Kapitel 2

7.1K 359 59
                                    

Das Geräusch von Glas klirrte in meinen Ohren.
*

«Ünal, Schatz... Wer hat dir so etwas eingeredet?»

«Sei still und steig jetzt ein!» brüllte er plötzlich lauter. Es kam mir vor, als ob seine tiefe Stimme durch meinen Körper schießen würde. Ich war schockiert. Das war das letzte Mal, dass ich in sein Auto einsteigen würde. Das versprach ich mir.

Ich lief zur Beifahrertür und öffnete sie zitternd. Ünal stand immer noch draußen und stampfte wütend hin und her. Ich hatte Angst. Angst vor ihm und Angst davor, dass er mir nicht glauben würde. Ich weiß nicht wieso, aber ehe ich auf dem Beifahrersitz saß, verriegelte ich die Türen von innen und atmete tief durch.

Ünal hörte das Klicken der Verriegelung und versuchte die Tür zu öffnen. Er beugte sich und sah mich mit feurigen Augen durch das Fenster auf der anderen Seite an.

«Mach die Tür auf!» brüllte er, doppelt so laut wie vorher. Ich wollte die Türen wieder öffnen, aber Ünal klopfte so hart gegen das Fenster, dass ich aufzuckte.

«Verdammt, Züleyha! Öffne die scheiß Tür!»

Ich umarmte meine Taschen und meine Jacke noch fester und entschied mich, die Türen nicht zu öffnen. Sein Benehmen löste Furcht in mir aus, die ich ihm gegenüber noch nie gespürt hatte. Sechs Monate Zuneigung und Vertrauen brachen in mir zusammen. Wieso wurde er plötzlich so aggressiv? Ich konnte es mir nicht erklären, daher war es besser so, die Türen nicht zu öffnen.

Aber ich tat einen großen Fehler. Ünal stampfte um das Auto herum und kam zu meiner Tür. Ich war den Tränen nahe. Die Überforderung und die Panik, versteinerten meine Gelenke und ich konnte mich nicht bewegen. Ich muss Banu anrufen, dachte ich, aber bevor ich den Gedankengang beenden konnte, haute Ünal gegen mein Fenster.

«Ünal!» schrie ich und spürte Tränen an meinen Wangen «Hör auf!»

Er schlug unkontrolliert weiter und seine Schläge wurden immer härter. Mein Herz konnte nicht schneller schlagen, als es schon tat. Ich blickte weinend in seine Augen und in sein knallrotes, kochendes Gesicht. Seine Haare, die soeben noch nach hinten gekämmt waren, hingen ihm spitz vor den Augen. Er war verrückt geworden. Das ist nicht Ünal. Niemals. Oh, Gott! Wie werde ich dieses Auto bloß verlassen können?

Ünal ließ einen lauten Schrei raus und schlug so fest gegen das Fenster, dass es an der Stelle zersplitterte. Sein nächster Schlag zertrümmerte das Glas mit einem lauten Knall. Ich verdeckte mein Gesicht gerade noch rechtzeitig mit meinen Händen und zog meine Beine hoch.

Das Fenster war kaputt. Ünal hatte es zerschlagen. Ünal? Mein Ünal?

Das Geräusch von Glas klirrte in meinen Ohren. Meine Hände verdeckten meine Sicht, aber ich hörte sein wildes Atmen und wie er durch die kaputte Glasscheibe die Tür von innen öffnete, um sie dann aufzureißen. Er hielt kurz inne, um Luft zu schnappen. «Du gehst mir fremd, gib es zu! Wieso würdest du dich sonst einschließen?!»

Ünal griff mit einer Hand meine Taschen und schleuderte sie aus dem Auto. Mein MacBook und meine Kamera landeten mit einem harten Knall auf dem Boden. Ich spürte Glasplitter an meiner Jeans und konnte plötzlich nicht mehr reagieren. Der Schock hatte mich versteinert.

Ünal wartete keine Sekunde weiter und packte mich an meinen Armen. Mit einem Ruck hatte er mich schon rausgezogen und drückte mich mit seinem massiven Körper gegen den Wagen. Ich spürte keinen Boden unter meinen Füßen, aber Ünals festen Brustkorb gegen meinen.

«Wie kannst du mir das antun?!» donnerte er und schüttelte mich «Ich hab dir alles gegeben! Und du Ehrenlose, belügst mich?»
«Ünal» schluchzte ich, denn mein Atem reichte für nichts anderes aus.

Er festigte seinen Griff an meinem linken Oberarm. Ich spürte meine Hände nicht mehr. Als ich dann meine Tränen weg blinkte, sah ich sein entstelltes Gesicht, seine Augen lagen im Schatten seiner Haare. Dann grölte er laut und hob seine rechte Hand in die Luft.

Das war's. Mein Geliebter... Mein Freund... vertraute mir nicht. Seine Hand würde mich gleich im Gesicht treffen. Was könnte noch schlimmer sein? Dass ich mich nicht wehren kann? Oder, dass ich keinen Atem mehr habe?

Ich schloss meine Augen und erwartete den Schlag, aber... es kam nichts. Langsam öffnete ich meine Augen und sah Ünals große Hand direkt über mir. Neben ihm, ein fremder Mann, der ihm seinen Arm festhielt.

Halluziniere ich etwa?

Ich schnappte nach Luft aber bemerkte, dass es keine mehr gab. Meine Sicht wurde langsam verschwommen und ich schloss die Augen. Ich hörte Ünals Atem direkt an meinem Gesicht.

«Was zur Hölle?!» brüllte Ünal, sein Körper immer noch fest an mich gedrückt. Die Frage war nicht an mich gerichtet, sondern an jemand anderen. Also ist das keine Einbildung.

Dann stieß er plötzlich einen komischen Schrei aus. Langsam ließ der Druck an meinem Handgelenk nach und Ünal trat einen Schritt zurück. Ich fiel zu Boden und stützte mich gerade noch rechtzeitig. Luft. Ich keuchte und zog so viel in mich, wie nur möglich.

Langsam sah ich hoch und versuchte gegen das Licht der Straßenlaterne etwas zu erkennen. Der fremde Mann hatte Ünals Arm so verdreht, dass er sich nicht rühren konnte und auf die Knie musste. Mit einem entsetzten Ausdruck starrte Ünal hoch zu ihm, als ob er einen Geist gesehen hätte. «D-du...» Sein verkrampftes Gesicht zeigte, dass er seinen Atem anhielt. Der Mann ignorierte ihn und drehte seine Hände weiter.

«Is' schon okay!» brüllte er zum Fremden «Ich fass' sie nicht an!»

Der Mann ließ ihn los und Ünal nutzte diese Gelegenheit und holte seine Faust aus, um ihn zu schlagen. Der Fremde wich ihm aus und packte Ünals Handgelenk, doch Ünal war nicht dumm. Er war immerhin jahrelang im Kick-Box tätig und ich wusste, dass der Mann verlieren würde.

In der nächsten Sekunde schlug Ünal mit seiner freien Hand zu und traf den Mann mitten im Gesicht. Dabei ließ der Mann eine blaue Tüte fallen, die er in der Hand hatte. Irgendetwas zerbrach in der Tüte und erinnerte mich an das Fenster, das Ünal zerhauen hatte. Ich muss weg hier!

Der fremde Mann verdrehte Ünals Hände ein weiteres Mal, diesmal heftiger. Nun traf das Licht der Laterne auf die untere Hälfte seines Gesichts und ich konnte ihn erstmals sehen. Seine Nase blutete.

«Ich fass' sie nicht an! Okay!» brüllte Ünal wieder.

Bitte lass ihn nicht los, flehte ich innerlich, denn ich ahnte, dass Ünal log. Nein, ich wusste es. Wenn dieser Mann ihn jetzt loslassen würde, so wäre es nur eine Frage der Zeit, bis Ünal mich wieder in seinen Händen hatte. Ich musste sofort weg. Verschwinden.

Sprechende HändeWhere stories live. Discover now