Kapitel 23

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*

6 Wochen später
Die Hochzeit

»Eure Ehe basiert auf wackligen Füßen, Züleyha! Der Typ hat Aggressionsprobleme und nimmt sogar Tabletten!«

Träge lief ich an meinen Frisiertisch und glotzte auf mein Spiegelbild. Das weiße Kleid schien so blass und leblos an mir. Elvan hatte recht und sie wusste das. Sie stand hinter mir und hielt durch den Spiegel Augenkontakt mit mir.

»Ich muss es tun, Elvan« gab ich von mir »Ich muss Ünal heiraten... für Banu.«

Sie stöhnte und rückte meinen weißen Schleier zurecht. »Ich laber dich jetzt seit 6 Wochen damit voll. Zum tausendsten Mal... Züleyha, du musst das nicht tun. Denkst du, Banu bedankt sich bei dir? Wenn in 7 Monaten ihre „Frühgeburt" auffliegt, wird deine schwesterliche Güte niemanden interessieren!!«

Ich verstand sie. Elvan betrachtete die ganze Geschichte viel zu objektiv. Wäre sie in meinen Schuhen, würde sie das Selbe tun. Aber ich nahm es ihr nicht übel.

»Elvan« begann ich lächelnd und drehte mich zu ihr um. Sie hörte nicht auf, mich wütend anzusehen. »Es geht mir gut. Nicht lange. Nur bis Banu ihre Schwangerschaft ankündigt.«

Elvan schüttelte heftig den Kopf und packte mich grob an den Armen. »Wach auf, du Idiot! Du bist gerade dabei, einen Psycho zu heiraten! Denkst du, er lässt die Scheidung zu?!«

»Es reicht, Elvan!« schrie ich und schüttelte sie weg. »Mir sind die Hände gebunden! Was soll ich tun?!« fragte ich sie ironisch und sah mich in meinem Schlafzimmer um »Soll ich zusehen, wie Banu als Schwangere... und dann noch unverheiratet, die Ehre meiner Eltern unter die Füße nimmt?!«

Elvan öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie hielt es zurück. Sanft lächelte sie mir zu und ich erkannte Tränen in ihren Augen. Leise atmete sie ein.

»Und was wird aus Yusuf?«

Hart schluckte ich den Kloß in meinem Hals runter. Yusuf... Seit dem er vor sechs Wochen aufgetaucht war, hatte sie so viel verändert. Elvan wusste das nicht. Keiner wusste es.

»Züleyha, ich werde nicht zusehen, wie du dein ganzes Leben wegschmeißt.«
»Das tu ich nicht, Elvan«
»Doch.«

Plötzlich klopfte jemand an die Schlafzimmertür. Es war soweit.

*

Im Rathaus angekommen sah ich zu wie Ünal total aufgeregt aus seinem Auto stieg. Banu, Mahmud und unsere nächsten Verwandten saßen bereits im Vermählungssaal und warteten auf uns.

»Hallo, meine Schöne« rief Ünal mir entgegen und joggte zu mir und Elvan. Er hatte einen dunkelblauen Anzug an. Ich ignorierte ihn, aber Elvan zögerte nicht, jede Gelegenheit zu nutzen, um diese Ehe aufzuhalten.

»Der Herr Eşkazan!« begann sie hochnäsig und tat so, als ob sie sehr hart nachdenken würde und fuhr fort »Ich frage mich bloß, wie oft Sie sich den hohlen Schädel gegen die Wand gehauen haben, bis Ihnen diese Idee aus der Nase gefallen ist...!«

Ünal presste amüsiert seine Lippen zu einem Lachen und kam an meine Seite. »Das Hochzeitskleid steht dir fantastisch, Aşkım. Heute ist unser glücklichster Tag.«

Widerwillig hakte ich meinen Arm in Ünals Arm. Ich wollte das einfach so schnell wie möglich hinter mich bringen.

*

»Wollen Sie, Banu Erbay, Mahmud Eşkazan zu Ihrem rechtmäßigen Ehemann nehmen?«
»Ja!« antwortete Banu.

Ünal ließ meine Hand los, um applaudieren zu können. Wir saßen direkt in der ersten Reihe. Gleich danach waren wir nämlich dran. Unsere Familien klatschten wie verrückt. Mein Vater schüttelte den Kopf.

»Und wollen Sie, Mahmud Eşkazan, Banu Erbay zu Ihrer rechtmäßigen Ehefrau nehmen?«

»Denke schon« spaßte Mahmud und brachte jeden im Saal zum Lachen. Nach einem kurzen Moment beruhigten sich alle wieder und Mahmud sah zu Banu rüber. Es war ein gelogener, gespielter Blick. »Ja« sagte er viel zu gefühlsvoll.

Die Beiden unterzeichneten die Unterlagen und gleich danach auch die Zeugen. Banu trat Mahmud auf den Fuß und alle klatschten. »Gut gemacht, Banu!« rief einer ihrer Freundinnen. Von wegen, dachte ich mir.

Alles ging sehr zügig. Ein, zwei Fotos und schon saßen Ünal und ich am Trauungstisch.

»Wollen Sie, Züleyha Erbay, Ünal Eşkazan zu Ihrem rechtmäßigen Ehemann nehmen?«

Will ich das? Was sind die Folgen? Wieso tu ich mir das an? Wird Banu überhaupt dankbar sein? Wozu diese Erniedrigung?

Ich starrte den Menschen vor mir in die Gesichter, aber ich sah niemanden. In der letzten Reihe blieb mein Blick stehen. Zwei Mitarbeiter des Rathauses flüsterten untereinander. Mühevoll brachte ich meine Aufmerksamkeit zurück. Was musste ich nochmal sagen?

»Ja« antwortete ich und blinzelte, weil Fotos geschossen wurden.

»Und wollen Sie, Ünal Eşkazan, Züleyha Erbay zu Ihrer rechtmäßigen Ehefrau nehmen?«
»Ja, hundert Prozent, ich will« sagte Ünal und ich hörte seine Familie lachen und applaudieren. Mein Blick huschte zu meinen Eltern. Meine Mutter schmunzelte leicht und klatschte leise, während mein Vater zu Boden sah. Er war der Einzige, der wusste, was nun passieren würde.

Ich zwang mich einmal für die Kamera zu lachen, als mir der Stift überreicht wurde. Viel zu lange starrte ich auf das Blatt Papier. Wie lange brauchen die denn noch? Kurz hustete ich und richtete mich auf, um es hinter mich zu bringen.

Züleyha Elif Erbay. Irgendwie kritzelte ich meinen Namen und versuchte dann durch die Fotoblitze hindurch zu sehen. Banu klaschte leicht und lächelte mich an.

Ünal nahm sich den Stift aus meiner Hand und zog das Dokument zu sich, als er bemerkte, dass ich nicht reagierte. In seinem Gesicht stand alles, außer Liebe. Ich sah Triumph, Stolz, Glücklichkeit. Nur leider wusste keiner außer mir, dass er nichts davon hatte. Er war ein Feigling und dazu noch ein ehrenloser.

Plötzlich räusperte sich eine Frau, die ich aus dem Sekretariat des Rathauses kannte. Sie brachte einen Ordner und sagte:

»Entschuldigen Sie, ich störe wirklich ungern-«
»Was soll das?« fragte Ünal unverschämt »Kann das nicht warten?«
Die Frau wurde rot und sah zu Boden »Es tut mir sehr leid, dass kann nicht warten-«
»Wirklich?! Was kann wichtiger sein, als eine standesamtliche Ehe?« unterbracht Ünal sie erneut. Ich bemerkte unsere Familien, wie sie Ünal betadelten und ihre Köpfe schüttelten. Eine Freundin meiner Mutter hörte ich flüstern »Terbiyesiz...«

Der Trauredner nahm den Ordner entgegen und las sich das Dokument durch. Verwirrt griff er nach seiner Brille, die an seiner Brust hing.

»Herr Eşkazan... Frau Erbay« begann er mit einer ernsten Miene und blickte nun abwechselnd zu uns »Eure Ehe kann staatlich nicht anerkannt werden.«

»Was?!« rief Ünal und mit ihm zusammen wurde nun der ganze Saal unruhig. Ünal griff nach meiner Hand und drückte sie fest, als ob ich gleich wegrennen würde. »Wieso das?!« fragte er wütend.

Der Trauredner stand auf und schmiss uns den Ordner auf den Tisch. »Diese Ehe ist unmöglich, weil Frau Erbay bereits verheiratet ist.«

Er öffnete den Ordner erneut, um etwas genauer zu lesen. »Geheiratet vor einer Woche in Erlangen mit einem gewissen Yusuf Karadağ.«

Sprechende HändeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt