wütend.

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Die Parfumwolke, die sie umgibt benebelt meine Sinne noch mehr. Sarah. Mittwoch. Fuck. Sie drückt sich an mich, fährt mit ihren Händen unter mein Shirt. Ich kann mich nicht bewegen.

„Raphael?", fragt sie und sieht mich an. Ich drücke sie weg, gehe einen Schritt zurück.

„Sarah, hör auf", sage ich.

„Wieso bist du dann hier?", fragt sie.

„Das geht dich nichts an", sage ich, „es ist besser, wenn du jetzt verschwindest".

„Und wenn ich nicht verschwinde?", fragt sie und fängt an, ihre Bluse aufzuknöpfen. Ich packe sie an ihren Oberarmen und schiebe sie zur Haustüre.

„Was würde dein Freund sagen, wenn er erfährt, dass du hier warst?", ich pokere und lehne mich gegen den Türrahmen. Ich kenne sie. Vielleicht hat sie nur so getan, als wäre sie single. Das wäre nicht das erste Mal.

„Das wagst du nicht!", schreit sie. Treffer.

„Probiers aus", sage ich und zucke mit den Schultern.

„Du bist ein verdammtes Arschloch!", schreit sie und verschwindet. Versenkt. Ich knalle die Türe zu und lehne mich dagegen.

Ich dresche auf meinen Boxsack ein, bis mir fast schwarz vor Augen wird. Ich schlage und trete wie ein Irrer. Mit jedem Schlag geht es mir besser. Auf jeden Gedanken dresche ich ein. Magersucht. Krankheit. Tod. Ich schlage und trete. Mit jedem Schlag rückt diese verdammte Scheiße in den Hintergrund.

Ich bin außer Atem und habe trotzdem das Gefühl, endlich wieder Atmen zu können. Meine Lungen brennen, meine Muskeln stehen unter Strom. Ich lasse mich auf meinen Sessel sinken und ziehe die Boxhandschuhe aus. Ich fühle mich besser, kann wieder klar denken. Ich muss zurück ins Camp. Hannah wird sich bestimmt schon fragen, wo ich bin. Ich dusche und ziehe mir frische Klamotten an, dann steige ich auf mein Motorrad und fahre zum Camp.

Was soll ich zu ihr sagen? Die Dame der Hotline hat es sich ganz schön einfach gemacht. Ich soll es ansprechen. Ich dachte, ich bekomme Hilfe bei so einer Hotline. Ich habe gehofft, dass mir das Problem abgenommen wird. Verdammt. Ich stelle mein Motorrad neben mein Zelt.

„Wo warstn duuuu?" Fuck. Ein kleines Mädchen sitzt neben meinem Zelt.

„Unterwegs", sage ich.

„Malst du mit uns?", fragt sie und steht auf.

„Später, ok?", frage ich.

„Aber du musst es versprechen", sagt sie.

„Ich verspreche es", sage ich und sie rennt grinsend davon.

„Raphael!", ich höre Dennis irgendwo in der Ferne. Mit meinen Augen suche ich die Wiese ab.

„Hier!", schreit er. Er steht neben seinem Auto und winkt. Ich gehe zu ihm.

„Und?" fragt er und lehnt sich gegen das Auto. Ich fahre mir durch die Haare.

„Es gibt so verdammt viele Artikel und Internetseiten. Fuck, ich glaube aber, dass du Recht hast. Sie ist krank und braucht Hilfe. Ich habe bei so einer Hotline angerufen. Die haben gesagt, ich soll sie darauf ansprechen", sage ich.

„Okay", sagt er. Einfach nur okay. Wieso sagt er nicht, dass er auch recherchiert hat. Dass er sich sicher ist, dass sie gesund ist? Wieso zeigt er mir die Homepage nicht, auf der steht: Hannah ist gesund? Ich habe diese Homepage nicht gefunden, obwohl ich so sehr danach gesucht habe.

„Ich habe ihr gesagt, du bist nach Hause gefahren, weil es in der Wohnung über dir einen Wasserschaden gegeben hat und dein Vermieter angerufen hat.", sagt er. What? Wie kommt er auf so einen Mist? Aber ich muss zugeben, dass ist so abgedreht, dass sie es vielleicht geglaubt hat.

„Hat sie es dir abgekauft?", frage ich.

„Ich denke schon", sagt er. Okay, gut. Dann kann ich das Gespräch anders angehen.

„Wo sind sie?", frage ich.

„Sie sind im Speisezelt und malen was glaube ich", sagt Dennis. Wir gehen über die Wiese. Von weitem höre ich die Kinder lachen. Das Lachen wird lauter, als wir näher kommen. Hannah und Valerie sitzen mit einigen Kindern am Tisch. Ihre roten Locken fallen ihr über den Rücken, ich höre ihr Lachen. Ich gehe auf sie zu, doch bevor ich sie erreiche dreht sie sich zu mir um.

„Hey, da bist du ja", sagt sie. Sie hat einen blauen Farbklecks auf der Wange. Ich beuge mich zu ihr und gebe ihr einen sanften Kuss.

„IIIIIhhhh" kreischen ein paar der Kinder. Der kleine Junge neben ihr kreischt am lautesten. Sie lacht, zieht ihn an sich und drückt ihm einen Kuss auf die Wange.

„IIIIIhhhh" schreit er nochmal und wischt sich den Kuss von der Wange. Ein Glück, dass er noch ein Kind ist, sonst hätte er jetzt ein Problem mit mir. Die anderen Kinder lachen.

„Ist alles okay mit deiner Wohnung?", fragt sie.

„Ja, alles okay", sage ich schnell.

„Setzt du dich zu mir?" Da ist das kleine Mädchen von vorhin. Versprochen ist versprochen. Fuck. Ich sollte nichts mehr versprechen.

„Ja", sage ich und steige neben ihr über die Bank und setze mich zu ihr. Sie kichert. Der Tisch ist mit Papier ausgelegt. Es stehen jede Menge Farbbecher und Pinsel in der Mitte.

„Was malst du?", fragt mich die Kleine.

„Ich weiß nicht. Was malst du?", frage ich zurück.

„Einen Hund, schau!", sagt sie und deutet auf ihr Bild.

„Was ist das für ein Hund?", frage ich.

„Ein brauner", sagt sie kichernd. Ein brauner? Die Farbe sehe ich. Ich wollte die Rasse wissen. Ich sehe zu Hannah. Vielleicht hilft sie mir, doch sie kichert und sieht mich nicht an.

„Ah, schön", sage ich. Hannah scheint es zu genießen, dass ich keine verdammte Ahnung von Kindern habe. Ich hole mir einen Pinsel aus dem Becher. Sie sind alle eingesaut. Die rote Farbe klebt an meinen Fingern. Rot. Wie die Stiche auf der Liste. Nein, nicht jetzt. Ich verdränge den Gedanken.

„Der braucht noch eine Wurst", sage ich und fange an, eine Wurst auf das Bild der Kleinen zu malen. Ich versaue das ganze Bild. Die Wurst sieht eher aus wie ein fetter Regenwurm. Doch ihr scheint das nichts auszumachen.

„Snoopy braucht noch eine Hütte!", schreit sie. Sie wedelt mit dem Pinsel in der Luft. Wenn sie nicht aufpasst, schmiert sie uns alle voll. Sie taucht den Pinsel in die Farbe und fängt an, ein Viereck mit Dach zu zeichnen.

„Eine rosarote Hütte für Snoopy?", frage ich.

„Ja", sagt sie.

„Aber rosa...", sage ich, doch Hannah tritt mir gegen mein Schienbein. „ist eine tolle Idee", beende ich meinen Satz. Gerade war ich noch in meiner Wohnung. Umgeben von den roten Wörtern. Umgeben von Angst. Und jetzt sitze ich hier und male Bilder. Es geht alles so schnell. Es ist seltsam. Verdammt, ich muss heute noch mit ihr reden.


hold me tight.Where stories live. Discover now