Kapitel 10 - Antiaggressionskurs

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Ohman, peinlich, in der falschen story hochgeladen :D

Dadurch, dass Harry schon seit fünf Sekunden nicht mehr antwortet, bereue ich meine direkte Frage sofort. Ein etwas leiserer Knall ertönt und Harry stellt sich mit angespannter Miene wieder hin, schmeißt unsanft den Schraubenzieher auf die Spüle. Diese Frage gefällt ihm anscheinend überhaupt nicht, denn er sieht noch böser aus, als vorhin.

„Ich wollte dir nicht zu nahe treten", versuche ich die Situation zu beschwichtigen. „Es ist nur ..." Ich hoffe, dass ich mich nicht weiter erklären muss, denn ich fühle mich mehr als unwohl.

„Es ist nur, was?", giftet Harry und scheint mich mit seinen grünen Augen töten zu wollen.

Beinahe ängstlich sehe ich ihn an. „Es hat mich einfach interessiert."

„Es hat dich aber nicht zu interessieren, verstanden? Das ist meine Scheiße. Kümmere dich um deinen eigenen Dreck und hör endlich auf, irgendwelche beschissenen Fragen zu stellen." Er schmeißt die Tür der Spüle zu und ich schrecke wegen dem plötzlichen Knall auf. Wieder schmeißt er sich den Lappen über die Schulter.

„Tut mir leid." Ich knicke ein und sehe wieder schuldbewusst auf die Kochplatte.

„Mach die Scheiße hier fertig und dann geh jemand anderem auf die Nerven, ich bin ganz bestimmt nicht dafür zuständig dich zu unterhalten." Und schon ist er aus der Küche verschwunden.

Man könnte behaupten, dass ein Mensch sich in seiner Entwicklungsphase verändert, doch Harry ist noch genauso wie früher. Heute flucht er einfach nur mehr. Jetzt fehlt nur noch, dass ich weine und es wäre ein perfektes Ebenbild von damals. Doch das tue ich nicht, auf keinen Fall, die Zeiten sind vorbei, egal was er zu mir sagt. Ich bin mittlerweile eine achtzehnjährige heranwachsender Frau und so sollte ich mich auch benehmen. Nur fühle ich mich bei ihm immer noch wie ein kleines Kind, das viel zu neugierig ist.

Aber er muss doch verstehen, dass ich mich natürlich dafür interessiere, was damals passiert ist und wieso er ständig Wunden auf seiner Haut hatte. Doch ich muss natürlich auch verstehen, dass ich ihn theoretisch gar nicht mehr kenne. Heute ist er wie ein Fremder für mich und ich bin für ihn ein Niemand. Ein nerviges kleines Mädchen. Wieso sollte er mir vertrauen? Ich nehme es ihm nicht übel, ich würde mir auch nicht vertrauen, immerhin kennen wir uns kaum bis gar nicht. Was habe ich auch erwartet, als ich ihn danach gefragt habe? Er wird mir kaum seine Lebensgeschichte auf dem Präsentierteller bieten.

Zwei Tage habe ich Harry im Hotel kaum gesehen. Er spaziert den ganzen Tag durch das Gebäude und tut Dinge, die ein Hausmeister tut und jedes Mal, wenn wir uns zufällig begegnen, verschwindet er ganz schnell. Er scheint mich wirklich nicht gerne in seiner Nähe haben zu wollen.

Bis ich ihn am Donnerstag in der Mittagspause im Hotelrestaurant sitzen sehe, während er gerade isst. Er scheint mich noch nicht gesehen zu haben, deswegen überdenke ich kurz meine Möglichkeiten. Entweder ich gehe mit meinem Teller zu ihm und esse mit ihm, kann wenigstens versuchen ein Gespräch mit anzufangen oder ich setze mich woanders hin.

Definitiv die erste Möglichkeit. Ich könnte ihn ja fragen, was er so in den letzten zwei Tagen gemacht hat oder wieso er mir ständig aus dem Weg geht, irgendetwas, aber ich will nicht mehr diese Spannung zwischen uns. Das macht mich einfach verrückt und setzt mir mehr zu, als es sollte.

Gestern bei der Probe mit Misses Baskin war ich noch unkonzentrierter als sonst, weil ich ständig an ihn denken musste. Doch allerdings nicht im guten Sinne. Ich habe einfach so viele Fragen, worauf ich keine Antwort weiß.

Um uns herum sind viele Gäste, deswegen kann er gar nicht so pampig mit mir umgehen, wenn ich mich zu ihm setze. Eine gewisse Freundlichkeit sollte er – auch als Hausmeister – in einem Hotel schon ausstrahlen. Deshalb gehe ich mit meinem Salat zu ihm, beobachte ganz genau, ob er zu mir sieht oder nicht. Bisher hat er mich noch nicht entdeckt, er scheint in Gedanken zu schweben.

Doch als ich meinen Teller genau vor ihn stelle und den Stuhl zurück schiebe, blickt er auf. Erst ist seine Miene verwirrt, doch wird dann schnell durch den üblichen Harryblick ersetzt. Abweisung.

„Das kannst du vergessen", meckert er sofort, als ich vor ihm sitze und sieht mich vernichtend an.

Unschuldig wickle ich mein Besteck aus der Serviette. „Was meinst du?"

„Das da." Er zeigt mit seiner Gabel zwischen meinem und seinem Teller hin und her. „Ich esse allein, also setz dich woanders hin."

„Aber ich kann mich hinsetzen wo ich möchte." Ich pieke in meinen Salat und versuche meine seriöse Miene beizubehalten und seine Worte nicht an mich ranzulassen. „Außerdem ist nirgends mehr Platz", lüge ich.

Harry atmet jetzt schon gereizt durch und legt die Gabel auf seinen Teller. „Was zum Fick soll das? Hier ist genug Platz, also setz dich gefälligst auch woanders hin."

„Du solltest vor den Gästen nicht so fluchen", belehre ich ihn lässig und gehe seinem aggressiven Blick aus dem Weg.

„Und du solltest dich abmachen."

„Und du solltest vielleicht einen Antiaggressionskurs belegen."

Er atmet wieder genervt aus und wischt sich durchs Gesicht.

„Ich tue doch nichts, außer hier sitzen", sage ich. „Ich werde dich nicht nerven. Versprochen."

Kurz starrt er mich noch an, dann nimmt er genervt wieder seine Gabel und isst weiter. Ab und zu versuche ich ihn heimlich zu beobachten und seine Bewegungen genau zu scannen. Es ist einfach höchst interessant, wie er sich bewegt und einfach vor sich hinlebt. Die Narbe, die er unter seinem Auge hat, sieht man nicht mehr so stark, wie damals, doch sie ist noch gut sichtbar. Ich weiß noch, wie heftig die Wunde damals aussah, als sie frisch war. Es sah einfach nur grauenvoll aus, doch niemand wusste – natürlich – wovon sie stammt. Niemand wusste allgemein etwas über ihn.

„Wo hast du eigentlich die Narbe unter deinem Auge her?", frage ich, ohne nachzudenken und bereue es sofort die Sekunde darauf.

Ohne mich auch nur ein weiteres Mal anzusehen, knallt Harry seine Gabel auf den Teller, nimmt ihn und steht auf, verschwindet im Personalraum.


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