Ein Glück. Auch im zweiten Wagen riecht es nach Plastik und Desinfektionsmittel. Ich lasse die kleine Anna alleine und warte mit ihrem Bären vor dem Wagen. Aus dieser Perspektive wirkt der Zeltplatz riesig. Bis zu den Zelten und der Feuerstelle sind es bestimmt 150 Meter. Die kleine Anna kommt aus dem Toilettenwagen und nimmt meine Hand. Gemeinsam gehen wir zurück.

„Wie heißt denn dein Bär?"

„Pingu" sagt sie strahlend und hält das Stofftier in die Luft.

„Pingu? Das ist aber ein außergewöhnlicher Name für einen Bären". Sie kichert und drückt Pingu fest an sich.

Plötzlich berührt mich jemand am Rücken. Ich fahre herum, aber ich bin alleine mit der kleinen Anna und ihrem Stofffreund. In einiger Entfernung sehe ich Raphael aus dem blauen Toilettenwagen kommen. Sein Gang ist schlendernd, seine Haltung gerade, die Hände in den Hosentaschen und sein Blick auf mich geheftet. Wie kann das sein? Ich hätte schwören können, dass mich jemand berührt hat. Es war ganz deutlich.

„Gibst du mir den Strickunterricht eigentlich ganz privat?" fragt er laut. Er klingt näher als gedacht.

„Du solltest doch erst die Wolldecke häkeln, bevor du Stricken lernst!" Kann er sich nicht mal fünf Minuten merken, was er zu mir gesagt hat?

Er beschleunigt seinen Schritt. Als er neben mir ist beugt er sich zu mir und flüstert „Ich kann dir dafür etwas anderes beibringen." Sein Atem streift mein Ohr und ich schnappe nach Luft. Ich werde rot und er grinst.

„Dachte ich mir doch, dass du verklemmt bist". Er beschleunigt seinen Schritt.

Verklemmt? Er hält sich wirklich für unwiderstehlich. Ich blicke ihm nach. Er ist groß, hat einen wohlgeformten Körper, helle Haut und braune Haare. Er sieht verdammt gut aus.

hold me tight.Where stories live. Discover now