Kapitel 3

7.3K 375 19
                                    

Beim Eintreten, bitte mit dem Licht flackern.
*

Mit zitternden Knien versuchte ich auf die Beine zu kommen, dabei spürte ich die Glassplitter auf dem Asphalt in meine Handflächen stechen. Ich blickte ein letztes Mal zu Ünal, der seinen Rücken zu mir gedreht hatte.

Wenn der Mann jetzt zu mir schauen würde, dachte ich, würde Ünal es merken und mir hinterher rennen. Aber das tat er nicht. Er schaute nicht zu mir, sondern blickte mit eiskaltem Gesichtsausdruck auf Ünal hinab. Er verdrehte seine Hand noch stärker als vorher und brachte ihn erneut zum Schreien. Das war mein Zeichen.

Ich nutzte diese Gelegenheit und rannte davon, ohne mich noch einmal umzudrehen und ohne zu wissen, wohin. Orientierungslos rannte ich um die Ecke und dann so lange weiter, bis ich nicht mehr wusste, wo ich war. Als ich realisierte, dass ich meinen Geldbeutel mit Handy in meiner Jackentasche zurückgelassen hatte, schaltete ich einen Gang runter. Die Kälte füllte meine schweren Lungen, so dass ich nur noch keuchend Laufen konnte.

Weit und breit gab es keinen Laden, der offen hatte, wo ich vielleicht um ein Telefon hätte fragen können. Selbst wenn es eine Telefonzelle geben würde, hätte ich kein Geld bei mir, um es zu benutzen. In diesen Gassen lief mir auch keiner entgegen, den ich fragen könnte!

Langsam begann ich größere Angst zu bekommen. Die Panik von vorhin hatte nicht nachgelassen, sondern wurde immer schlimmer. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ünal mir vielleicht folgen könnte, trieb mich in den Wahnsinn.

Ich war nun in einem Viertel der Stadt, der so vergessen und verloren aussah, dass sogar einige Straßenlaternen nicht mehr funktionierten. Nun war ich kurz davor, meine Geduld zu verlieren und voller Verzweiflung einfach irgendwo an einer Tür zu klingeln, als ich einige Meter vor mir einen Laden sah, in dem Licht brannte. Moment mal... Sogar die Tür stand offen!

«Oh mein Gott» flüsterte ich vor Glück und rannte los. Kurz vor dem Laden, stoppte ich und versuchte die Lage zu sichern. Ich sah langsam durch das Schaufenster. Es sah aus wie eine Werkstatt, oder wie ein Atelier mit Töpfersachen. Vor der Glasscheibe standen viele verschiedene Vasen aus Ton und an den Wänden hingen viele verschiedene Werkzeuge. Dann erkannte ich einen alten Mann in blauen Latzhosen an einem Tisch arbeiten.

Der alte Mann schien ruhig und ungefährlich zu sein. Übertreib doch nicht! redete ich mir ein, um meine Panik zu zämen. Ich beschloss, anzuklopfen und um ein Telefon zu fragen. Das könnte doch wohl nicht so schwer sein.

Langsam und zögernd trat ich in den Laden hinein. Der Mann schien mich nicht wahrzunehmen, also hustete ich kurz. Aber als ich merkte, dass der Herr mich immer noch nicht hörte, hustete ich noch einmal. Wieder nichts. «Entschuldigen Sie. Darf ich kurz stören?»

Immer noch keine Reaktion. Vorsichtig lief ich einige Schritte vor und wollte ihm gerade auf die Schulter tippen, als das Licht begann zu flackern. Es ging sehr schnell an und aus.

Der alte Mann drehte sich um und erschrak, als er mich so direkt vor ihm stehen sah. Doch er erschrak ungewöhnlich... leise. Er hatte einen ungepflegten weißen Bart und viele, tiefe Falten im Gesicht.

«Es tut mir so leid!» sagte ich schnell «Ich wollte Sie nicht erschrecken, aber Sie haben mich nicht gehört!»

Meine Entschuldigung schien den Opa nicht zu interessieren, denn er sah ganz wo anders hin. Mit seiner tonverfärbten Hand machte er plötzlich komische, winkende Bewegungen. Ich drehte mich, um seinem Blick zu folgen und erkannte jemanden im Eingang des Ladens. Es war der selbe Mann von vorhin. Der selbe Mann, der Ünal aufgehalten hatte.

Ist er mir gefolgt!?

Im hellen Licht des Raumes konnte ich ihn nun viel besser erkennen. Er hatte wilde, wellige Haare, die ihm über die Stirn fielen und einen drei-Tage Bart. Außerdem hatte er genau so schmutzige Hände, wie der alte Mann neben mir. Dann musste er scheinbar hier arbeiten. Kann das sein? fragte ich mich.

Sprechende HändeWhere stories live. Discover now