Kapitel 15

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»Wie lange ist es her,
dass er so gelacht hat...?«
*

Nachdem ich Toprak auf dem Foto von Muezza erkannt hatte, war ich natürlich nicht schlafen gegangen. Ich hatte mir mein Laptop mit aufs Balkon genommen, meine Kopfhörer reingesteckt und mir Videos im Internet angeschaut, wie man Türkische Gebärdensprache am besten lernt. Mir wurde sofort klar, dass ich das nicht über das Internet lernen konnte. Offensichtlich brauchte man einen Tandem-Partner.

Trotzdem hielt mich das nicht davon ab, einige Zeichen zu lernen. Ich suchte mir einen Ausdruck aus, den ich Toprak als erstes zeigen wollte, wenn ich ihn vor der Akademie treffen würde. Fast die ganze Nacht saß ich draußen auf dem Balkon und schlürfte Tee, während ich gleichzeitig Zeichen auswendig lernte.

Mit sehr wenig Schlaf, aber dafür genug Aufregung, hatte ich es dennoch rechtzeitig geschafft. Und nun stand er vor mir.

Mit meinen Armen um seinen Hals geschlungen, schlug mein Herz so fest gegen meinen Brustkorb, dass er es wahrscheinlich auch spürte.

Ich schluckte schwer, denn ich bereute sofort, was ich hier gerade tat. Er schien meine Umarmung nicht zu erwiedern und stand einfach da. Wie konnte ich in so einer Situation jetzt loslassen und in sein Gesicht schauen?

Abrupt löste ich die Umarmung und verdeckte meinen Mund. Er sah mich verwirrt, aber dennoch amüsiert an. In diesem Moment entschied ich mich zu sagen, was mir am meisten Angst machte.

»Keine Ahnung, wieso ich hier bin« begann ich und hielt meine Hand weiterhin vor meinen Lippen »aber bei dir fühle ich mich sicher. Obwohl ich skeptisch und vorsichtig sein sollte. Ich meine... wie heißt du denn jetzt eigentlich?«

Er merkte, dass ich zu ihm sprach. Mein Mund bewegte sich immerhin, doch er konnte es nicht lesen. Er zeigte auf seinen eigenen Mund und schüttelte fragwürdig seinen Kopf. Ich fuhrt fort, weil ich noch etwas sagen musste. Und das würde nur funktionieren, wenn er es nicht hörte.

»Bitte sei ungefährlich« flüsterte ich »Bitte sei ungefährlich und erlaube mir, bei dir zu sein. Denn ich... ich muss dich einfach kennen lernen.«

Er schien zu verstehen, was ich vorhatte und stand still da. Er wartete auf mich und ließ mir Zeit. Beobachtete vorsichtig, was ich jetzt tun würde. Sein Blick war diesmal nicht auf meine Lippen gerichtet, sondern auf meine Hände, denn ich hob beide hoch und tat, was ich geprobt hatte.

»Ich will mich vorstellen«, zeigte ich ihm in langsamen Bewegungen, »damit wir uns kennen lernen.«

»Ist das dein Ernst?« rief sein Zwilling plötzlich von hinten und brachte mich zum Aufzucken. Er stand unmittelbar direkt hinter mir und stöhnte genervt.

»Oh, Gott! Du hast mich erschreckt!« rutschte es mir raus. Wie konnte es sein, dass er sich so nah an mich geschlichen hatte, ohne sich bemerkbar zu machen? Außer, er stand schon seit einer Weile da, aber das konnte nicht sein.

»Was machst du hinter mir?!« wollte ich wütend wissen.

»Ehm« machte er eingebildet »Ich übersetze ihm hier seit einer halben Stunde was du laberst, obwohl du doch Gebärden kannst?!«

Oh, mein Gott. Ich drehte mich wieder um und erwischte sein kurzes Grinsen, bevor er wieder ernst zu mir schaute. Alles, was ich gebeichtet hatte... Er hat alles gehört. Nein, also... Verstanden. Was auch immer!

»Seit wann stehst du da schon?« nuschelte ich zu seinem Zwilling, damit er meine Lippen nicht las.
»Wenn du wissen willst, was genau ich übersetzt habe, dann kann ich dich beruhigen. Wir sind zusammen hierher gekommen. Also« er runzelte seine Stirn und tat so, als ob er überlegen würde »Ich habe ihm so gut wie alles übersetzt.«

Sprechende HändeWhere stories live. Discover now