Kapitel 34

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Der Zeiger meiner Armbanduhr näherte sich langsam der vollen halben Stunde. Als wäre das sein Stichwort gewesen, hob mein Bruder seine Hand, um die Kellnerin auf sich aufmerksam zu machen.

Gestern war er noch in mein Zimmer gestürmt, um mich zu fragen, in welchen Film er Kate am besten einladen sollte. Ich hatte die Wahl zwischen einem typischen Actionfilm, der – wie mir der Trailer schnell bewies – hauptsächlich aus Schießereien und vielen unnötigen Explosionen bestand. Ich selbst wäre wahrscheinlich trotzdem lieber in den Actionfilm gegangen, obwohl er – wie mir der Trailer ebenfalls schnell bewies – offenbar echt schlecht war. Allerdings führte Noah nicht mich, sondern Kate aus, deswegen viel mir die Entscheidung leicht: „Geh mit ihr in den Liebesfilm."

Noah hatte mich unsicher angesehen. „Bist du sicher? Findest du nicht, dass das etwas... kitschig rüberkommt?"

„Noah, das ist ein Date. Und es ist Kate. Sie liebt solche Schnulzen. Wahrscheinlich fängt sie in den ersten paar Minuten schon zum Weinen an, weil es so romantisch ist."

Daraufhin wurde sein Gesicht noch zweifelnder. „Aber..."

„Noah, es ist ein Date! Eine bessere Gelegenheit, um ihr näher zu kommen, gibt's ja wohl nicht."

„Und wie soll ich das bitte anstellen?", raufte er sich die Haare.

Ich konnte nicht anders. Ich konnte mir das Lachen nicht mehr verkneifen. Noah hatte mich beleidigt angesehen.

„Tut mir leid, Bruderherz, aber du stellst dich schlimmer vor einer Verabredung an als jedes Mädchen. Leg ihr doch einfach den Arm um die Schulter und schau was passiert."

Und jetzt saß er im Diner, Kate ihm gegenüber, und bezahlte wie ein Gentleman die Rechnung. Anschließend standen sie beide auf – Noah half ihr sogar in die Jacke – und gingen auf dem Parkplatz zu Noahs Motocross. Innerlich platzte ich vor Stolz.

„Sitzen sie noch?", erklang Jareds Stimme hinter mir.

„Ja. Gebt mir noch fünf Minuten", meinte ich.

„Wieso genau fünf?", fragte Jacob, der neben mir an der Hauswand vorbei zum Diner lugte.

„So, wie Liv die ganze Zeit an ihrer Cola genippt hat, gebe ich ihr nicht einmal fünf Minuten, bis sie kurz auf der Toilette verschwindet."

Die Jungs lachten.

Ich spürte Embrys Hand, die sich um meine Taille legte. „Glaubst du, er lässt überhaupt mit sich reden? Am Ende geht er auf die arme Kellnerin los", fragte er leise.

„Das wäre nicht seine Art. Zu unspektakulär", gab ich leise zurück. „Aber wir werden es jetzt sehen."

Liv war aufgestanden und verschwand gerade hinter der Tür mit der Aufschrift „Toiletten".

„Pass auf dich auf", flüsterte Embry, bevor er mich losließ. Ohne mich noch einmal zu den Jungs umzudrehen, setzte ich mich in Bewegung.

Als ich schwungvoll die Eingangstür öffnete, sah ich Ians Augen schon auf mir ruhen. Ich versuchte, möglichst gelassen zu seinem Tisch zu gehen.

„Du kannst es nicht lassen, oder Liebes?", wollte er mit einem Grinsen auf den Lippen wissen, als ich mich ihm gegenüber an den Tisch setzte.

„Liv fand immer, ich sei stur wie ein Esel", meinte ich und zauberte ein ebenso gehässiges Grinsen in mein Gesicht.

„Ein interessantes Mädchen. Olivia", wie um zu betonen, dass er Liv meinte, wandte er seinen Blick zu den Toiletten. Er machte eine kurze Pause. „Wie interessant sie erst sein wird, wenn ich sie zu meiner Gefährtin gemacht habe."

Ein paar Sekunden lang lag diese stille Drohung über uns, ohne dass jemand etwas sagte. Im Hintergrund tönte nur das Radio, das im Diner ohne Unterbrechung lief, und die unverständlichen Worte von dem Pärchen, das am anderen Ende des Restaurants saß.

„Lass Liv in Ruhe. Lass uns einfach alle in Ruhe und verschwinde endlich aus Forks. Niemand hier hätte Jagd auf dich gemacht, wenn die das Rudel nicht zuerst angegriffen hättest", zischte ich. „Also geh einfach und wir alle – sogar du – können endlich in Frieden weiterleben."

Dass Ian mich immer noch gehässig angrinste, brachte mein Blut beinahe zum Kochen.

„Liebste Ava, ich habe es dir doch schon erklärt: Diese Wölfe werden meine Existenz immer bedrohen. Und außerdem hat es mir deine Freundin wirklich angetan. Sie hat Temperament, findest du nicht auch? Ein Mädchen, mit dem man gut einen Teil eines endlosen Lebens, vielleicht sogar ja die ganze Ewigkeit verbringen kann."

Ich schwieg.

Sein Grinsen wurde noch breiter.

„Also, süße Ava, schlage ich vor, du gehst wieder durch die Tür dort vorne und nimmst deine tierischen Freunde mit, ansonsten fürchte ich, lasse ich die schöne Olivia gleich hier und jetzt zu einer Unsterblichen werden."

Langsam stand ich auf ohne den Blick von seinem selbstgefälligen Gesicht zu wenden. Ich konnte es einfach nicht riskieren, dass Ian seine Zähne in Liv hineinschlug und sie in einen Vampir verwandelte.

„Du bist ein vernünftiges Mädchen, liebliche Ava."

„Du wirst sterben, Ian." Ich ging zur Tür. Gerade, als ich dagegen drückte, hörte ich Liv hinter mir: „Ava? Was willst du hier?"

Ich hielt inne, sah sie an, sah kurz zu Ian, dann wieder zu ihr. Was sollte ich ihr sagen? Ich spürte Ians abwartenden Blick durch den ganzen Raum auf mir. Wenn ich jetzt ein falsches Wort verlor, würde er Livs Leben ein Ende setzen.

Also sagte ich nichts, drehte mich wieder um und verließ das Diner.


this is lycanthropy (Embry Call)Where stories live. Discover now