Kapitel 29

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Ich konnte keinen von den Jungs erreichen, deswegen rief ich irgendwann bei Emily an.

Es klingelte nicht einmal dreimal, dann hob sie schon ab. Bevor sie sich melden konnte, sagte ich: „Emily, hier ist Ava."

„Ava? Ist alles in Ordnung?", fragte sie sofort alarmiert.

Ich ignorierte ihre Frage und wollte stattdessen wissen:

„Sind die Jungs noch unterwegs?"

„Ja, schon seit einer Ewigkeit. Sie müssten bald zurück sein."

Ich atmete hörbar aus. Ich klammerte mich an die Hoffnung, dass sie Ian schon erwischt und ausgeschaltet hatten.

„Ava, was ist los?", wollte Emily noch einmal wissen, diesmal aber fordernd, keine Ausflüchte duldend.

„Sie müssen ihn kriegen. Wenn sie ihm morgen am Diner auflauern, ist nicht nur Liv in Gefahr, sondern auch Kate und mein Bruder. Mal abgesehen von den ganzen anderen Leuten."

„Dein Bruder?"

„Er hat da morgen auch ein Date."

Eine kurze Stille breitete sich in der Leitung aus. „Sie werden ihn schon kriegen, Ava, mach dir da mal keine Sorgen. Die Jungs wissen, was sie tun. Und dem Vampir morgen im Diner aufzulauern, ist nur die absolute Notlösung. Sam würde niemals Zivilisten in Gefahr bringen."

Ich war kein bisschen beruhigt.

„Und wenn jemand verletzt wird?", fragte ich leise.

„Es wird niemand verletzt. Ava, denk nicht an sowas."

„Ja. Ja, du hast ja Recht." Ich fuhr mir mit der einen Hand durch die Haare.

„Ich glaube, ich sollte ins Bett gehen. Wenn Sam nach Hause kommt, kannst du ihm das von meinem Bruder sagen, Emily?", bat ich sie.

„Also, wenn sich das Thema nicht eh erledigt hat", fügte ich hoffnungsvoll dazu.

„Natürlich, Ava, ich werd's ihm ausrichten", hörte ich Emily noch vom anderen Ende der Leitung.

Doch ich nahm ihre Antwort nicht mehr wahr. Ich starrte unentwegt auf mein Fenster.

Niemand anderes als Ian stand in meinem Zimmer, direkt vor meinem Fenster.

„Ava?", tönte es durch die Leitung, da ich nicht geantwortet hatte.

Ians Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

„Guten Abend, Ava. Ich wollte mich ein Wörtchen mit dir unterhalten, wenn es dir nichts ausmacht."

Während er diese Worte aussprach, kam er immer näher auf mich zu. Unwillkürlich wich ich zurück, bis ich mit dem Rücken gegen meinen Schrank stieß.

Ians Lächeln wurde breiter.

„Ava? Ava, bist du noch da?"

Ian machte noch einen Schritt, sodass er nun direkt vor mir stand. Seine blauen Augen funkelten mich bedrohlich an. „Ich hoffe, ich unterbreche kein wichtiges Gespräch."

Seine Nähe machte mir Angst. Alles an ihm wirkte anziehend auf mich und das fand ich beängstigend. Der Gedanke schoss mir durch den Kopf, ob Ian wohl gerade Hunger - oder besser gesagt Durst - hatte. Mein Puls raste und meine Hände fingen an vor Panik zu schwitzen.

„Ava, was zum Teufel ist bei dir los?"

Das Handy rutschte mir aus der schwitzigen Hand.

Ian bückte sich und hob es auf, wobei er mir noch näher kommen musste. Ich begann zu zittern. Seine Bewegung dauerte nicht einmal zwei Sekunden, dann stand er wieder vor mir.

„Ava? Ava!"

Ian drückte auf den roten Hörer.

„Was willst du von mir?", fragte ich kaum hörbar und mit zitternder Stimme.

Er grinste. „Ava, also bitte. Du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben."

Trotz meiner Panik entwich mir ein ungläubiges Schnauben, welches dafür sorgte, dass Ians Grinsen breiter wurde. „Na gut, wenn wir von meinen Fangzähnen und dem unstillbaren Durst einmal absehen."

„Was willst du?", wiederholte ich.

„Ich möchte nur mit dir reden, Ava."

Misstrauisch sah ich ihn an.

„Du kannst dich wirklich nicht überwinden, mir zu vertrauen, oder?", wollte er wissen. Er klang kein bisschen verletzt, eher amüsiert.

„Kein Stück", gab ich spitz zurück.

„Ehrlich, wenn ich dir etwas tun wollen würde, hättest du meine Zähne schon in deinem kleinen dürren Hals stecken. Ich bin nicht scharf auf dein Blut."

Ich schluckte.

„Deinen kleinen Welpen ist doch bestimmt schon aufgefallen, dass in der Umgebung niemand verletzt wurde, oder?", redete er weiter.

Ich stutzte, denn er hatte Recht.

Ian lachte. „Na, also. Ich habe meine eigenen Vorräte", zwinkerte er mir zu.

„Vorräte?" Meine Stimme klang piepsig, was dafür sorgte, dass ich mich über mich selbst ärgerte. Ich wollte mich nicht so von ihm einschüchtern lassen – und dennoch war ich definitiv eingeschüchtert.

„Krankenhäuser sind äußerst ergiebig. Und sehr vielfältig, was den Geschmack angeht – obwohl ich persönlich ja 0 positiv bevorzuge." Er leckte sich provokativ über die Lippen.

„Ich glaube, mir wird schlecht", meinte ich trocken und er lachte.

„Also, kommen wir zum eigentlichen Thema, weswegen ich hier bin", sagte er plötzlich ernst. „Ich habe wirklich keine Lust auf einen Kampf mit deinen Schoßhündchen. Wenn du also die Freundlichkeit besitzen würdest, ihnen das mitzuteilen, würde das der Gesundheit der schönen Olivia äußerst gut tun."

Mir schnürte es die Kehle zu. „Lass Liv da raus."

Er grinste diabolisch. Plötzlich war die Anziehung verschwunden. „Bestimmt nicht, süße Ava."

„Wieso hast du das Rudel angegriffen?", verlangte ich zu wissen.

„Ich hänge sehr an meiner Unsterblichkeit, musst du wissen – und deine vierbeinigen Freunde sind eine erhebliche Gefährdung für sie."

„Wenn du sie nicht angegriffen hättest, hätten sie dich nicht im Visier gehabt. Vor allem da du dich ja anscheinend sowieso von Blutkonserven ernährst", hielt ich dagegen. Ich war überrascht, dass meine Angst ihm gegenüber abnahm und wusste nicht, ob ich tapfer oder nur töricht war.

„Die Gefahr bleibt bestehen", meinte er nur. „Und ohne die Angst lebt es sich wesentlich besser. Also, liebliche Ava, sag ihnen, dass sie aufhören sollen, mir nachzustellen, dann wird Olivia nichts passieren. Ansonsten kann ich für nichts garantieren."

„Aber du wirst nicht aufgeben bis du sie ausgeschaltet hast, nicht wahr? Du stellst also die Wahl zwischen dem Rudel und Liv?"

„Das, meine gute Ava, nennt man wohl ein Dilemma."

this is lycanthropy (Embry Call)Where stories live. Discover now