UNTERWEGS.

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Am nächsten Morgen werde ich von der Sonne geweckt. Ich strecke mich, stehe auf und schlüpfe in meinen weichen Morgenmantel. Ich gehe in die Küche und mache mir eine Tasse Kaffee. Eve ist schon in der Arbeit. Als ich den Kühlschrank öffne fällt mir mein Diätplan wieder ein.

Ich betrachte den Inhalt und merke schnell, dass ich mit Eiern, Wurst und Cola nicht weit kommen werde. Ich gehe zum Obstkorb und nehme mir eine Banane. Das sollte für den Anfang reichen. Ich schäle die Banane und bin stolz auf meine erste Mahlzeit meiner schlanken Zukunft.

Ich gehe mit meiner Tasse ins Badezimmer. Der Kaffeerand von gestern markiert die Stelle, an der ich meine Tasse abstelle. Ich wasche mich und überlege, wie ich mich schminken soll um auch seriös zu wirken. Die Kinder sollen mich ernst nehmen, aber ich möchte sie nicht erschrecken. Ich entscheide mich für ein dezentes Augen-Makeup, um meine grauen Augen leuchten zu lassen. Meine  Haare binde ich mir zu einem Pferdeschwanz.

Nachdem ich meinen Kaffee ausgetrunken und mir die Zähne geputzt habe, schlüpfe ich in meine hellblaue Jeans und ein beiges T-Shirt. Ich hänge mir meine Reisetasche, die Tasche mit dem Zelt und den Schlafsack über die Schulter und gehe zum Bahnhof. Soll Tobi das Auto doch behalten. Ich brauche es nicht. Und ihn auch nicht. Er fehlt mir.

Als ich die fünfhundert Meter zum Bahnhof gehe merke ich, wie schwer meine Reisetasche wirklich ist. Zum Glück sind es nach der Haltestelle nur fünf Minuten Gehweg, denn es ist ein heißer, stickiger Sommertag. Ich warte am Bahnsteig und genieße den Wind, als der Zug in den Bahnhof einfährt. Ich suche mir ein ruhiges Abteil und stelle meine Taschen neben mich. Als der Zug losfährt blicke ich aus dem Fenster und bete inständig, dass das eine gute Entscheidung war. Wenn ich wieder Zuhause bin muss ich mich dringend nach einer neuen Wohnung umsehen. Ich kann Eve nicht länger zur Last fallen. Außerdem habe ich das Gefühl, dass Eve ihren Freiraum braucht und sie fast ein bisschen froh war, dass ich für zwei Wochen im Camp bin.

Mit jeder Haltestelle wächst meine Nervosität. Werde ich mit den Kindern umgehen können? Werden sie mich akzeptieren und auf mich hören? Was mache ich, wenn sie mich nicht ernst nehmen? Ich beschließe, mich einfach am Verhalten der anderen zu orientieren.

Ich blicke auf die Uhr und merke, dass ich in ein paar Minuten aussteigen muss. Mein Herz schlägt schneller und ich mache mich bereit. Als der Zug zischend und quietschend zum Stehen kommt muss ich mich bemühen, das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Ich steige aus und sehe gegenüber des Bahnsteiges einen Wald und auf der anderen Seite nur Felder und Wiesen. Eve sagte, ich müsse den Waldweg entlang gehen und nach ein paar Minuten an einem Flussrand kommen. Sie war dort vor ein paar Wochen mit einem ihrer zahlreichen Verehrer beim Schwimmen. Sie sagte, zweihundert Meter weiter wäre das freie Feld des Camps. Na dann mal los. Ich hänge mir die riesige Tasche über die Schulter, nehme den Schlafsack und das Zelt mit der anderen Hand und gehe auf den Wald zu.

Als ich auf den unbefestigten Waldweg trete wird die Luft augenblicklich kälter und es wird dunkler. Ich rieche Tannennadeln und den erdigen Geruch des Waldweges. Ich blicke nach vorne. Der Waldweg geht ein gutes Stück geradeaus, bevor er eine Linkskurve macht. Irgendwo in der Ferne zwitschern Vögel und meine Schritte klingen dumpf auf dem weichen Boden.

Hier ist es einige Grad kälter als noch vor zwanzig Minuten auf dem Bahnsteig. In der Sonne konnte man es kaum aushalten, aber die dunklen, meterhohen Bäume, die den Weg säumen, halten die heißen Sonnenstrahlen ab. Die Sonne taucht die Baumwipfel in ein helles Grün und es sieht aus, als würden die Spitzen der dunklen Bäume leuchten.

Nach der Linkskurve gelange ich an eine Weggabelung. Ich bleibe stehen. Der rechte Weg scheint ein gutes Stück geradeaus und dann einen Berg hinunter zu gehen. Der linke Weg macht schon nach ein paar Metern eine scharfe Linkskurve. Der linke Weg wirkt nicht so dunkel und ich würde lieber dort entlang gehen. Allerdings habe ich keine Ahnung, ob das richtig ist.

hold me tight.Where stories live. Discover now