AUSGELACHT.

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Ich halte den Atem an. Das ist nicht wahr. „Babyy?" Er ruft sie. Er sucht sie. Er ist bei ihr. Es gibt keinen Zweifel. „Tobi?" ich schreie. „Eve! Ist Tobi bei dir?", ich fasse mir an die Stirn. „Was macht Tobi..." Deshalb hat sie geflüstert.

Babyy hat er gesagt und mir in die Augen gesehen.

Babyy du bist etwas ganz besonderes, hat er gesagt.

Babyy, für dich würde ich alles tun.

Mir wird schwindelig. Ich fühle mich schwach, meine Knie werden weich. Mein Körper fühlt sich auf einmal so schwer an. Ich kann mich nicht auf den Beinen halten und rutsche mit dem Rücken am Baumstamm entlang. Ich sitze im Moos.

„Hannah, ich..." ihre Stimme bricht. „Babyy?" Ich will das nicht hören. Mit zittrigen Fingern lege ich auf und presse mir die Hände auf die Ohren. Es tut so weh. Es zerreist mich.

Eve und Tobi. Sie war meine Freundin. Sie hat mein Herz verkauft, mein Vertrauen missbraucht. Meine Brust schmerzt. Heiße Tränen laufen mir über die Wangen. Ich lehne meinen Kopf gegen den Baumstamm. Wie kann sie mir so etwas antun?

Sie ist die Blondine vom Supermarkt.

Seine Blondine.

Ich schließe meine Augen, schüttle den Kopf um die Bilder zu vertreiben. Doch es gelingt mir nicht. Ich sehe seine Hand in ihrem Haar, seine zärtlichen Bewegungen. Ich will das nicht sehen. Sie hat mich aufgenommen, als ich aus der Wohnung gestürmt bin. Sie hat mich in den Arm genommen und getröstet. Sie hat mir zugehört, mir erklärt, dass der Schmerz vorbei geht. Sie hat gesagt, er ist keine Träne wert.

Und jetzt weine ich wegen ihr.

Wegen beiden.

Ich schlinge meine Arme um meine angezogenen Knie.

„Hannah?" Ich öffne die Augen. Raphael steht ein paar Meter vor mir auf der Wiese.

„Ist alles klar?", fragt er. Ich nicke und wische die Tränen weg.

„Darf ich...?" er deutet neben mich und macht einen Schritt auf mich zu. Was? Ja. Nein. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr.

Langsam kommt er näher. „Hannah, ist wirklich alles klar?" Uns trennen nur noch ein paar Schritte. Nein, nichts ist klar. Ich habe meinen Freund und meine beste Freundin verloren. Ich bin verdammt nochmal allein. Ich kann nicht sprechen. Selbst wenn ich könnte, wüsste ich nicht, was ich ihm sagen soll. Er steht vor mir. Er ist groß. Ich muss zu ihm aufblicken, aber will ihn nicht ansehen. Ich will nicht, dass er meine Tränen sieht.

„Hannah..." er flüstert und geht vor mir in die Hocke. „Was ist passiert?" er legt seine Hände auf meine. Sie sind warm. Die Wärme breitet sich in meinem Körper aus. Es ist, als würde ich in ein warmes Bad gleiten. Meine Muskeln entspannen sich etwas. Er sieht mich an, sein Blick ist weich.

Er zieht seine Augenbrauen nach oben „Möchtest du mir sagen, was passiert ist?"

Ich kann meine Tränen nicht stoppen. Sie laufen in heißen Strömen über meine Wangen. „Ich habe...", ich weiß nicht, was ich sagen soll. „Ich...", ich ziehe eine Hand unter seiner hervor und wische mir mit meinem Ärmel über die Tränen. „Eve und Tobi." Babyy. Ich schluchze. Meine Brust bebt, meine Schultern zucken. Er runzelt die Stirn und flüstert „Schhh...".

Er umfasst meine Oberarme und zieht mich an sich. Ich schmiege mich in seine Umarmung. Ich muss schluchzen. Alle Dämme brechen in seiner Umarmung. Ich kann die Tränen nicht stoppen. „Schhh...", flüstert er noch einmal. Ich drücke meine Wange an seine Brust. Er riecht nach Haselnüssen und Zitrone. Ich atme den Duft ein und schließe meine Augen.

Mit jeder Träne, die ich weine und jedem Atemzug seines süßen Duftes wird mein Herz leichter. Ich bin froh, dass er hier ist. Mich im Arm hält. Mich auf seine Art beschützt. Schon wieder.

Ich weiß nicht, wie lange ich schon in seinem Arm liege. Wie lange ich weine. Wie lange sich meine Gedanken im Kreis drehen. Ich löse mich etwas von ihm und sehe ihn an. Er streicht mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. „Sie sind keine Träne Wert", flüstert er. „Ich fühle mich so..." Betrogen. Hintergangen. Dumm. Blind. Missbraucht. „Ausgelacht.", ist das Wort, das ich ausspreche.

Er nimmt meine Hände. „Ausgelacht?" Er sieht mich fragend an. Ich zucke mit den Schultern, denn ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll. „Ich habe Eve vertraut. Ich habe ihr alles erzählt. Alles." Ich wische mir noch einmal mit dem Ärmel über meine Tränen. „Bestimmt hat sie ihm alles erzählt. Wahrscheinlich haben sie sich über mich lustig gemacht. Über die blöde Hannah gelacht, die eh nichts merkt." Er drückt meine Hände. Sanft. Ich genieße die Berührung. Sie nimmt mir etwas von meinem Schmerz.

„So etwas darfst du nicht denken." Er streicht wieder an der Haarsträhne entlang und wickelt die Locke, die mir über die Schulter fällt um seine Finger. „Niemand denkt, dass du blöd bist und nichts merkst."

Ich bin so unendlich verwirrt. Ich muss einen klaren Gedanken fassen. Raphael folgt meinem Blick und sieht über seine Schulter. „Möchtest du zurück gehen?" „Ja" meine Stimme klingt rau. Er lässt meine Locke los, steht auf und reicht mir eine Hand. Ich ziehe mich an ihr hoch. Mir ist noch immer schwindelig. Ich atme tief ein und wir gehen los.

Er ist dicht an meiner Seite. Er legt mir sanft eine Hand auf den Rücken, zieht sie aber plötzlich wieder weg. Seine Hand hat einen warmen Abdruck hinterlassen. Es tut gut, dass er hier ist. Seine Nähe ist so seltsam vertraut. „Mach dir keine Vorwürfe", sagt er und durchbricht damit die unangenehme Stille.

„Du bist nicht schuld." Er scheint sich sehr sicher zu sein. Eve ist sicher nicht schuld. Oder ist man schuld, wenn man so interessant, attraktiv und aufregend ist, dass sich jemand in einen verliebt? Ich bin schuld. Ich bin nicht interessant, attraktiv und aufregend genug. Tobi hat sich etwas Besseres gesucht. So einfach ist das. Und ich war so naiv. Und blind. Wir erreichen die Zelte. „Ich hätte es merken müssen", sage ich als ich vor meinem Zelt stehe. „Tobi ist ein Wichser", höre ich ihn sagen als ich mich umdrehe und in mein Zelt schlüpfe.

hold me tight.Where stories live. Discover now