VERSORGT.

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Ich stehe in seiner Wohnung. Ich weiß nicht, wie ich hier hergekommen bin. Ich fühle mich, als wäre ich gerannt. Es fühlt sich an, als würde meine Lunge brennen. Wie damals. Doch diesmal hat er mich hier hergebracht. Raphael. Ich bin nicht gerannt. Ich sitze auf seiner Couch. Mein Körper kribbelt, ich fühle mich schwach. Ich fühle mich stark und schwach zur gleichen Zeit. Ich bin bei Raphael und werde eine Therapie machen. Für mich. Für Raphael. Für uns. Ich will nicht krank sein. Ich will wieder normal sein, will wieder normal leben, normal denken. Vor allem aber will ich keine Angst mehr haben.

Raphael sitzt auf dem Sessel. Er zündet sich eine Zigarette an. Es ist die vierte. Glaube ich. Er lehnt sich zurück, streckt ein Bein aus und steckt sein Feuerzeug zurück in seine Hosentasche. Das macht er jedes Mal. Ich weiß, dass er in ein paar Minuten die nächste Zigarette raucht. Es ist wegen mir. Ich fühle mich schlecht. „Ich werde mein Motorrad verkaufen", war der einzige Satz, den er seit einer Stunde gesprochen hat. „Warum möchtest du es verkaufen?", habe ich ihn gefragt. „Weil es rot ist", hat er geflüstert. Ich habe nicht nachgefragt. Ich wusste, dass ich nicht fragen soll. Seit dem hat er nicht mehr gesprochen. Ich fühle mich schlecht. Ich möchte nicht, dass er sich so fühlt. Doch ich weiß, dass wir die Stille brauchen. Und er weiß es auch.

Ich wusste schon am Feuer, dass er mich beschützen kann. Ich kann mir alles besorgen, was ich will. Hatte er mir geschrieben. Breitbeinig saß er vor dem Feuer. Ich wusste, dass er wie ein Fels ist, hinter dem ich mich verstecken kann. Der alles von mir fern hält, das mir schaden könnte. An den ich mich anlehnen könnte.

„Du weißt gar nicht, wie stolz ich auf dich bin", sagt er plötzlich und sieht mich an. Er lächelt. Ich habe dieses Lächeln vermisst. Wenn er lächelt fühle ich mich so verstanden und geborgen. Mit ihm kann ich meine Angst überwinden. Mit ihm kann ich es schaffen. Alles. Mit ihm ist alles irgendwie leichter. Was ist das nur für eine Verbindung zwischen uns.

„Danke, dass du das für mich getan hast", flüstere ich.

„Ich hatte keine andere Wahl", sagt er und runzelt die Stirn.

Ich höre lautes Poltern und zucke zusammen. Es klingt, als würde jemand mit den Fäusten gegen die Wohnungstüre dreschen. Ich höre das Gemurmel von Männerstimmen. Was ist hier los? Wieder poltert es gegen die Türe. Ich sehe zu Raphael.

„Fuck", flüstert er. Er steht auf und geht langsam in den Gang.

„Aufmachen!", höre ich eine dunkle Männerstimme.

„Polizei! Öffnen Sie sofort die Türe!" Die Türe bebt unter jedem Schlag. Ich halte die Luft an. Was ist hier los? Was hat er getan? Was soll das?

„Alter, verpiss dich. Ich bin nicht alleine", sagt Raphael laut. Alter? Polizei? Ich stehe auf und gehe zu ihm. Ich runzle die Stirn.

„Freunde", sagt er leise.

„Mach auf, wir haben dir was mitgebracht", grölt der Kerl hinter der Türe.

„Was wollt ihr?", knurrt Raphael und reißt die Türe auf.

Ich sehe zwei Typen im Treppenhaus stehen. Beide haben dunkle Haare und sind groß. Das Treppenhaus wirkt jetzt viel kleiner. Der eine lehnt lässig an der Wand. Er trägt schwarze, weite Klamotten. Mit seinem Goldkettchen sieht er aus wie der Klischeerusse aus einem schlechten Mafiafilm. Der andere lehnt am Türrahmen und grinst.

„Russ, Alter", sagt er, und begrüßt ihn mit einem Handschlag.

Raphael deutet erst auf ihn, dann auf mich. „Hannah, das ist Sven. Sven, das ist Hannah", sagt er.

„Oh, hello Cutie", sagt Sven und mustert mich von oben bis unten.

„Hallo", sage ich. Ich ziehe meinen Bauch ein und trete von einem Fuß auf den anderen.

hold me tight.Where stories live. Discover now