Kapitel 16

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Ich brannte, seine Stimme wieder hören zu können.
*

Bevor die Situation eskalierte, stand ich auf und packte hektisch meine Tasche. Es war klar, wieso Ünal hier war. Er wollte Toprak und mich draußen haben.

»Ist er eine sprechende Person?« fragte der Imam den Zwilling »Oder gehört er zu Ihnen?«

Topraks Zwilling, der direkt neben dem Imam stand, schien Ünal wohl zu kennen. So wütend wie er ihn anstarrte, merkte ich, dass auch Ünal ihn kannte. Für die Beiden war dies zweifellos nicht die erste Begegnung.

Da fiel mir ein, dass Ünal im Krankenhaus von einem Bruder und einer Narbe gesprochen hatte. Er kannte ihn!

»Nein, Imam Hamza« antwortete der Zwilling zischend und kratzte nervös seine Stirn »Der hier gehört zu niemandem.«

Ünal ignorierte ihn, denn sein Blick haftete auf Toprak, der inzwischen aufgestanden war.

»Los, jetzt« stresste Ünal mit zusammen gebissenen Zähnen und warf mir einen warnenden Blick zu.

Natürlich tat ich das nicht, weil ich ihm gehorchen wollte. Die Kinder und der Imam, waren der einzige Grund. Ich wollte Unruhe vermeiden. Also quetschte ich mich wieder an den Sitzen vorbei, entlang der Fensterseite, aber plötzlich stellte sich Toprak vor mich. Mein Herz raste wie verrückt und ich konnte meine Sorge um ihn nicht mehr zurück halten. Ünal war zu allem im Stande.

Mit ruhigem Blick schaute Toprak durch seine Locken, die ihm über seine Stirn taumelten. Mit einer Hand zeigte er seinem Zwilling eine Gebärde und er wusste, dass er es mir übersetzen soll.

»Du entscheidest. Ich respektiere« sagte sein Zwilling auf deutsch, damit es keiner Verstand. Ich nickte.

*

»Nächstes Mal« lachte Ünal im Garten der Akademie »löschst du deinen Verlauf, oder noch besser; du googelst nicht, wo du hingehst.«
»Ünal, das geht zu weit! Siehst du nicht, dass dein Verhalten alles schlimmer macht?«
»Nein« Ünal zuckte mit den Schultern »Alles, was ich sehe, ist meine verrückte Freundin, die von diesem Pantomimen verführt wird. Was für eine Art Psycho ist der!?«

Topraks Blick haftete auf seinen Lippen. Trotzdem, antwortete er Ünal nicht. Ich hatte eigentlich gehofft, dass sein Zwilling auch kommen würde, aber er musste sich noch um die Klasse kümmern.

»Sag es doch« forderte Ünal und grinste spöttisch zu Toprak »O-der hast du et-wa dei-ne Spra-che ver-lor-en?« sagte er in lauten Silben.

»Hey!« rief ich »Du Unmensch, kannst du dich nicht benehmen? Was soll das Ganze werden?!«
»Sollte ich dich fragen! Erst in Deutschland, dann sogar hier... Es ist wohl zum Hobby geworden, mich zu betrügen, was?«
»Wir sind kein Paar mehr, Ünal« erklärte ich ihm langsam und bemitleidend, denn er schien wohl wirklich dumm zu sein »Tu' dir selbst einen Gefallen und check das mal endlich.«

Auf einmal ließ Ünal ein hysterisches Lachen raus und klatschte in die Hände. »Witzig! Weißt du, deine Eltern werden dich nicht zwingen, unser Söz nachzuholen...« Er zeigte mit einem Finger auf mich und kam näher »sondern du wirst selbst wieder zu mir zurück kommen.«

Ich stöhnte und schloss meine Augen. Wie könnte ich ihm das jemals klar machen, ohne vorher meinen Verstand zu verlieren? Gerade, als ich ihn ein letztes Mal warnen wollte, hörte ich Schritte hinter uns.

Sprechende HändeWhere stories live. Discover now