Das Ende im prächtigen Krönungssaal///Der neue Lordkommandant

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Das Ende im prächtigen Krönungssaal

Der neue Lordkommandant

Naiga wurde kurz geblendet, als sich die Türen der großen Festhalle der Heliopolis öffneten. Die Bewohner des Firdaus, die Soldaten und Repräsentanten mehrerer Einheiten und anderer Unterstützer des Systems waren hier versammelt. Rein körperlich war er einer der kleinsten der hier anwesenden Personen, doch sein Stolz war in dem Moment, in dem er über den goldenen Teppich aus Kollektivfäden lief, so groß, dass er mühelos die gesamte Halle ausgefüllt hätte. Er hörte das eifersüchtige Getuschel nicht, sondern nur die jubelnden Rufe seiner Leute, die es nicht lassen konnten, aus der Reihe zu fallen und ihm schon vor der Ernennung zu gratulieren. Mit langsamen Schritten lief er die Treppe hinauf, die zu dem Podest mit den Generälen führte. Eine Lobesfanfare setzte ein und begleitete seinen Weg über die zweihundert Stufen nach oben.

Als er schließlich über die Kante der obersten Treppenstufe blicken konnte, sah er sie, die Generäle und seinen König, die auf ihn warteten.

Erin, Chuo, Rose und Fatale, Miu und Pierrot standen jeweils zu dritt links und rechts neben dem Thron, auf dem sich Akabahr niedergelassen hatte.

Er beachtete die Generäle nicht weiter, sondern ließ sich mit einer ausholenden Geste auf das rechte Knie sinken.

Akabahr sah auf ihn herab und hob die Hand, was den Saal zum Verstummen brachte. Langsam fragte er: „Ihr seid Naiga Wolgagrad?"

Naiga beugte den Kopf: „Ja."

„Ihr seid einberufen worden, in Anbetracht Eurer Leistungen, um für eine Beförderung vorzusprechen?", fragte Akabahr weiter.

„Ja.", antwortete Naiga.

„Was habt ihr vorzubringen, um diese Beförderung zu rechtfertigen?", fragte Akabahr streng.

Naiga erhob sich und breitete die Arme aus: „Mein König, ich raubte Lord Paladin in der Schlacht um Avalon sein schwarzes Schwert, Ragnarök und nenne es nun mein Eigen!"

„Beeindruckend!", antwortete Akabahr in fast theatralischer Strenge. „Was habt Ihr noch vorzubringen?"

„Ich zerstörte Teile der Avalon und machte das uralte Bauwerk über Monate unbrauchbar!"

„Beeindruckend! Gibt es noch weitere Leistungen, von denen Ihr berichten wollt?"

„Ich habe den Drachenschwertkämpfer, den legendären Purotekuro Nabusuke, im Zweikampf Mann gegen Mann besiegt!"

„Beeindruckend! Sind da noch weitere Ereignisse, die gehört werden sollten?"

„Ich vernichtete die Akademie, welche mit seinen falschen und dunklen Lehren das System an den Rand einer Existenzkrise brachte!"

„Beeindruckend! Eine letzte Leistung möchte ich Euch noch vorbringen lassen."

„Ich vernichtete die Feengottarmee, die beinahe Europa eingenommen hätte, und eroberte über hundert Städte und Millionen von Leben zurück!"

„Sehr gut!", rief Akabahr und erhob sich. „Euer Wunsch soll Euch gewährt werden."

Er zog einen schwarzen Mantel mit einem goldenen Abzeichen auf der Brust hervor und legte ihn um Naigas Schultern.

„Ich ernenne Euch zum Lordkommandanten, meinem Stellvertreter und Nachfolger! Erhebt Euch!"

Naiga stand auf und blickte in den Saal, der gehorsam applaudierte.

Er selbst unterdrückte nur mühsam seine Euphorie. Er hatte es geschafft. Nummer zwei des Systems! Er war einer der mächtigsten Feengötter, die man sich nur vorstellen konnte! Er konnte jetzt Befehle an alle Truppen erteilen und wenn Akabahr starb, sei's drum, dann war er eben Herrscher.

Die Generäle traten von ihrem Podest und stellten sich in Reih' und Glied vor ihm auf. Einer nach dem anderen gratulierte ihm. Chuo mit Ehre und Würde, Erin eher verhalten und leise, Miu mit nicht zu überhörender Schärfe, Fatale gar nicht, Rose dafür umso herzerwärmender.

Dann trat Pierrot vor und griff nach seiner Hand.

„Herzlichen Glückwunsch, Lordkommandant...", sagte er in einem Ton, aus dem man beim besten Willen nicht heraushören konnte, ob er ihm tatsächlich alles Gute wünschte, oder ob er ihn umbringen wollte.

„Vielen Dank, Lord Pierrot.", antwortete Naiga höflich, aber bestimmt, so wie bei allen Gratulanten. Er wollte seine Hand zurückziehen, doch Pierrot hielt sie fest und kicherte leicht. Naiga brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass Pierrot ihm Kollektivdaten sandte.

„Ich möchte Euch warnen, Lordkommandant Naiga.", drang Pierrots hohe, ironische Stimme in seinen Kopf. „Indem Ihr Lordkommandant geworden seid, habt Ihr Euch auf ein Hornissennest gesetzt. Von fünf Lordkommandanten, die im Laufe des letzten Krieges ihr Amt antraten, hat keiner von ihnen die ersten Monate seiner Amtszeit überlebt."

„Was?", fragte Naiga, versehentlich laut. Dann sandte er Pierrot seinerseits eine Nachricht. „Was willst du damit andeuten?"

„Das System funktioniert nicht mit dem Prinzip von Stellvertretern", hörte Naiga Pierrot in seinem Kopf sagen. „Jeder im System hat Pläne für die Zukunft, doch Lordkommandant werden gehört nicht dazu. Das Amt ist verflucht. Man wird für zu viele Leute eine Gefahr. Sowohl für die Generäle, als auch für Akabahr, als auch für die Revolution, ist man zu mächtig und gleichzeitig ist man nicht stark genug, sich vor denen zu schützen, die noch viel tiefgreifendere Pläne für diese Welt haben."

„Andere Kräfte?", fragte Naiga verwirrt gegen. „Die Revolution?"

„Oh, du armer Verwirrter...", sagte Pierrot und kicherte. Naiga fiel auf, dass er nun alle Höflichkeitsfloskeln fallen ließ, was seine folgenden Worte umso mehr zu einer Drohung zu machen schien. „Du bist die ganze Zeit gegangen wie ein Blinder. Dein Ehrgeiz wird dich zu Fall bringen. Ich hoffe du weißt, wer dein Freund ist, wenn du stolperst."

Mit einer kräftigen Bewegung zog Pierrot die Hand zurück und löste so die Verbindung. Er verbeugte sich vor ihm: „Ich freue mich auf Eure ersten Befehle, Lordkommandant... jetzt entschuldigt mich, der grüne Tee soll ausgezeichnet sein."

Wie ein Wiesel huschte die maskierte Gestalt davon, bevor Naiga eine Möglichkeit einfiel, ihn unauffällig aufzuhalten. Nachdenklich sah er Pierrot dabei zu, wie er die Truppenstufen hinunterlief und sich auf den Weg zum Buffet machte.

„Scheint, als wolltest du, dass ich ein Auge auf dich habe, Pierrot...", sagte Naiga zu sich selbst und begann sadistisch zu grinsen. „Ich freue mich auf den Kampf mit dir."

Er leckte sich die Lippen, wie ein Vampir, der Beute ausgemacht hatte.

Ende

Die Feenakademie (#Wattys2015)Where stories live. Discover now