~3~

140 13 2
                                    

"Also in deinem Dokument steht, dass dein Nerv beschädigt wurde und das der Grund ist, warum du nicht laufen kannst. Stimmt das?" fragt mein Arzt. Ich nicke und schlucke. "Ja" stoße ich hervor. "Aber du möchtest wieder laufen?" möchte er weiter wissen. Wieder nicke ich. "Okay. Ich kann dir nichts versprechen. Ich müsste jetzt erst einmal herausfinden, wie stark der Nerv beschädigt ist, um deine Chance wieder laufen zu können einzuschätzen." sagt er und ich merke, wie ich immer nervöser werde.

Nach zwei Stunden Untersuchung und Wartezeit, werde ich wieder ins Arztzimmer gerufen. "Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht." sagt der Arzt, als die Tür hinter Liz und mir geschlossen ist. "Die schlechte zuerst..." murmele ich und spiele nervös mit meinen Fingern in meinem Schoß. "Ich muss dir leider sagen, dass es nicht möglich ist, dass du wieder richtig laufen kannst. Aber die Gute direkt hinterher: Wir können es schaffen, dass du wenigstens ein paar Schritte gehen kannst. Um zum Beispiel aus dem Bett aufzustehen und deine Kleidung aus dem Schrank zu holen. Oder um in der Dusche stehen zu können."
Eine Welt bricht für mich zusammen, als ich die Worte des Arztes höre. Tränen steigen in meine Augen. Auch wenn mir von Anfang an gesagt wurde, dass es höchstwahrscheinlich nicht klappt, hatte ich mir Hoffnungen gemacht. Zu viele, wie sich jetzt herausstellt. Ich stütze mein Gesicht in meine Hände, versuche die Tränen zurückzuhalten und stark zu wirken, aber es klappt nicht. Mein Körper wird von Schluchzern geschüttelt und meine Wangen sind nass. In weiter Ferne höre ich Liz irgendetwas zu mir sagen, aber ich kann sie nicht verstehen. Das Einzige, worauf ich mich konzentrieren kann ist der Fakt, dass ich nie wieder laufen werden kann. Zu sehr hatte ich gehofft, es doch zu können und diese Hoffnung wurde zerstört - mit ein paar verdammten Worten. Wie soll mich denn trösten, dass ich wenigstens einige Schritte gehen kann? Das ist fast genau wie gar nicht laufen können...
Ich spüre Liz, wie sie mich umarmt und lehne mich dankbar an sie. "Wir fahren jetzt nach Hause, Liebes" sagt sie leise an meinem Ohr und ich merke, wie sie meinen Rollstuhl schiebt. Von der Heimfahrt bekomme ich nicht viel mit. Die Landschaft rast an mir vorbei und die Worte des Arztes hallen immer wieder durch meinen Kopf: Ich muss dir leider sagen, dass es nicht möglich ist, dass du wieder richtig laufen kannst. Noch immer fließen Tränen unaufhaltsam über meine Wangen und mein Körper zittert.

Zuhause setzt Liz mich aufs Sofa und legt sanft eine Decke über meine Beine. Dann geht sie in die Küche und kurz darauf kommt sie mit zwei Tassen Tee und einigen Cookies zurück. Sie setzt sich neben mich und gibt mir eine der Tassen. Ich ringe mir ein Lächeln ab und krächze ein Danke in ihre Richtung. "Gerne Annie" antwortet sie und streicht über meine Haare.

Langsam beruhige ich mich und als die Tränen schließlich ganz versiegt sind, sagt Liz leise: "Ich weiß nicht, ob das was ich jetzt sagen werde dir in irgendeiner Weise helfen wird, denn ich könnte mir vorstellen, dass gerade nichts hilft, aber ich will es dir trotzdem sagen: Luke liebt dich. So wie du bist. Ob du laufen kannst oder nicht. Das ist ihm scheiß egal. Klar wäre es ihm lieber, dass du laufen kannst, aber nicht, weil er dich dann mehr liebt. Sondern weil er will, dass du glücklich bist. Er weiß, wie sehr du davon träumst wieder laufen zu können. Er hat so oft mit mir darüber gesprochen. Nachts kam er manchmal weinend zu meinem Bett und hat sich nichts mehr gewünscht, als dein unbeschwertes Lachen wieder zu hören. Lass den Rollstuhl nicht dein Leben zerstören. Anfangs warst du so stark und positiv über alles, was in deinem Leben. Lass das nicht verschwinden. Es ist eine Eigenschaft, die wenige haben. Es ist etwas ganz besonderes, in allem das Positive zu sehen. Sei stolz darauf, dass du es kannst. Hör nicht auf zu lachen. Es ist nur ein Rollstuhl. Und vor allem: gib nicht auf! Trainiere, denn ich glaube, dass sich die Mühe auch für ein paar wenige Schritte frei laufen zu können lohnt. Du wirst überglücklich sein, wenn du Luke zeigen kannst, dass du auf ihn zu rennen kannst, wenn ihr euch wiederseht. Und glaub mir: Luke wird sich so sehr für dich mit freuen. Er wird stolz auf dich sein. Und du auf dich auch. Und ich auch.
Ich werde dir immer helfen, wenn du mich brauchst. Ich bin für dich da, okay? Es ist nur ein Rollstuhl und der ändert nichts daran, dass mein Sohn hoffnungslos in dich verliebt ist. Er liebt dich! So sehr. Und ich dich auch." Ihre Worte haben mich so sehr berührt, dass ich direkt wieder los weine, obwohl ich mich gerade beruhigt hatte. "Liebes!" ruft Liz besorgt und umarmt mich. Ich muss lachen: "Alles gut. Das was du gesagt hast, war schön." Ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben soll. Sofort lächelt Liz mich an. "Das ist gut. Wirst du trainieren? Auch für ein paar Schritte?" fragt sie. Ich nicke und muss schlucken. "So kenne ich dich, Annie" grinst Lukes Mutter und drückt mich fester an sich.

Den Rest des Tages verbringen Liz und ich nebeneinander auf dem Sofa und schauen uns einen kitschigen Liebesfilm nach dem nächsten an. Taschentuch für Taschentuch landen vollgeheult auf dem Teppich, weil wir so sehr im Film sind. Kaum bekomme ich mit, als Luke reinkommt und sich nach Abendessen erkundigt. Erst nach seinem dritten Versuch sehen seien Mutter und ich ihn an: "Hm?" fragen wir gleichzeitig. "Mein Gott was ist denn mit euch los? Ich wollte nur wissen, was es zu Abend gibt" grinst mein Freund. "Ähm..gute Frage...habe ich noch nicht drüber nachgedacht" gibt Liz zu und setzt hinterher: "Ich wäre für Pizza bestellen." Sofort hellen sich Lukes und meine Gesichter auf und Luke greift zum Telefon, um Pizza zu bestellen.
Da Andrew heute außerplanmäßig auf eine Firmenreise muss und Jack bei Celeste bleibt, reichen vier Pizzen für Liz, Luke, Ben und mich.

happy. l.h. (Teil 2)Where stories live. Discover now