Kapitel 17

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»Bis hier, Züleyha. Das war's.«
*

»Was... ist mit deinem Ohr passiert?«

Er zog sich zurück und strich sich die Haare über beide Ohren. Durch den Anblick hatte sich eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper verbreitet, denn sein Ohr sah nicht aus wie ein normales Ohr. Zu sehen, waren keine Knorpel, kein Gehörgang, sondern eine durchgehende, gefurchte Hautschicht. Es schien irgendwie... verbrannt zu sein.

»Was ist mit deinem Ohr-«

Abrupt sah er weg, um nicht meine Lippen lesen zu müssen. Daher stoppte ich, denn es hatte keinen Zweck.

Wieso würde sein Ohr so verstellt aussehen? Zwar wusste ich immer noch nicht den Grund für seine Taubheit, aber... dass er nur kaum ein Ohrloch hatte, schockierte mich sehr.

Kurz traf mich ein Gedanke von der Seite, den ich eigentlich die ganze Zeit verdrängt hatte. Was, wenn mein Interesse einseitig war? So, wie er gerade Blickkontakt vermied, bekam ich Bauchschmerzen.

»Züleyha« begann er wieder und bemühte sich, alles richtig auszusprechen »Es ist meine Schuld. Ich wünschte... ich wäre niemals... niemals auf euch zugegangen.«

Seine Stimme tat gut. Aber die Worte, die er von sich gab, passten nicht zur Schönheit seines Klangs. Er schaute an mir vorbei zur Tür und schüttelte seinen Kopf. Jetzt, wo er endlich mit mir redete, wollte ich plötzlich nichts mehr von ihm hören, denn ich hatte dieses unangenehme Gefühl, dass das Folgende mir nicht gefallen würde.

Ich machte auf mich aufmerksam, so dass er auf meine Lippen schaute.

»Ich bin froh, dass du es getan hast.«
»Aber ich bin nicht froh« er schluckte schwer »dass du jetzt auch in dem Ganzen verwickelt bist...«
»In was denn?«

Plötzlich stand er auf und schob seinen Stuhl zurück, so dass er nun kerzengerade vor mir stand. Ich tat das Selbe und beobachtete verwirrt, was er jetzt machen wollte. Konzentriert blickte er zur Tür des Klassenzimmers und atmete tief ein.

»Bis hier, Züleyha. Das war's.«

Kurz gab er mir Zeit, zu verdauen was er gerade gesagt hatte. Ich wusste, was er damit meinte. Ich sollte gehen.

»Ich will aber-« wieder stoppte ich, weil er seinen Rücken zu mir gekehrt hatte. Mit einem Mal zog ich ihn an seiner Schulter zu mir und stellte mich vor ihn, damit er mich lesen konnte.

»Wieso?« fragte ich laut. Lauter als nötig.

Er schluckte, ging auf die Tür zu und verschwand im Flur. Schnell lief ich ihm hinterher bis zum Haupteingang und ließ meine Tasche zurück. Ich riss die Tür auf und folgte ihm raus in das windige Wetter. Dunkle Wolken hatten sich über Istanbul gezogen und kündigten den Regen an.

»Hey! Warte!« rief ich zwecklos. Ich sprang die Fußgängerzone entlang, rempelte einige Menschen an, bis ich ihn auf dem Baruthane Spielplatz aufgeholt hatte. Zornig schnappte ich seinen Arm und krallte mich fest, um ihn zu stoppen. Für einen Moment waren wir beide außer Atem und zuckten zusammen, als es blitzte. Den tobenden Donner danach hörte aber nur ich.

»Sieh mich an« sagte ich.
Er bemühte sich, sein Gesicht weg zu drehen, aber ich hatte seine glasigen Augen bereits bemerkt.

»Hey! Sieh mich an!« rief ich und schnappte mit meiner anderen Hand seinen Unterkiefer. Nun hatte er keine andere Wahl, als mir in die Augen zu sehen. Trauer und Schmerz waren deutlich erkennbar.

Sprechende HändeWhere stories live. Discover now